Digitalism – Prozessoptimierung

Digitalism – Prozessoptimierung

Fünf Jahre ist es her, dass Digitalism mit »I Love You, Dude« ihr zweites Album veröffentlichten. Angesichts der sonstigen Umtriebigkeit des Duos eine recht lange Zeitspanne. Schuld daran war also weniger eine vermeintliche Bequemlichkeit von Jens »Jence« Moelle und İsmail »Isi« Tüfekçi als vielmehr ihre permanente Überbeschäftigung. Ständig durch die Weltgeschichte tingelnd, gab es 2012 zumindest mal eine »DJ Kicks« der beiden und ein paar einzelne Tracks wie »Electric Fist« und »Wolves«. Nun aber ist mit »Mirage« endlich ein neues Album am Start und auf dem zeigen sich Digitalism so, wie man sie kennt und liebt. Ein extrem gelungener Mix aus Elektronischem und Indierock, doch reifer und reiner als einst beim Albumdebüt »Idealism« im Jahr 2007. Steckte das Projekt Digitalism damals noch in den viel zitierten Kinderschuhen, war es mit »I Love You, Dude« mitten in der Pubertät, um mit Album Nr. 3 nun ins Erwachsenenalter einzutreten. Funktional, ekstatisch und fantastisch.
Ich treffe Jence und Isi am Tag nach ihrem Boiler-Room-Set in Berlin, bei dem sie an der Seite von Kollegen wie Âme, Breakbot und Nicole Moudaber auflegend vor der Kamera standen. »Hot war es. Es hat wieder sehr viel Spaß gemacht«, so Jence. Immerhin ein legendärer Abend, wurde die Party während des Âme-Sets doch aus bislang unbekannten Gründen von der Polizei gestoppt (Anm. d. Red.: HIER gibt es den Grund). Jence weiß um die Vorteile, die eine solche Einladung birgt: »Es bringt einem innerhalb der DJ-Mafia eine gewisse Anerkennung. Da wird ja immer alles recht exklusiv gehalten. Die machen zwar viele Veranstaltungen, aber es ist gut, mal dabei zu sein, weil wir immer ein bisschen die Außenseiter sind. Mit einem Fuß in der einen, mit dem zweiten in der anderen Szene, vermischen wir ganz viele Musikrichtungen. In dem Fall ist es wichtig, mal so gutes altes DJ-Zeug abzuliefern, denn dafür steht boilerroom.tv ja eigentlich.« Die Musikerseele von Digitalism ist also nach wie vor zweigeteilt, dennoch hat sich Grundlegendes verändert bei den Hamburgern. Jence zog es vor einigen Jahren nach London, was für beide eine Residency im dortigen Club XOYO mit sich brachte. »Ich war immer mal wieder dort, aber auch häufig in Hamburg. Jetzt gerade macht London keinen Sinn, weil wir auf Tour sind, und man muss da ja nicht was mieten, was die ganze Zeit leer steht. Dafür ist London dann doch ein bisschen zu teuer«, erzählt er. Im Vergleich zum recht beschaulichen und bequemen Hamburg ist London aber doch eine echte Metropole mit sehr vielen Menschen und einem gewissen Stresspegel. »Aber das gehört dazu«, wirft Nicht-Wahllondoner Isi verständnisvoll ein. »Man zieht ja bewusst irgendwohin. Und die Fülle und der Stress sind so Kleinigkeiten, darüber darf man sich dann auch nicht aufregen.« Genauso wie die zugezogenen Berliner sich eigentlich auch nicht über die Rollkoffer der Touristen in Kreuzberg ärgern dürften. »Man sucht sich das ja aus. Hamburg ist sehr ruhig, in Berlin ist schon mehr los, aber hier ist alles recht weitläufig. In London schieben sich die Leute, aber das weiß man vorher. Nur wenn man da geboren wird, hat man wahrscheinlich gar keine Lust darauf. Aber es ist eben ein guter Kontrast zu Hamburg«, meint Jence.
