Depeche Mode – Back to Business

Depeche Mode – Back to Business

1981 war ein ereignisreiches Jahr. Papst Johannes Paul II. wird auf dem Petersplatz in Rom durch einen Schuss lebensgefährlich verletzt. Die amerikanischen Raumfähre Columbia (Space Shuttle) startet zu ihrem ersten Weltraumflug. Die ARD zeigt den ersten „Tatort“-Krimi mit Götz George als Hauptkommissar Horst Schimanski, und Depeche Mode veröffentlichen ihr erstes Album „Speak And Spell“.

Damit starten die Briten einen musikalischen Feldzug, der auch rund 25 Jahre später noch andauert. Bei der Gründung der Band ein Jahr zuvor hat wohl noch niemand damit gerechnet – weder die ersten Fans noch die damaligen Mitglieder Vince Clarke, Martin L. Gore, Andrew Fletcher und die später dazu stoßenden Dave Gahan und Alan Wilder – dass es Depeche Mode auch im Jahre 2005 noch geben würde, unverändert innovativ und fanreicher als je zuvor, wenn auch schon seit 1981 ohne Clarke und seit 1995 ohne Wilder. Schon mit der ersten Single „Just Can’t Get Enough“ schreiben die damaligen Frischlinge Musikgeschichte. Es folgen ebenso einschneidende wie bis heute aktuelle Alben wie „Some Great Reward“, „Black Celebration“ „Violator“, „Songs Of Faith And Devotion“ und das 2001 veröffentlichte „Exciter“. Ihre Tourneen führen sie durch stets ausverkaufte Hallen, und im vergangenen Jahr erscheint mit „Remixes 81-04“ eine Chronik des bisherigen Depeche-Mode-Schaffens in neuem Gewand mit Remixen aktueller Künstler. Stieß ihr letztes Studioalbum nicht bei allen Fans und Kritikern auf offene Ohren, so dürfte dies mit dem am 14. Oktober 2005 erscheinenden neuen Werk, „Playing The Angel“, wieder der Fall sein.

The Darkest Stars
Gahan, Gore und Fletcher releasen mit „Playing The Angel“ ihren elften Longplayer, der musikalisch an ältere Tage erinnert und dennoch frisch und ein Stück weit reifer wirkt. Nach „Exciter“ haben Gore und Gahan erstmal ihrerseits Solo-Projekte gestartet, während Fletcher an seiner DJ-Karriere feilte. Bereits seit vielen Jahren leben die drei mit ihren Familien mehrere tausend Kilometer von einander entfernt und haben dennoch wieder zusammen und zu ihrer alten Form zurück gefunden. Ich treffe Andy Fletcher an einem sonnigen Septembertag im Berliner Grand Hyatt, um mich mit ihm über das neue Werk und die Ereignisse der vergangenen Zeit zu unterhalten. Gerüchte über eine Trennung Depeche Modes gab es immer wieder, doch weder die mittlerweile überwundene Drogensucht Gahans noch kleinere Streitereien unter den Bandmitgliedern konnten ihnen unterm Strich etwas anhaben. Der Trick hierbei ist möglicherweise, dass sich die Band selbst nie unter Druck gesetzt hat. So war nie wirklich klar, wie es weiter geht. Man hat