Annette Frier: „Es ist schwer, Sex gut zu filmen“

Annette Frier: „Es ist schwer, Sex gut zu filmen“

Mit „Love Addcits“ startet eine deutsche Dramedy-Serie, in der sich Twens im Rahmen einer Therapie mit ihrer Sex- und Liebessucht auseinandersetzen. Mit ntv.de sprechen „Therapeutin“ Annette Frier und „Patientin“ Malaya Stern Takeda über Sex vor der Kamera und die Mär vom Jungfernhäutchen.

Mit „Love Addicts“ startet auf Amazon Prime eine achtteilige Dramedy-Serie, die sich als deutsche Antwort auf den Netflix-Erfolg „Sex Education“ versteht, wie eine dazugehörige Pressemitteilung ankündigte. Dabei hätte es diesen zu Werbezwecken eingeführten Satz sicherlich gar nicht gebraucht, spricht „Love Addicts“ doch nicht nur sehr offen über Sex, sondern vor allem auch für sich. Das liegt zum einen am Team um Headautorin Julia Drache sowie der Regiearbeit von Janosch Chávez-Kreft und Arabella Bartsch, aber auch den Darstellern.

Im Mittelpunkt von „Love Addicts“ stehen die vier Mittzwanziger einer Sex- und Liebessucht-Therapiegruppe, die von einer absurden Situation in die nächste geraten. Geplagt werden sie von ganz unterschiedlichen Problemen. Mal geht es um weibliche Dominanz und einen Mangel an echten Gefühlen, mal um Sex gegen die innere Leere oder krankhaftes Romantisieren. Geleitet werden die Sitzungen von Anja, gespielt von Annette Frier. Deren freizügige Patientin Zoé mimt Newcomerin Malaya Stern Takeda. Mit ntv.de sprechen die beiden unter anderem über ihre eigene Aufklärung, die Mär vom Jungfernhäutchen sowie Sex und Masturbation vor der Kamera.

ntv.de: Malaya, was hat dich an der Rolle der doch sehr offenherzigen Zoé besonders gereizt?

Malaya Stern Takeda: Mich hat die Figur interessiert, weil sie so ambivalent ist, ein Widerspruch in sich. Sie hat auch Sehnsüchte und Schmerzen. Für mich ist es außerdem was Besonderes, weil es meine erste große Rolle ist. Allein aufgrund meines Aussehens bekomme ich oft richtig doofe Anfragen, die sehr platt und plakativ sind. Dann fühle ich mich wie so eine komische Projektionsfläche. Das hier war eines der ersten tollen Angebote, in deren Beschreibung nicht einfach was von „ostasiatische junge Frau“ stand.

Annette, du spielst die Therapeutin von vier sex- und liebeskranken Twens, zu denen auch Zoé gehört. Was hat dich an der Storyline überzeugt?

Annette Frier: Also bei mir hat es etwas gedauert. Ich habe erst ein bisschen gefremdelt. Ich fand das Thema Sucht zwar spannend, aber du bist ja automatisch in einer Verantwortung. Das unterhaltend zu erzählen ist keine leichte Aufgabe … Ich fand die Fallhöhe interessant. Mir war direkt klar, dass das wirklich starke Schauspielerinnen und Schaupsieler braucht, damit man dran bleibt und es keine Behauptung bleibt. Das ist ja alles überhöht, verdichtet mit 25 Minuten pro Folge. Dann habe ich mir die Kolleg:innen für die vier Hauptrollen angeguckt und gesagt: „Ja, da mache ich mit.“ Die vier haben mich überzeugt, weil sie einfach richtig gut sind.

Takeda: Du bist aber auch voll okay. (lacht)

Malaya, kannst du dich auch privat mit der sexualisierten Zoé identifizieren?

Takeda: Die Rolle ist sehr offen, aber ich bin das nicht. Eigentlich bin ich eher so eine Nele (weitere Figur in „Love Addicts“ – Anm. d. Red.). Ich mag Romantik. Meine Freunde sind halt auch bei diesen ganzen Dating-Apps, und ich habe mir die kein einziges Mal heruntergeladen. Also doch, einmal – für die Rolle. Um zu sehen, wie funktioniert das und wie sieht es aus? Ich war total überfordert. Ich kann jetzt also diese Jugendgeneration nicht so wirklich krass vertreten, das hat mir schon Angst gemacht.

Frier: Du hast ordentliche Chuzpe bewiesen.

Takeda: Ich glaube, ich hätte schon früher gerne so eine Figur gesehen, gerade auch in einer Besetzung, die so aussieht wie ich. Zoé wird nicht von außen sexualisiert, sie sexualisiert sich selbst, wenn sie Bock drauf hat. Das finde ich cool.

Gerade wenn es um Sex geht, kann es vor der Kamera oder auch im Endergebnis ja durchaus schon mal peinlich werden. Bei „Love Addicts“ ist es das nicht …

Frier: Deswegen muss man sich zu Beginn sehr gut überlegen, ob man teilnimmt. Es ist wahnsinnig schwer, Sex gut zu filmen. Wenn man zu wenig Zeit hat, sieht das schnell scheiße aus. Und da wurden viele Gespräche geführt, damit man auch wirklich an den entsprechenden Momenten die nötige Zeit bekommt. Ich finde, das ist insgesamt sehr gut gelungen, eben auch weil das alles vorher diskutiert und ernst genommen wurde. Damit das Unanständige anständig bleibt und man Bock kriegt – im besten Sinne. Es geht ja nur vordergründig um Sex. Es geht eigentlich um vier Menschen, die auf der Suche sind und geliebt werden wollen.

