Annette: Verstörende Pop-Oper mit Sound von Sparks

Annette: Verstörende Pop-Oper mit Sound von Sparks

Fans von „Cats“ und „König der Löwen“ könnte das Musical „Annette“ durchaus irritieren. Marion Cotillard und Adam Driver singen sich mit Songs des Art-Pop-Duos Sparks durch eine düstere Geschichte voll wundersamer Ereignisse und tödlicher Entscheidungen.

Im Sommer eröffnete „Annette“ das Filmfestival in Cannes und setzte damit gleich einen Fixpunkt im Geschehen des renommierten Events. Das düstere und bisweilen verstörende Musical stammt von Arthouse-Altmeister Leos Carax, der unter anderem in den 1990ern mit „Die Liebenden von Pont-Neuf“ sowie 2012 mit dem Fantasy-Drama „Holy Motors“ Filmgeschichte schrieb und für „Annette“ in diesem Jahr die Goldene Palme für die beste Regie mit nach Hause nehmen konnte.

Erzählt wird die exzessive Liebe eines außergewöhnlichen Paares. Henry (Adam Driver) ist ein gefeierter Stand-up-Comedian, der mit seinen zynischen Shows am Rande des Wahnsinns wandelt. Seine Frau, die Opernsängerin Ann (Marion Cotillard), wird von einem Publikum verehrt, das ihr Abend für Abend beim Sterben auf der Bühne zusieht. Als die zwei ein Kind bekommen, ist auch das natürlich alles andere als normal. Annette ist eine Puppe, deren wahres Talent sich nach dem tragischen Tod ihrer Mutter offenbart, die als rachsüchtiges Gespenst in ihrer hölzernen Marionetten-Tochter weiterzuleben scheint.

Zwischen Realität und Simulation

Schon bei den Auftritten der beiden obsessiven Bühnenkünstler verschwimmen Realität und Simulation. Die Figuren wandeln in einer unwirklichen Welt aus Säulen, Spiegelungen und den dominierenden Farben Grün und Rot. Und sie steuern in diesem Dickicht unaufhaltsam dem Abgrund entgegen.

Die Songs des avantgardistischen Art-Pop-Duos Sparks halten all das emotional fest und fügen es zusammen. Schließlich war „Annette“ ursprünglich mal als Album der Brüder geplant, bis Ron und Russell Mael auf Carax trafen und gemeinsam mit ihm stattdessen diesen Film entwickelten. Das Trio Infernale durchbricht die vierte Wand dann auch gleich zu Beginn sowie noch einmal am Ende der bildgewaltigen 140 Minuten und dient den Ereignissen dazwischen als Klammer.

Medienkritik und #MeToo

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KINO06.10.21„The Sparks Brothers“ im KinoJubel für zwei unterschätzte Art-Pop-Genies

Es ist die erste Arbeit von Leos Carax in englischer Sprache, allerdings wird ohnehin nur wenig geredet – sämtliche gesprochenen Sätze sind bereits dem Trailer zu entnehmen -, dafür wird eben viel gesungen. Die bühnengleiche Inszenierung erzählt Cotillards Figur Ann als anmutiges, undurchschaubares Wesen, zart und stark zugleich. Der von Driver gespielte Henry strotzt dagegen nur so vor toxischer Männlichkeit, ist innerlich aber zerrissen und voller Selbstzweifel. Es ist nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern geradezu naheliegend, dass sich Carax hier selbst zum Vorbild nahm, worauf verschiedene Äußerlichkeiten in einigen späteren Szenen hindeuten.

Fast lassen sich die Ereignisse in „Annette“ keiner bestimmten Zeit zuordnen, doch wenn die Promi-Schlagzeilen den Status quo der Beziehung des berühmten Paares zusammenfassen, ist moderne Medienkritik nicht von der Hand zu weisen. Auch die nach wie vor aktuelle #MeToo-Debatte findet ihren Platz.

All das erzählt Carax gemeinsam mit Kamerafrau Caroline Champetier in schonungslosen Szenen vor beeindruckenden Kulissen. Bedrückende Ereignisse spiegeln sich in faszinierenden Bildern wider, die „Annette“ zu keinem Wohlfühl-Musical machen, aber zu einem Arthouse-Film, der hoffentlich nicht nur Fans von Leos Carax und den Sparks Brothers erreichen wird.

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