„Die Aussprache“: Gefangen zwischen Glaube und Patriarchat

„Die Aussprache“: Gefangen zwischen Glaube und Patriarchat

Gut zehn Jahre nach ihrem letzten Film kehrt Sarah Polley als Regisseurin zurück ins Kino und hat sich für „Die Aussprache“ ein zeitloses und doch brandaktuelles Thema ausgesucht. Es geht um Machtmissbrauch, Gewalt gegenüber Frauen und deren Auflehnung gegen patriarchale Strukturen.

2011 standen in Bolivien sieben Männer der erzkonservativen Mennonitengemeinde Manitoba Colony vor Gericht, nachdem sie zuvor vier Jahre lang 100 Frauen und Mädchen ihrer Gruppe unter Drogen gesetzt und sexuell missbraucht hatten. Dieser verstörenden Geschichte widmete sich Autorin Miriam Toews einige Jahre später in einem Roman, der nun seinerseits dem Film „Die Aussprache“ als Vorlage diente.

Die Männer wurden damals zu langen Haftstrafen verurteilt, doch spielt das hier erstmal keine Rolle. Die Ereignisse in dem Werk von Drehbuchautorin und Regisseurin Sarah Polley setzen deutlich früher an. Der englischsprachige Originaltitel von Buch und Film lautet „Women Talking“, was deren Inhalt deutlich besser beschreibt. Worum geht es also?

Verzeihen, kämpfen oder gehen?

Die Übergriffe der Männer der Kolonie sind öffentlich geworden. Die Täter wurden verhaftet und befinden sich gerade im Gefängnis der von der Kolonie weit entfernten Stadt. Doch schon in 24 Stunden werden sie zurückkehren. Den Frauen vor Ort stellt sich nun die Frage, was zu tun sei. Bleiben und den Männern ihre Taten verzeihen, was ihrem Glauben entspräche, aber auch weiteres Leid bedeuten würde? Oder bleiben, um sich den Männern entgegenzustellen und zukünftige Übergriffe kämpferisch zu verhindern? Ein sicherlich unmögliches Unterfangen. So bliebe ihnen nur noch die Möglichkeit, die Kolonie zu verlassen, um an einem anderen Ort eine neue zu gründen – ohne die Männer.

Darüber entscheiden soll eine Gruppe aus acht Frauen, die ganz unterschiedliche Standpunkte vertreten und diese wortreich in der Scheune zum Ausdruck bringen. Die nach einem der gewaltsamen Übergriffe schwangere Ona (Rooney Mara) denkt laut darüber nach, ob die Männer nicht auch bloß Opfer der Strukturen sind. Mariche (Jessie Buckley) ist ihrem brutalen Ehemann hörig und bereit, weitere Qualen für sich und ihre Töchter in Kauf zu nehmen. Die wütende Salome (Claire Foy) hat indes genug von all dem und bereits einen der Täter mit einer Sense angegriffen, wofür ihr womöglich bald eine Strafe droht. Entsprechend schwer fällt es den zwar ungebildeten, aber nicht dummen Frauen, einen Konsens zu finden. Sie alle kennen schließlich nur das Leben in der Kolonie unter der gewalttätigen Herrschaft der Männer und können mit dem Begriff der Freiheit nicht so recht etwas anfangen. Der einzige Mann, der in dieser Runde geduldet wird, ist Lehrer August Epp (Ben Whishaw). Er muss den unterjochten Frauen, die nie lesen und schreiben lernen durften, dabei helfen, Pro- und Kontralisten zu erstellen.

Klaustrophobische Zustände

Die Kanadierin Sarah Polley, einst selbst vor der Kamera und zuletzt mit „Take This Waltz“ (2011) und „Stories We Tell“ (2013) als Regisseurin in Erscheinung getreten, lässt Ort und Zeit der Ereignisse offen. Auch verzichtet sie – wie schon der #MeToo-Film „She Said“ – auf die Darstellung expliziter Gewalt, zeigt stattdessen Frauen kurz nach den Übergriffen in ihrer Not und Verzweiflung. Brillante Bilder in entsättigten Farben in Kombination mit der Musik der isländischen Cellistin Hildur Guðnadóttir unterstreichen die Ambivalenz des Lebens dieser Frauen.

Da ist das romantische Landleben, glückliche Kinder, die über Wiesen springen. Ein Bild, das durch die bevorstehende Rückkehr der Gewalttäter bedroht ist. Und da sind die Flashbacks der Opfer, blutverschmiert und traumatisiert. Zudem fängt Kameramann Luc Montpellier die einer Theaterinszenierung gleichenden Szenen in der Scheune ein, in der die Frauen in langen Dialogen ihre Argumente austauschen. Das hat etwas Klaustrophobisches und spiegelt die Lage, in der sich die Protagonistinnen zeit ihres Lebens befunden haben, wider.

Unterdrückung und Machtmissbrauch

„Die Aussprache“ ist ein Film über patriarchale Unterdrückung, Gewalt und den Missbrauch religiösen Glaubens, denn er ist in einer Gemeinschaft wie dieser eine enorme Triebfeder. Er ist es, der es den Männern überhaupt erst möglich machte, die Frauen so lange kleinzuhalten, ihnen niedere Aufgaben sowie das Austragen und Aufziehen der Kinder zuzuweisen und sie von jeglicher Form der Bildung fernzuhalten. Und so haben diese Frauen keine Ahnung, wie die Welt außerhalb der Kolonie aussieht, funktioniert und was sie dort erwartet.

Der Cast, dem auch eine stoisch dreinblickende und schweigsame Frances McDormand, eine der Produzentinnen des Films, angehört, ist fantastisch, was für eine dialoggetriebene Geschichte wie diese unabkömmlich ist. An der einen oder anderen Stelle fehlt es den Figuren allerdings an Tiefe, auch kratzen die Diskussionen oft etwas zu sehr an der Oberfläche. Dennoch ist „Die Aussprache“ ein Drama, das einem an die Nieren geht und dessen Macher sich nicht ohne Grund unter anderem über einen Golden Globe und zwei Oscar-Nominierungen freuen dürfen.

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