Deichkind stellen die richtigen Fragen

Deichkind stellen die richtigen Fragen

Im Laufe ihres 20-jährigen Bestehens hat sich die Formation Deichkind zwar immer wieder neu aufgestellt – zuletzt stieg Ferris MC aus -, doch die Richtung ist stets gleichgeblieben. Für die Hamburger geht es nur in rasendem Tempo nach vorne oder steil nach oben. Mit ihrer ganz eigenen Formel aus Electro und Rap haben sie die deutsche Musiklandschaft nachhaltig geprägt. Und sie tun es weiterhin. Das inzwischen siebte Album „Wer sagt denn das?“ verquickt wieder diverse Musikstile zu einem riesigen Soundgewitter. Es vereint aber ebenso Stammtischparolen mit klugen Gedanken und führt dem Hörer die Absurdität mancher Diskussion vor. Vor allem setzen Deichkind damit ein Ausrufezeichen gegen Hass. n-tv.de hat mit Philipp Grütering alias Kryptik Joe, Sebastian Dürre alias Porky und Henning Besser alias La Perla über Algorithmen-Ethik, politische Haltung und ihre Verantwortung als Künstler gesprochen.

n-tv.de: „Wer sagt denn das?“ – was war  zuerst da? Die Idee für den Titel des Albums oder der entsprechende Titelsong?

Porky: Bei allen anderen Alben wie „Arbeit nervt“ oder „Niveau Weshalb Warum“ hatten wir Ideen, die sofort im Raum standen und auf denen wir aufbauen konnten. „Wer sagt denn das?“ hat ewig auf sich warten lassen. Wir hatten so lange keinen Albumtitel, bis wir den Song geschrieben haben, und es war einer der letzten.

Kryptik Joe: Wir hatten noch nie von Anfang einen Albumtitel, aber es ging immer leichter von der Hand.

Phono: Das Prinzip bei Deichkind ist oft ein künstlerischer Verdichtungsprozess. Es fängt diffus an, schwammmäßig wird alles aufgesaugt, was interessant sein könnte. Das versuchen wir dann, drei oder vier Jahre lang zu verdichten und in eine Form zu pressen. Wir hatten irgendwann das Gefühl, dass „Wer sagt denn das?“ bei der aktuellen politischen Lage in Sachen Inhalt und Haltung der wichtigste Song für uns ist. Deshalb war das irgendwann dann doch eine einfache Entscheidung. Der Song kreist um die Themen, die gerade wichtig sind: Der Rechtsruck in der Gesellschaft, Populismus, Fake News, Verschwörungstheorien, Algorithmen, Bots …

Stellt man euch gelegentlich die Frage, warum ihr euch als vermeintliche Partyband mit solchen Themen überhaupt befasst?

Kryptik Joe: Absolut. Das Ding ist, dass wir 2005 als Partyband gestartet sind, wir dann aber gemerkt haben, dass wir das nicht sind. Wir mögen den Exzess, den Rausch, das Chaos und das Experimentieren. Aber es steckt auch das Melancholische dahinter, denn wir führen alle normale Leben und lesen Zeitung. Deswegen kann das alles nicht nicht stattfinden. Wir hätten das Album auch „1000 Jahre Bier“ nennen können, aber das wäre zu einfach gewesen. So sind wir einfach nicht.

Porky, du hast in einem Interview mal gesagt, ihr wärt keine politische Band, aber eine Band mit Haltung. Trifft es das am ehesten?

Porky: Da unterscheiden wir uns tatsächlich noch in unserer Meinungen innerhalb der Band, aber die Haltung ist ganz sicher die Schnittmenge. Man kann nicht sagen, dass wir eine linke Band sind, eher linksliberal. Man kann auch ohne Haltung oder ohne den politischen Moment in sich zu tragen, zum Deichkind-Konzert kommen und sich die Show angucken. Vielleicht geht man als Konsument hin, aber am Ende bleibt doch was hängen, weil man Denkanstöße bekommt. Oder man kommt als verkopfter Typ hin, der alles hinterfragt, und hinterher ist man nackt.

Phono: Ich möchte ein bisschen widersprechen. Für mich ist Deichkind schon eine politische Band, aber auch eine Partyband. Das schließt sich nicht aus. Ich bin immer derjenige gewesen, der versucht hat, dem Partyimage zu entfliehen. Es ist mir ein privates Bedürfnis, die Spaltung in der Gesellschaft aufzuhalten und dem einen Schubs in die andere Richtung zu geben. Wir haben Menschen verloren, die für Argumente nicht mehr zugänglich sind und nur noch glauben, was ihrer Filterblase entspricht. Die Populisten nutzen den Trick, einfache Antworten auf komplexe Fragen zu geben. Das finde ich gruselig, in so einer Welt möchte ich nicht leben. Da haben wir mit unserer Reichweite eine gewisse Verantwortung und die Möglichkeit, sich mit einem künstlerischen Projekt mit diesen Themen zu beschäftigen.

Mit Aktionen wie „Refugees Welcome“ oder dem Auftritt am Pegida-Montag in Dresden habt ihr neben den Texten und Subtexten eurer Songs auch physisch Stellung bezogen. Welche Themen sind es aktuell, die eure Aufmerksamkeit verdienen?

