Die „Ozapft is“-Übernahme

Die „Ozapft is“-Übernahme

Es ist Wiesn-Zeit – und das bedeutet, dass man sich von Facebook besser für einige Tage zurückzieht, wenn man keine Lust auf Fotos von aus Dekolletés quellenden Brüsten, halbleeren Maßkrügen und angegessenen Hendln hat. Selbst Menschen, die der bayrischen Lebensart sonst nichts abgewinnen können, mutieren zu optisch überzeugenden Dorftrotteln in Tracht und Zwirn.

Was ist es, was Bayern wie Touristen Jahr für Jahr in Dirndl und Lederhosen schlüpfen lässt, um sich die völlig überteuerte und nach fünf Minuten bereits pisswarme Bierbrühe literweise in den Kopf zu kippen? Es ist vermutlich dasselbe Virus, dass Kölner und Touristen in jedem Frühjahr in selten schöne Kostüme schlüpfen und fremden Menschen die Zunge in den Hals stecken lässt. Nennen wir das Virus Eskapismus gepaart mit einer Menge Alkohol. Für das Geld, das man auf der Wiesn in drei Tagen verjubelt, könnte man genauso gut eine dreiwöchige Reise nach Thailand unternehmen. Nur kotzt und vögelt es sich da unter Umständen nicht so schön bzw. kostet das Vögeln extra. Und es ist doch so nett, sich nach mehreren Maß im Kollektiv auf die Wiesen zu übergeben. Das macht frei und verbindet zugleich. Womöglich hat die Veranstaltung auch daher ihren Namen? Ich weiß es nicht.

Der einzige Unterschied zwischen Karneval und Wiesn ist, dass der Bayern-Virus um sich greift und inzwischen auch Städte im Rest des Landes befällt – und für die Bayern ist ja alles neben Bayern der Rest des Landes/der Welt. Gerade finden Oktoberfeste in sämtlichen Groß- und Kleinstädten, ja sogar im hinterletzten Dorf in Norddeutschland statt. Im Supermarkt stolpert man über blauweiße Dekorationen, Brezln und Weißbier, und als Hommage an Münchens Wiesn habe ich erst letztens wieder jemanden am Straßenrand kotzen sehen. Die bayrische Infiltration Deutschlands läuft.

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