Architects: „Wir sind von allem total abgefuckt“

Architects: „Wir sind von allem total abgefuckt“

Nur knapp eineinhalb Jahre nach dem umstrittenen „For Those That Wish To Exist“ legen Architects ein neues Album vor, das den guten Ruf wieder herstellen soll. Mit ntv.de spricht die Metalcore-Kombo aus Brighton unter anderem über fiese Kommentare im Netz und den bandinternen Veganismus.

Anfang 2021 erschien unter dem Titel „For Those That Whish To Exist“ das neunte Album der aus Brighton stammenden Metalcore-Band Architects. Ein Werk, das gerade von langjährigen Fans nicht gut aufgenommen wurde, war vielen der Sound zu getragen, zu stadiontauglich. Allerdings brachte genau das die Architects auf den ersten Platz der britischen Charts.

Keine eineinhalb Jähre später steht nun der Nachfolger des umstrittensten Werks ihrer Karriere an. Mit ihrem zehnten Longplayer „The Classic Symptoms Of A Broken Spirit“ wollen die fünf Musiker einerseits die erhitzten Gemüter beruhigen, andererseits aber sicher auch wieder Spitzenpositionen in den Charts belegen. Neben dem klassischen Symptom eines kaputten Verstands verrieten Frontmann Sam Carter und Bassist Ali Dean ntv.de im Interview, wie sie mit gemeiner Kritik umgehen, welchen Nutzen sie aus der Pandemie gezogen haben und wie die Welt ein Stückchen besser werden könnte.

ntv.de: Die Reaktionen auf euer letztes Album waren zum Teil sehr kritisch. Lest ihr Kommentare von Fans und macht die Kritik etwas mit euch, oder lasst ihr das von euch abprallen?

Ali Dean: Nein, das beeinflusst uns alles nicht. Wir sehen diese Kommentare, und es ist schon irgendwie beunruhigend. Aber wir haben eher Mitleid mit den Leuten, die beispielsweise extrem negative Dinge über uns schreiben. Es ist doch traurig, dass sie das Bedürfnis haben, uns das vor einem Haufen Fremder im Internet zu erzählen.

Sam Carter: Ich denke, es ist symptomatisch dafür, wo wir als Menschen stehen. Niemand kann heute mehr Musik veröffentlichen, ohne dass jemand auf ihn losgeht und fiese Sachen sagt, wütend und aggressiv ist. Es ist ein Problem, das wir nicht hatten, als wir Kinder waren. Wenn wir die Möglichkeit gehabt hätten, mit jemandem zu sprechen, der in einer Band ist, hätten wir ihm einfach gesagt, wie sehr wir seine Musik lieben. Für mich ist das verrückt, weil es so viele Bands gibt, die Musik releasen, die ich liebe. Und ich sage, wenn sie mir gefällt. Aber wenn sie mir nicht gefällt, dann denke ich halt: „Das ist nichts für mich“. Aber ich würde es der Band doch nicht ungefragt sagen. (lacht)

Ist das etwas, das ihr im Laufe der Jahre erst lernen musstet? Euch 1000 guten Kommentare nicht durch einen einzigen schlechten vermiesen zu lassen?

Carter: Daran muss man sich sogar ständig erinnern. Du musst deine Freunde und Bandmitglieder dafür an deiner Seite haben. Weil sich die negativen Kommentare so allumfassend anfühlen. Das ist leider genau das, was dir durch den Kopf geht, wenn dich jemand kritisiert: Du fühlst dich angegriffen. Doch man muss sich überlegen, ob man Kritik von jemandem annimmt, den man nie um Rat fragen würde. Ich würde die Person, die auf Instagram schreibt, dass der Song scheiße ist, nicht anrufen und fragen: „Hey, Mann, ich habe Probleme, diese Strophe mit dem Refrain zu verbinden. Hast du Ideen, wie man das machen könnte?“ Als wir 2020 „Animals“ releast haben, sagten diese Leute, das sei ein beschissener Song. So beschissen, dass wir damit unser Vermächtnis ruiniert haben und all so was. Jetzt ist es unser meistgespielter Song. Es ist der wichtigste in unserem Set. Man muss einfach auf sein Bauchgefühl vertrauen.

Was hat die Pandemie in den vergangenen zweieinhalb Jahren mit euch gemacht?

Carter: Es war schon schön, mehr Zeit zu haben. Wir sind jetzt ein bisschen experimenteller in der Art und Weise, wie wir die Dinge im Studio angehen. Ich glaube, besonders für Ali und mich war es ein echter Luxus, dass wir die Zeit hatten, mehr hinzuzufügen – die Percussion und die Elektronik. Es hat wirklich Spaß gemacht, die Songs auf die nächste Stufe zu heben. Und das nicht zu überstürzen, war super wichtig.