vielmehr alles auf sich zukommen lassen. Auch bestand nie von vornherein der Plan, nach dem zehnten Longplayer auch noch einen elften zu produzieren. „Es gab nie einen großen Masterplan, für das, was wir tun“, erklärt Andy Fletcher zu Beginn des Gespräches. „Nach der ‚Exciter’-Tour war erst mal nur klar, dass sich jeder um seine eigenen Side-Projekte kümmern wollte. Erst als das alles gelaufen war, haben wir uns einige Male wieder getroffen und beschlossen, ein weiteres Album zu produzieren. Wir hatten allerdings auch nie den Plan, keines mehr zu machen. Die Gerüchte über eine Trennung gibt es, so lange ich denken kann. Wir selbst haben jedoch niemals darüber nachgedacht. Nie haben wir gesagt: ‚Das ist das letzte Album oder die letzte Tour.’“ Anders als andere Bands, die ebenfalls schon einige Jahrzehnte am Ball sind und immer mal wieder die letzte Tournee ankündigen, ehe sie dann zur nächsten aufbrechen, um noch schnell ein paar Dollar zu verdienen und den Ruhm auszukosten, ehe sie zu gebrechlich und senil sind. „Leute, die zum Beispiel Konzerte der Rolling Stones besuchen, wollen in erster Linie die alten Songs aus den Anfangstagen der Band hören. Zu uns kommen Menschen, die zumindest für das Interesse zeigen, was wir in den letzten fünf bis zehn Jahren gemacht haben. Die glorreiche Zeit der Stones war in den 60ern, wir hatten so einige glorreiche Perioden. Einige Fans mögen die ‚Black Celebration’-Phase, andere wiederum eher die Sachen aus der ‚Violator’-Zeit und wieder andere hoffentlich unsere aktuellen Sachen.“ Damit gehören Depeche Mode eindeutig zu den generationsübergreifendsten Bands unserer Zeit. „Wir müssen eine Menge neue Fans haben, denn unsere Konzerte sind heute noch schneller ausverkauft als früher. Wir scheinen heute populärer zu sein als in unserer ganzen bisherigen Karriere. Wir mögen den Gedanken, dass es auch viele junge Depeche-Mode-Fans gibt.“ Und diese kommen nicht von ungefähr, und so stellt sich die Frage, ob man nach all der Zeit als Musiker und Mitglied einer solch erfolgreichen Band dennoch immer einen gewissen Erfolgsdruck verspürt, die Angst davor, mal nicht den Nerv der Zeit zu treffen. Immerhin spaltete schon „Exciter“ die Fangemeinde in zwei Lager. „Natürlich wollen wir mit dem was wir machen erfolgreich sein. Das ist der Grund dafür, warum wir Promotion machen, warum wir Interviews geben. Wäre es uns egal, könnten wir darauf auch verzichten.“ Braucht eine Band wie Depeche Mode wirklich noch Promotion, oder ist ein neues Album nicht irgendwie auch ein Selbstläufer? „Wir glauben schon, dass wir das noch brauchen. Anders als U2, die sich selbst als die größte Band der Welt sehen. Wir wollen, dass unsere Platte funktioniert.“