Phono: Algorithmen-Ethik ist für mich das große Thema. Wir brauchen mehr Diversität in den Algorithmen. Die werden heute von weißen, intelligenten Männern programmiert. Im Moment gibt es keine Situation, in der wir als Gesellschaft diskutieren, wie wir die Welt der Zukunft sehen. Das wird in erster Linie über das Internet, die Suchmaschinen, die sozialen Medien passieren. Ich habe die große Angst, dass viele real existierende Blickwinkel auf die Welt verloren gehen. Ich habe noch keine Ahnung, wie wir das in unser Projekt integrieren können, aber ich fange jetzt damit an, es schon mal in Interviews zu benennen und zu hoffen, dass es reinkommt.

Wo soll das alles noch hinführen und was können wir dagegen tun? Das ist sind also die Fragen, die euch beschäftigten?

Phono: Ich denke, dass die Macht für viele Menschen zu verlockend ist. In der jetzigen Situation gibt es nur einige wenige, die durch digitale Möglichkeiten sehr viel Macht haben können. Ich stelle mich darauf ein, dass es ein gesellschaftlicher Kampf wird, sich Rechte wieder zurückzuholen. Da rechne ich damit, dass sich vieles erstmal verschlimmert. Nichtsdestotrotz sehe ich es als meine Aufgabe als Künstler, mich in die Gemengenlage hineinzustürzen und als Forscher und Beobachter zu einem solchen gesellschaftlichen Konflikt beizutragen.

Demnach besteht bei euch durchaus die Hoffnung, dass die Gesellschaft noch zu retten ist?

Porky: Es wäre eine gefährliche Resignation der Jugend gegenüber, das nicht zu glauben. Pessimismus kann den Fortschritt bremsen.

Phono: Ich bin positiver Pessimist. Ich bin Pessimist, aber nicht gelähmt durch den Pessimismus, sondern davon angetrieben.

Kryptik Joe: Ich bin da zerrissen. Manchmal habe ich Phasen, in denen ich nicht weiß, wo das alles hinführen soll. Dann bin ich aber auch manchmal frei in meiner Arbeit und merke, das Leben hat auch was zu bieten und ich kann was raushauen, das jemanden erfreut.

Muss es denn immer um eine Message gehen oder reicht es manchmal nicht auch, den Menschen eine gute Zeit zu bescheren? 

Kryptik Joe: Klar, wir sind immer noch auch eine Unterhaltungsband und das ist uns auch wichtig. Gerade in dem Zusammenhang, über die Probleme der Welt zu sprechen, wollen wir den Leuten auch sagen, dass sie bei uns gerne in den Raum steigen und mitmachen können.

Lars Eidinger, der in allen euren aktuellen Videos die Hauptrolle spielt, sagte kürzlich: „Im Prinzip schaut man sich doch ab seinem 30. Lebensjahr beim Welken zu. (…) Zeigt mir mal jemanden, für den es total okay ist, wenn die Falten immer mehr werden und der Körper sich verändert.“ Seht ihr das – die ihr alle etwa im gleichen Alter wie Lars seid – ähnlich?

Porky: Nein, überhaupt nicht. Ich liebe meine Falten. Ich liebe es auch, dass meine Midlifecrisis vorbei ist. Was ich nicht so geil finde, ist, dass ich chronische Schulterschmerzen habe und die nicht so richtig in den Griff kriege. Aber ich lasse mich auch total gern operieren. Ich mag das Dormicum sehr gerne, das man da vorher kriegt. Ich habe kein Problem, mich unters Messer zu legen, würde aber niemals was an meinem Körper verändern lassen – Falten wegmachen oder so was. Ich genieße es, nicht mehr meine Komplexe von früher zu haben. Ich habe auch viele Ängste nicht mehr. Klar habe ich Angst vor Tod, bin aber auch gespannt, was dann passiert. Ich würde gern ein bisschen abnehmen, aber ich möchte nicht mehr jung sein.

Phono: Ich möchte Lars auch widersprechen. Ich habe im Alter die Liebe zu mir selbst entdeckt, und zwar nicht im narzisstischen Sinne, sondern in der Art und Weise, sich selbst anzunehmen und zu akzeptieren. Das ist ein Gefühl, das mich in mir ruhen lässt und mir auch das Vertrauen gibt, dass ich aus meinen Kraftreserven heraus etwas bewegen kann. Selbstwirksamkeitserfahrung. Und die ist eigentlich sehr schön, das wünsche ich vielen. Deswege sehe ich eher die positiven Aspekte im Altern, auch wenn Kondition und Kraft zugegebenermaßen nachlassen. Den Prozess kann man mit dem richtigen Sport- und Ernährungsprogramm aber zumindest verlangsamen. Damit habe ich begonnen.