Dean: Zusammen in einem Raum zu sein, macht einen Unterschied für das Ergebnis eines Albums, weil wir uns daran gewöhnt hatten, aus der Ferne und unabhängig voneinander zu arbeiten. Aber ins Studio zu gehen, das unmittelbare Feedback der anderen zu bekommen und persönliche Gespräche zu führen, hat dazu geführt, dass einige der Songs überhaupt erst entstanden sind. Es war ein anderer Arbeitsprozess. Ich denke aber auch, dass sich unsere musikalischen Gesichter über die Jahre sehr verändert haben, und es ist für die Leute klar, dass wir heute viel mehr elektronische Instrumente einsetzen.

Wie sehr hat euch die Arbeit in dieser Zeit geholfen, mit der Situation klarzukommen?

Carter: Wir haben versucht, immer beschäftigt zu sein. Ich glaube, wenn man zu lange stillsitzt, wird es schwierig. Wir haben uns auf jeden Fall ein bisschen Zeit gelassen, um das, was passiert ist, zu verarbeiten. Aber letzten Endes schreiben wir gerne Musik, wir sind Musiker, und es macht uns Spaß. Vor allem, wenn man als Band weiterkommen will, muss man sich ständig weiterentwickeln und neue Ideen ausprobieren. Diese Entwicklungen können für Fans, die von einer Platte zur nächsten springen, heftig erscheinen. Aber für uns fühlt es sich so an, als ob es schrittweise vorangeht.

Nun seid ihr aber eine Band, die – wie alle – ihr Geld heutzutage hauptsächlich live verdient. Zur Pandemie kam bei euch als Briten ja auch noch der Brexit dazu … ein weiteres Problem.https://www.youtube-nocookie.com/embed/TnCUJVPQH3I?rel=0&showinfo=0

Dean: Ja, allerdings. Zum Glück war es für uns erstmal keine allzu große Herausforderung, aber klar, es wirft irgendwann finanzielle Probleme auf.

Carter: Es ist einfach eine Menge Arbeit, die Details für den Grenzübertritt zu regeln. Früher war das nie ein Ding, da konnte man einfach in den Van springen und auf Europatour gehen. Das war sehr einfach und machte viel Spaß, aber jetzt ist es eine Menge Arbeit, eine Menge Verwaltung für Bands. Glücklicherweise können wir die Kosten auffangen, und wir haben eine wirklich tolle Crew und Leute, mit denen wir zusammenarbeiten, die uns dabei helfen können. Für jüngere Bands, die nicht über die Ressourcen verfügen, wird es eine Menge Probleme geben. Und es wird sie wahrscheinlich davon abhalten, aufs Festland zu gehen. Und das ist so schade, denn Europa ist eine ganz andere Welt, und es war ein wichtiger Teil unserer Karriere, vor allem Deutschland. Wir lieben es, hierherzukommen.

Konntet ihr eure Crew bewahren oder habt ihr Leute an andere Jobs verloren?

Carter: Wir haben tatsächlich eine Menge Crewmitglieder durch Jobs und an Bands verloren, die sich in anderen Zyklen befanden. Aber wir sind bereit, weiterzumachen, wenn es so weit ist. Wir haben auch ein paar wirklich wichtige Mitglieder verloren, also, ja, es war hart. Es war ziemlich erschütternd, um ehrlich zu sein. Aber es ist, wie es ist. Man kann niemanden daran hindern, zu arbeiten. Die Leute müssen ihr Geld verdienen, sie müssen überleben und das tun, was sie tun müssen.

Wie aufgeregt seid ihr angesichts der bald startenden Tour? Habt ihr Sorge, dass euch Corona wieder einen Strich durch die Rechnung machen könnte?

Dean: Wir freuen uns sehr darauf, die Shows zu spielen. Sam und ich sind am Montagabend allein in Berlin angekommen und haben uns ein bisschen komisch dabei gefühlt. Und wir sind ziemlich aufgeregt, im Januar mit dem Rest der Band zurückzukommen und ein paar Shows zu spielen. Aber bei diesen Dingen kann man sich – wie bei vielen anderen Dingen im Leben auch – nicht zu viele Gedanken machen, denn wenn es passiert, dann passiert es, und es liegt nicht in unserer Hand. Also versuchen wir einfach, positiv zu bleiben und das Beste aus der Band herauszuholen.

Immerhin könnt ihr mit zwei neuen Alben aus dem Vollen schöpfen …

Dean: Ja, das werden lange, lange Shows. Ich werde immer sehr müde sein, wenn sie zu Ende sind, aber es wird Spaß machen. 18 oder 19 Songs waren es auf der letzten Tour. Ich denke, wir werden versuchen, das noch ein bisschen mehr zu pushen.

Carter: Wir haben Glastonbury im Fernsehen gesehen, und Paul McCartney – wie alt ist er? 80 Jahre? Er ging raus und spielte drei Stunden oder so.