„Wir glauben, dass wir die Promotion noch immer brauchen – anders als U2, die sich selbst als größte Band der Welt sehen.“

The Revelators
Möglicherweise ist auch das der Grund dafür, dass „Playing The Angel“ wieder ein Stück weit ekstatischer klingt als sein Vorgänger und so den Geschmack der Fans besser treffen dürfte. „Es ist immer noch sehr düster, aber ‚Exciter’ war eher ein Down-Album mit langsameren Songs. Auch durch die Zusammenarbeit mit Ben Hillier klingt das neue ganz anders. Ben hat wieder mehr Energie in das Projekt gebracht.“ Die Zusammenarbeit mit Ben Hillier, der zuvor für Bands wie Dove, Elbow, Blur und Suede tätig war, scheint keinesweges selbstverständlich, liegen zwischen seinen bisherigen Produktionen und Depeche Mode doch Welten. „Wir haben uns mit einigen Produzenten getroffen, hatten bei Ben aber das Gefühl, dass er die beste Einstellung mitbringt. Wir haben mit ihm zuvor gar nicht allzu viel über den Sound, der entstehen soll, gesprochen. Daher ist das Album im Ganzen organischer, als es ‚Exciter’ war. Wir mochten Hilliers vorherige Produktionen nicht einmal besonders. Das Gute ist, dass er nicht auf einen speziellen Sound fest gelegt ist. Er kann mit einer Rockband ebenso gut zusammen arbeiten wie mit einer elektronischen.“ Eine weitere Neuerung ist die Tatsache, dass nicht mehr allein Martin L. Gore für das Songwriting für „Playing The Angel“ zuständig war, sondern auch Dave Gahan drei Nummern („I Want It All“, „Suffer Well“ und „Nothing’s Impossible“) beigesteuert hat. Wo sieht jemand wie Andy, der die beiden seit vielen Jahren kennt und eng mit ihnen zusammen arbeitet, den größten Unterschied zwischen ihnen als Songwriter? „Martin ist ein Weltklasse-Songwriter und hat viele Hits geschrieben. Dave hingegen ist ein noch recht junger Schreiber und macht das erst seit ein paar Jahren. Aber auch er ist darin sehr gut. Seine Songs passen perfekt zum Rest des Albums. Das setzt Martin ein wenig mehr unter Druck“, lacht Andy. „Ich denke, es ist gut für die Band, dass Dave jetzt ebenfalls Songs schreibt. Viele Jahre war er damit zufrieden, die Lyrics anderer zu singen. Das ist ja bei vielen so, wie Pete Townshend von The Who oder einst Oasis, als Liam noch Noels Texte gesungen hat. In den vergangenen zehn Jahren fing dieser Fakt allerdings an, ihn zu frustrieren. Und so war das eine logische Schlussfolgerung, denn auf diese Weise fühlt er sich weit aus mehr in die ganze Sache involviert. Das hat sein Selbstbewusstsein enorm gestärkt. Und das ist der Grund dafür, dass das ganze Album eine fantastische Stimmung rüber bringt. Wir hatten alle eine sehr gute Zeit während der Produktion.“ Damit ist Fletcher der einzige Nicht-Songschreiber Depeche Modes. „Ich bin kein guter Songwriter. Ich könnte mit dir heute Abend ausgehen und über all meine Gefühle sprechen. Das allerdings auf ein Stück Papier zu bringen und daraus einen Song zu machen – das ist nicht mein Ding. Schon als ich in der Schule die Band mit Vince Clarke und Martin Gore gründete, hatten wir mit den beiden zwei fantastische Songwriter, und so war es total überflüssig, mich ebenfalls darin beweisen zu wollen. Da hatte ich viel Glück,“ meint Fletcher selbstkritisch. Sind es auch nicht von ihm geschriebene DM-Songs, die regelmäßig in Tauschbörsen übers Internet verbreitet werden, so ist dies doch auch für Fletch ein durchaus zweischneidiges Schwert. Erst wenige Tage vor diesem Interview ist ein polnischer Fan verhaftet worden, der illegal erworbene Videofiles der ersten Singleauskopplung „Precious“ zum Download zur Verfügung stellte. „Das ist ein großes Thema. Die Major-Plattenfirmen waren diesbezüglich in den letzten zwölf Jahren ziemlich faul. Sie sind viel zu lange vor diesem Problem davon gelaufen, und nun ist klar, dass das kaum noch zu organisieren ist. Wir haben in der Band selbst unterschiedliche Einstellungen dazu. Dave hält das ganz klar für Diebstahl. Du nimmst dir etwas, das jemand anderem gehört, ohne dafür das entsprechende Entgelt zu bezahlen. Ich sehe eher das ganze Bild: Wir haben von vielen Fans, die den Track auf diesem Weg bereits vorab gehört hatten, ein positives Feedback erhalten. Sie mochten die Nummer und das Video. Ich glaube, dass uns das nicht wirklich geschadet hat. Sollte allerdings das Album eine ganze Weile vor dem Release im Internet erhältlich sein, würde das natürlich schon einen erheblichen Schaden anrichten.“

