„Der Fall Richard Jewell“: Eastwood inszeniert tragischen Antihelden

„Der Fall Richard Jewell“: Eastwood inszeniert tragischen Antihelden

Mit Corona-Verspätung kommt Clint Eastwoods neues Drama in die Kinos. „Der Fall Richard Jewell“ erzählt die wahre Geschichte eines Wachmanns, der nach einem Attentat 1996 zunächst als Held gefeiert wird, ehe er als „einsamer Bombenleger“ unter Verdacht gerät.

Für seine neueste Regiearbeit hat sich der mittlerweile 90 Jahre alte Clint Eastwood der tragischen Geschichte des Sicherheitsmanns Richard Jewell angenommen. Die beginnt am 27. Juli 1996, als bei den Olympischen Spielen in Atlanta eine Rucksackbombe hochgeht. Zwei Menschen sterben, über 100 weitere werden verletzt. Dass nicht mehr passierte, ist dem Einsatz von Jewell zu verdanken, der daraufhin als Held gefeiert wurde. Doch dann geriet der Wachmann ins Zentrum der FBI-Ermittlungen. So schnell, wie ihn Medien und Politik zuvor hochgejubelten hatten, so schnell vorverurteilten sie ihn nun als „einsamen Bombenleger“.

Daraufhin muss der von Paul Walter Hauster berührend gespielte Hauptprotagonist in „Der Fall Richard Jewell“ mithilfe seines Anwalts Watson Bryant (Sam Rockwell) seine Unschuld beweisen. Doch Jewell ist eine ambivalente Persönlichkeit, die nicht immer logisch handelt und trotz des Wissens um die wahren Begebenheiten gelegentlich Zweifel daran aufkommen lässt. Verhätschelt von seiner Mutter Bobi (Kathy Bates), bei der er trotz seiner 33 Jahre noch immer noch wohnt, wirkt der korpulente und behäbige Jewell wie ein naives Riesenbaby. Er ist getrieben von der Suche nach einem Platz in dieser Welt, an dem er eine wichtige Rolle spielt. Für eine Karriere bei der Polizei hat es nicht gereicht, und so nimmt der Waffennarr seinen Job beim Sicherheitsdienst extrem ernst. Noch etwas, wofür er belächelt wird.

Fester Glaube an Gerechtigkeit

Doch es ist seiner stoischen Ernsthaftigkeit zu verdanken, dass ihm im Randbereich der Olympischen Spiele ein verlassener Rucksack auffällt. „Da ist eine Bombe im Centennial Park. Ihr habt noch 30 Minuten!“ sind die Worte, mit denen Jewell die Behörden telefonisch informiert. Die Polizei findet die Bombe, die zwar dennoch hochgeht, doch kann der Bereich durch die Beamten und Sicherheitsmitarbeiter – darunter auch Jewell – vorher weitgehend geräumt werden. So wird eine noch größere Katastrophe verhindert. Jewell steht plötzlich als Held von Atlanta im Mittelpunkt. Er sonnt sich in seinem neuen Ruhm, bis das FBI vier Tage später glaubt, er könne die Bombe dort selbst platziert haben, um genau diese Aufmerksamkeit zu provozieren.

Jewell ist ein schräger Antiheld, der trotz seiner erwiesenen Unschuld nie wieder in die Rolle als gefeierter Lebensretter zurückkehren darf. Er vertraut auf das Rechtssystem und dessen Vertreter und rückt davon auch nicht ab, als die Ermittler sein Leben ebenso auf den Kopf stellen wie das Haus seiner Mutter bei der Durchsuchung. Jewells fester Glaube an die Gerechtigkeit und seine Naivität treiben seinen Anwalt, aber auch den Zuschauer immer wieder zur Verzweiflung.

Zurückhaltend und präzise

Eastwood erzählt Jewells Geschichte auf die für ihn typische zurückhaltende und effiziente Art. Er inszeniert seinen Protagonisten als die gebrochene Figur, die er ist. Und er macht ihn auch dann nicht zum strahlenden Sieger, als er endlich beginnt, sich doch noch gegen das System aufzulehnen. Zwar gelingt es ihm und seinem Anwalt nach Monaten, zu beweisen, dass FBI und Medien falsch lagen, doch ist das Rampenlicht zu diesem Zeitpunkt längst erloschen.

Eine Entschuldigung oder gar Entschädigung gab es seitens FBI oder Presse für Jewell nicht. Dafür nun allerdings Beschwerden unter anderem vom Medienunternehmen Cox Enterprises, das seinerzeit über den Fall berichtete. Tatsächlich zeichnet Eastwood ein Amerika, in dem es eine enge Verbindung zwischen Behörden und Presse zu geben scheint. Unter anderem unterstellt er der mittlerweile verstorbenen Journalistin Kathy Stuck, hauptsächlich für den Fall von Jewell verantwortlich zu sein. Sie soll sich durch Sex mit einem FBI-Ermittler die nötigen Informationen besorgt haben. Am Ende vermischen sich bei „Der Fall Richard Jewell“ Realität und Fiktion vermutlich zugunsten der Dramaturgie, womit die Story durchaus an der Grenze zu Verschwörungstheorien und der Fake-News-Debatte kratzt.

Erst zwei Jahre nach den Ereignissen des Films fiel der Verdacht übrigens auf Eric Rudolph, der sich daraufhin vier Jahre lang vor den Behörden verstecken und erst 2003 verhaftet werden konnte. Rudolph war ein Aktivist der „Army of God“, einer christlich-fundamentalistischen Terrororganisation in den USA. Er hatte in der Vergangenheit schon Anschläge auf Abtreibungskliniken und Schwulenclubs begangen. Er sitzt bis heute in einem Gefängnis in Colorado. Richard Jewell dagegen starb 2007 an den Folgen verschiedener Erkrankungen im Alter von nur 44 Jahren.

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