Dean: Er hat 38 Songs gespielt.ANZEIGE

Carter: Oh mein Gott! Wir müssen uns steigern. Nicht jammern, einfach länger spielen. Wir haben nicht ganz den gleichen Backkatalog wie ein Beatle, also werden wir keine 30 Songs spielen. Aber zumindest mich hat sein Auftritt dazu gebracht, ein bisschen länger spielen zu wollen und mich nicht zu beschweren.

Könnt ihr ein wenig auf den Titel des Albums eingehen? „The Classic Symptoms Of A Broken Spirit“ …

Dean: Das ist der Punkt, an dem wir alle gerade sind. Wir sind von allem total abgefuckt. Ich glaube, dass wir als Spezies, als Menschen, an einem seltsamen Ort sind, in einer prekären Situation. Manchmal kann es sich anstrengend anfühlen, ständig zu versuchen, die Dinge zu ändern und besser zu machen, und es ist unmöglich. Die Menschen, die die Kontrolle haben, sind diejenigen, die diese Unterschiede machen können. Ich glaube, wir sind an einem Punkt angelangt, an dem wir ziemlich niedergeschlagen und untröstlich über alles sind. Das ist das klassische Symptom. Es geht um das Gefühl, dass man die Schnauze voll hat.

Apropos, Dinge besser machen – alle Bandmitglieder sind Veganer. Hat man ein falsches Bild von Großbritanniens Küche oder ist Veganismus dort eher noch ein schwieriges Thema?

Dean: Wir kommen aus Brighton, dort gibt es ein ziemlich gutes veganes Angebot.

Carter: Der Ort ist diesbezüglich wirklich unglaublich. Da haben wir Glück.

Dean: Ich glaube, Brighton ist in diesem Jahr sogar zur „veganen Hauptstadt der Welt“ ernannt worden.ARCHITECTS BEI RTL+ MUSIK

Ist Veganismus bei Architects eine Einstellungsvoraussetzung oder hat sich das in der Gemeinschaft dahin entwickelt?

Carter: Ich glaube, 2012 haben wir angefangen, unsere Hausaufgaben über Veganismus zu machen. Anfangs ging es mehr um die gesundheitlichen Vorteile. Damals haben wir angefangen, ein bisschen bewusster darauf zu achten, besser auf uns aufzupassen. Und wenn man erst einmal in den Kaninchenbau des Veganismus einsteigt, entdeckt man schnell, dass es nicht nur um die eigene Gesundheit geht, sondern auch um das Klima.

Und die Tiere … Es gibt kein Zurück mehr, wenn man Dokumentationen über Massentierhaltung gesehen hat.

Carter: Exakt. Ich glaube, wir haben den Dokumentarfilm „Forkes Over Knives“ gesehen, und dann war es entweder Dan oder Tom, der sagte, man könne das nicht sehen und einfach ignorieren. Obwohl manche Leute das tun, was auch in Ordnung ist. Wir glauben aber alle fünf, dass es eine gute Art zu leben ist. Es ist eines der größten Dinge, die man als Einzelner tun kann, um die derzeitige Situation der Klimakrise zu verbessern. Und es ist auch eine Möglichkeit, nachts besser zu schlafen. Wenn man sich erst einmal darauf konzentriert hat, dass ein Tier sterben muss, damit man eine bestimmte Mahlzeit essen kann … wenn man die Zusammenhänge sieht, dann ist es sehr schwer, weiterhin Fleisch zu essen. Aber manche Menschen stört das nicht, und das ist auch in Ordnung.

Seht ihr euch in der Verantwortung aufzuklären, eure Reichweite zu nutzen?

Dean: Ich denke, wir sind ziemlich lautstark. Ich spreche vor allem in den sozialen Medien darüber, über Tierrechte, den Umgang mit Tieren und den Versuch, es besser zu machen. Die meisten Menschen sind ziemlich offen dafür. Neulich hat mir jemand eine Nachricht geschickt, in der es um das dreijährige Jubiläum eines Posts von mir ging, und sie meinten: „Vor drei Jahren hast du das gepostet, und vor drei Jahren wurde ich Veganer.“ Es ist so cool, dass man diese Interaktion haben kann.

Carter: Aber die Menschen müssen nicht einmal vegan sein. Sie lassen einfach für den Anfang das Fleisch weg. Wenn man uns für einen Tag die Verantwortung für die Welt übertragen würde, würden wir natürlich alle Menschen zu Veganern machen. Das wäre großartig, aber es sind schon kleine Veränderungen, die helfen. Aber manche Leute wollen es nicht. Es ist ihnen lästig.

Glaubt ihr, dass die Welt noch zu retten ist?

Carter: Das hängt davon ab, welcher Tag gerade ist. An manchen Tagen hab ich die Hoffnung, an anderen nicht. In letzter Zeit gab es mehr schlechte als gute Tage.

Previous post „Der Nachname“: Was sich liebt, das hasst sich
Next post Louis Tomlinson: „Ohne Hoffnung wird es auch nicht besser“