They Want It All
Gehen hier die Meinungen innerhalb der Band auch auseinander, ist man sich ansonsten schon recht häufig einig. Sonst wäre ein Remixalbum wie das des vergangenen Jahres wohl nie fertig geworden. „Die meisten Remixe haben wir gemeinsam ausgewählt, einige wurden von Mute dazu genommen. Wir sagen aber stets Ja oder Nein zu einem Remix und bestimmen so gemeinschaftlich und in letzter Instanz, ob eine Version veröffentlicht wird oder nicht. Natürlich können wir nicht verhindern, dass abgelehnte Remixe nicht doch irgendwann als Bootleg oder im Internet auftauchen. Und so gibt es stets eine Menge inoffizieller Remixe von Depeche-Mode-Nummern.“ Betrachtet man sich die Liste der an „Remixes 81-04“ beteiligten Acts, die u.a. Timo Maas, Speedy J, Kruder & Dorfmeister oder sogar Underworld beinhaltet, stellt sich die Frage, wie wichtig die moderne Clubszene für eine langjährig im elektronischen Bereich tätige Band wie Depeche Mode heute ist. „Die Clubszene war schon immer sehr wichtig für uns. Wir sind eine Kombination aus Rock und Dance. Auch U2 haben von ihren Nummern Dance-Mixe erstellen lassen, sind unterm Strich aber dennoch eine reine Rockband, die höchstens versucht, auch im Dance-Bereich Fuß zu fassen. Schon als wir die Band gründeten, haben wir in kleinen Dance-Clubs gespielt und so überhaupt erst gelernt, wie man performt und die Leute zum Tanzen animiert. Was das Remix-Album so interessant gemacht hat, war die Tatsache, dass wir auch viele neue, aufstrebende Leute ausgesucht haben, die zwar schon lange in der Szene unterwegs sind, ihren großen Durchbruch aber noch nicht hatten.“ Gerade Andy ist der Clubszene eng verbundet, ist er doch neben seiner Tätigkeit bei Depeche Mode auch selbst als DJ unterwegs und hat auch schon in Deutschland den einen oder anderen Club beschallt. „Ich spiele in erster Linie Electro House, oft hängt es aber auch davon ab, wo ich gerade bin. Häufig bin ich in House-Clubs in Italien unterwegs, da verzichte ich dann in gewisser Weise auf Electro. Seit Anfang des Jahres bin ich allerdings zu sehr in das Depeche-Mode-Ding involviert, so dass ich momentan nicht mal ein ordentliches Set zusammen bekäme. Martin hingegegen hat in diesem Jahr so manches Mal als DJ gespielt und legt dann viel Minimal Techno auf. Er ist da derzeit ziemlich gut im Thema, und dies ist möglicherweise auch einer der Gründe, warum das neue Album mehr uptempo ist als das letzte. Irgendwie ist er mehr dancy momentan,“ lacht Andy. Im Mai diesen Jahres ist unter dem Titel „Enthüllt: Depeche Mode“ auch in deutscher Sprache eine Biographie der Band von einem gewissen Jonathan Miller erschienen. Kann so ein Buch einem echten Fan empfohlen werden, oder ist doch vieles, was geschrieben wird, reine Fiktion? „Das Meiste, das veröffentlicht wird, ist inoffiziell. Wir haben noch niemandem unsere ganze Geschichte erzählt. Allerdings haben wir Jonathan Miller schon in gewisser Weise ein bisschen unterstützt. Wir müssen immerhin unser Einverständnis zur Veröffentlichung eines solchen Buches geben. Im Grunde sind allerdings all diese Bücher wesentlich interessanter, als die Story, wie wir sie erzählen würden, da wir natürlich auf all die bösen Geschichten verzichten würden“, scherzt Fletch. Und von diesen Geschichten gibt es sicher so einige, denn in 25 Jahre Bandgeschichte ist so einiges passiert. Hätten die Jungs selbst es jemals gelaubt, wenn ihnen 1981 jemand erzählt hätte, sie würden 2006 noch immer auf der Bühne stehen und in ausverkauften Hallen spielen? „Nein, ein ganz klares Nein. Als wir die Band gründeten, waren wir gerade einmal siebzehn. Zu dieser Zeit hatte man vielleicht zwei oder drei Jahre ein Band und gründete dann eine neue. Wir hätten nie geglaubt, dass wir 2005 noch so populär sein und eine Tour planen würden, die in kürzester Zeit ausverkauft ist. Wir haben wirklich eine unglaubliche Karriere vorgelegt.“ Hat das die einst als Freunde gestarteten Mitglieder zusammen geschweißt, oder hat sich das Verhältnis aufgrund der mittlerweile bestehenden räumlichen Distanz zwischen ihren Wohnorten London, New York und Kalifornien, eher zu dem reiner Arbeitskollegen entwickelt? „Ich bin sehr glücklich darüber, dass ich mit Martin immer noch so gut befreundet bin. Wir kennen uns schließlich schon, seit wir elf sind. Vince lernte ich kennen, als ich acht war. Dave kam später dazu, er ist mehr wie ein Bruder für mich. Das Verhältnis zu ihm ist ganz anders. Er nimmt heute keine Drogen mehr, trinkt keinen Alkohol. Da ist es für ihn schon mal schwer, zuviel gemeinsam mit Leuten abzuhängen, die damit keine Probleme haben.“

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