Wie viel Überwindung braucht es, sich in der Rolle der Zoé zwecks Selbstbefriedigung vor laufenden Kameras an einem Ballon zu reiben?

Takeda: Man muss Vertrauen haben, um sich darauf einlassen zu können. Wir hatten viel Glück mit der Intimitätskoordinatorin. Und ich komme vom Theater, bin es gewohnt, zu proben. Ich habe auch das geprobt. Eine Stunde lang habe ich mit diesem Ballon rumgespielt und wusste dann ungefähr, in welche Richtung es geht und wie ich mich damit wohlfühle.

Allein elf Millionen Menschen nutzen Tinder, dazu kommen noch diverse weitere Dating Apps. Macht das die Liebe – also das eigentliche Thema der Serie – nicht zu einem Wegwerfprodukt? Oder erleichtert es einfach nur die Anbahnung?

Frier: Malaya hat schon eine große Liebe, deswegen kann sie diese Frage nicht beantworten. Sie ist eine sehr romantische Person, und ich bin Zeugin des Ganzen. Malaya liebt Kurt Krömer. Da ist sehr viel Blut in ihre Wangen geschossen in den letzten Monaten.

Takeda: (lacht) Und jetzt wieder.

Frier: Ich möchte nicht deine eigentliche Beziehung übergehen. Ich denke aber, er weiß Bescheid, oder?

Takeda: Ich habe mir jetzt ein Buch mit einem Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan gekauft. Das würde ich gerne gemeinsam mit Kurt Krömer lesen.

Vielleicht liest er dieses Interview hier und meldet sich bei dir. Um aber von deiner romantischen Liebe zu Kurt noch einmal zum Sex zu kommen – könnt ihr euch erinnern, wie ihr aufgeklärt wurdet?

Takeda: Ich weiß nur, einmal hat meine Mutter am Esstisch gesagt: „Use a condom!“ Da war ich 15. Das kam so wie: „Die weiß doch eh Bescheid.“ Sie hat das in aller Liebe gesagt, auch wenn das jetzt nicht so klingt.

Frier: Meine Erinnerung ist da eher diffus. Ich würde sagen, ein bisschen war es meine Mutter, auf keinen Fall mein Vater, ein bisschen das Fernsehen und geheime Gespräche mit anderen Mädchen. Aber meine letzte Aufklärung ist noch nicht so lange her. Da habe ich einen Anruf bekommen von einer ehemaligen Schulfreundin, die leitet den muslimischen Frauenverein „Holla!“ in Köln. Ich habe da bei einem Workshop mitgemacht, bei dem es um Humor und Feminismus ging. Vorher sagte diese Bekannte zu mir: „Aber wir reden an dem Tag auch übers Jungfernhäutchen. Bist du da aufgeklärt? Du weißt, dass es das Jungfernhäutchen nicht gibt?“ Da kam ich ganz schön ins Schwimmen.

Ehrlich gesagt, habe ich mich seit Ende der 80er nicht mehr mit dem Thema beschäftigt. Gibt es da News zu?

Frier: Allerdings! Sie hat mir einen Batzen Infomaterial dazu gegeben. Ich nutze die Gelegenheit hier jetzt mal, Leute: Es gibt kein Jungfernhäutchen. Es ist die große Mär vom Jungfernhäutchen, mit der auch ich groß geworden bin. Operationen zum Beispiel für junge, muslimischen Frauen, die unter anderem auch an deutschen Kliniken durchgeführt werden, um das Jungfernhäutchen wieder herzustellen … Die setzen vielleicht irgendwas ein, sodass man das Gefühl hat, da ist jetzt wieder was. Da war aber nie was. Eine Frau blutet beim ersten Geschlechtsverkehr, weil kleine Verletzungen entstehen. Das hat nichts mit dem sogenannten Jungfernhäutchen zu tun.

Malaya, hast du das gewusst?

Takeda: (lacht) Ja, tatsächlich.

Zoé vermittelt einen sehr selbstbewussten Umgang mit dem Thema Sex – etwas, das lange eher männlich konnotiert war. Wie wichtig ist es, diese Rollenklischees in Filmen und Serien endlich und final aufzubrechen? Frauen anders zu erzählen, als bisher üblich?

Takeda: Das war ein Anliegen von allen. Es gab nie eine Diskussion darüber, wie wir das machen, alle wollten in dieselbe Richtung gehen. Ich habe darüber nachgedacht, ob für Amazon wohl an meinem Körper alles ganz glatt sein muss. Ich habe dann gefragt und die meinten: „Mach doch einfach, wie du Bock hast.“ Das war cool. Ich weiß nicht, ob man es sehen wird. Ich habe zwar alle acht Folgen inzwischen geschaut, aber jetzt nicht auf meine Achselhaare geachtet. (lacht)

Frier: Es ist noch wahnsinnig viel Luft nach oben. Es ist nicht so, dass jeden Tag das geile Drehbuch reinkommt und ich mich frage, wie ich das bloß alles drehen soll. Es ist im Aufbruch, es passiert auf jeden Fall was, aber da ist noch viel Unsicherheit. Die alten Themen sind noch nicht vom Tisch, die müssen erst noch ausgefochten werden.

Previous post Alexander Bernstein schickt „West Side Story“ um die Welt
Next post Martina Gedeck: „Wir wären doch alle gerne freier“