Kryptik Joe: Für mich ist das Altern auch ein Prozess, ich kann aber nicht sagen, dass ich nicht mehr jung sein wollen würde. Es gibt viele Dinge, die langsamer werden und nicht mehr so energetisch sind wie früher. Aber ich finde das Älterwerden auch interessant. Wenn man eine Balance zwischen Faulheit und Disziplin findet, einen Grad, bei dem man sich wohlfühlt, etwas lernt, ohne manisch zu werden. Ich finde es gut, sich selbst kennenzulernen und zu spüren, was einem im Leben gut tut und was einem eben nicht gut tut. Da bin ich noch nicht so angekommen. Ich fühle mich nicht alt und schlecht, aber eben auch nicht geil, weil ich alt bin.

Phono: Ängste nehmen im Alter ab. Ich habe zum Beispiel keine Angst mehr vorm Lotto-Gewinn. Er kann jetzt kommen. Da hätte ich vorher Angst vor gehabt, deswegen habe ich nicht gespielt.

Porky: Habe ich auch, ich habe panische Angst davor, im Lotto zu gewinnen. Immer noch.

Macht sich das Alter auch beim Touren und auf der Bühne bemerkbar? Eure Shows sind oder waren ja bislang auch körperlich immer recht fordernd.

Porky: Muss man schauen. War ja jetzt länger ruhig.

Phono: Personal Trainer ist das Stichwort. Natürlich ist eine Tour eine große Herausforderung, wir haben die Verantwortung unseren Fans gegenüber, auch beim letzten Konzert noch eine Topleistung abzurufen. Deswegen arbeiten wir mit Spitzentrainern aus dem Hochleistungssport zusammen, die uns ein halbes Jahr vor der Tour aufpeppeln.

Der Doping-Arzt Eufemiano Fuentes hat doch jetzt vielleicht Kapazitäten frei. Eigenblut oder EPO könnten eurer Performance noch den letzten Schliff verpassen. Was sonst können wir von der Tour ab Februar 2020 erwarten? Setzt ihr nochmal einen drauf? Wenn ja, wie?

Porky: Ich erkläre mal, wie man es schafft, immer wieder einen draufzusetzen. Wir haben den Punkrock-Moment gehabt, bei dem wir alles kaputt schlagen. Das war 2005. Dann sind wir in die Inszenierung gegangen: Show, Choreografie, Schwarzweiß, weg vom Neon. Danach sind wir in die Justin-Timberlake-Madonna-Show-Ecke gerückt und jetzt wieder dabei, das Ganze aufzuknacken. Wir hangeln uns an dem Begriff „Tableau vivant“ entlang. Das ist das lebende Gemälde. Eine LED-Wand wäre uns zu einfach gewesen. Die Leute gucken eh schon den ganzen Tag auf ihr Handy. Sie sollen was erleben, das analog ist. Deswegen arbeiten wir mit Farben, Stoffen … es wird etwas Neues geben. Kommt vorbei, ihr werdet etwas jenseits eures digitalen Lebens erleben. Ihr werdet euch selbst begegnen. Und das für 50 Euro.

Womöglich gibt es dann ja sogar Gäste bei der einen oder anderen Show? Zumindest auf dem Album sind derer einige, wenn sie auch nicht namentlich genannt werden. Zum Beispiel Olli Schulz bei „Quasi“ …

Porky: … Jan Böhmermann ist auch bei der Nummer dabei.

Kryptik Joe: Keiner erkennt Böhmermann. Erstaunlich.

Arnim Teutoburg-Weiß von dem Beatsteaks hätte man nach der Kollaboration für „L auf der Stirn“ irgendwie erwartet, aber …

Porky: … aber Arnim war busy. Ich zähle mal auf: Joey Bargeld, geiler Typ aus Hamburg. Alexander Marcus bei „Party 2“, Felix Kummer [Kraftklub] bei „Keine Party“ – alles extrem männerlastig. Mit Charlotte Brandi [Me and my Drummer] haben wir aber auch eine Frau dabei.  Ich habe das Gefühl, ich habe einen vergessen …

Abschließend noch ein kleines Ratespiel zum Thema „Wer sagt denn das?“ Von wem stammen die folgenden Zitate?

Zitat 1: „Ich respektiere den Koran so sehr, dass ich Angst davor habe, mich damit zu befassen. Wenn ich anfangen würde, den Glauben zu praktizieren, müsste ich definitiv mit der Musik aufhören.“

Kryptik Joe: Ferris MC oder Cat Stevens?

Porky: Ich weiß es: Kollegah!

Antwort: Haftbefehl

Zitat 2: „Ich war schon immer planlos. Wenn mich früher irgendjemand gefragt hat, was ich später mal machen will, hab ich immer gesagt: Sänger*in, Schauspieler*in oder irgendwas mit Tieren.“

Porky: Rocko Schamoni.

Kryptik Joe: Ich habe keinen blassen Schimmer. Hätte fast Nilz Bokelberg gesagt.

Antwort: Lena Meyer-Landrut

Zitat 3: „Ich versuche, ständig im Zustand der vollkommenen Verwirrung zu sein, weil mir dieser Gesichtsausdruck steht.“

Porky: (lacht) Henning Besser [La Perla]. Es hätte aber auch von mir selber sein können. Oder von Christian Ulmen.

Kryptik Joe: Sebastian Dürre [Porky]

Antwort: Johnny Depp

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