Dem Albumproduktionsprozess hat der durch die zwei getrennten Wohnorte verursachte Organisationsbedarf eher geholfen als geschadet. »Wir haben das super organisiert«, meint Isi. »Ideen ausgetauscht per Internet, rüber geflogen, Ideen fertig gemacht, rohes Layout und finalisiert in Hamburg oder London. Da gab es dann so etwas wie einen Terminplan und man sieht auch zu, dass man den einhält.« Am Abend versumpfen und am Morgen liegen bleiben – das fällt dann natürlich flach. Mehr Druck, mehr Tempo. »Genau. Bei den anderen Platten sind wir erst mal ins Studio gegangen und haben gewartet, dass was passiert. Mit so einer Arbeitsweise geht das halt nicht«, bestätigt Jence. Neue Impulse durch eine Metropole wie London sind als Inspirationsquelle womöglich auch nicht ganz ungewollt. »Ich war immer für drei, vier Tage bei Jence in London zum Arbeiten, aber man nimmt natürlich auch Eindrücke von außerhalb mit. Man geht essen, trifft sich mit Freunden, die man dort hat. Oder man nimmt sich bewusst an einem bestimmten Ort ein Hotel, um sich tagsüber mal die Gegend drum herum anzugucken«, so Isi. Und dennoch besteht Jence darauf, dass der Digitalism-Sound recht unabhängig von Ort und Zeit entsteht. »Direkt findet man auf dem Album keinen London-Einfluss, glaube ich. Ein bisschen spielt das sicherlich rein, wie auch die Arbeitsweise, aber nicht bewusst.«
Entstanden ist jedenfalls ein Longplayer mit ganzen 15 Tracks, Input und Output gab es also offenbar mehr als genug. Dass es recht viele Stücke geworden sind, ist nach einer so langen Pause nachvollziehbar. »Unsere Fanbase ist ziemlich albumorientiert. Natürlich ist die auch da, wenn wir nur einzelne Tracks veröffentlichen. In dieser Zeit verliert man Fans, aber man gewinnt auch welche dazu. Doch die meisten haben wohl eher auf ein Album als auf eine Single gewartet«, glaubt Isi. Eigentlich im streamingerprobten Digital Lifestyle eher ungewöhnlich. »Die Leute playlisten heute ja nur noch. Das ist eine logische Entwicklung. Aber es war sowohl für uns als auch für unsere Fans nach all den Jahren wichtig, mal wieder zu sehen, wofür wir eigentlich stehen. Und der Sound manifestiert sich dann eher auf Albumlänge«, erklärt Jence den gedanklichen Auslöser für »Mirage«. Es ist also ein Album für die Fans, aber auch für Digitalism selbst. »Klar, wir wussten selbst nicht genau, was unser Sound 2015/2016 ist. Wir hatten auch keine Ahnung, in welche Richtung das Album schlussendlich gehen würde. Deswegen war es ganz wichtig, es zu machen. Jetzt wissen wir Bescheid.« Das lässt darauf schließen, dass keine Stücke dabei sind, die bereits eine Weile in der digitalen Schublade vor sich hin darbten, sondern alles frisch entstand. »,Blink‘ ist der einzige Track, der als Gerüst schon zweieinhalb Jahre alt ist. Der Rest ist wirklich komplett neu«, bestätigt Isi. Das ganze Album ist in sechs Monaten entstanden. So auch der Track »The Ism«, der eine recht kuriose Entstehungsgeschichte hat: »Wir waren 2014 mit einer Live-Tournee in den Staaten unterwegs, als unser Busfahrer Tony Wilson zu uns meinte, er könne rappen.« Also rappte Tony, während neben ihm der Busmotor dröhnte. Eine wirklich schlechte Handy-Sprachaufnahme, die erst im Studio ihre wahre Qualität entfaltete. »Jence und ich waren davon so geflasht. Erst sollte es nur ein Interlude werden, nun ist es doch ein ganzer Song. Tony singt über die Tour, was der Tourmanager macht, was der Lichtmanager macht. Das hat es super auf den Punkt getroffen, dazu noch die Hook … perfekt.« Mit Youngblood Hawke ist bei »Destination Breakdown« außerdem eine Indierock-Band dabei, mit der schon die Single »Wolves« 2014 entstand und die wohl am deutlichsten zeigt, dass zwei Herzen in der Digitalism-Brust schlagen. Dieser Tage nun geht es für Isi und Jence auf Tour. Zunächst sind kleinere Clubs wie das Kölner Gebäude 9 und das Ritter Butzke in Berlin dran, gefolgt von einer zweiwöchigen USA-Tour, ehe die großen Festivalbühnen rufen. Hurricane, Southside, MELT! und SonneMondSterne zum Beispiel. Die Live-Show steht, für Isi und Jence kann es gern direkt losgehen. Von mir aus auch.

www.thedigitalism.com

Previous post Ein Mäh-Gedicht über Erdoğan
Next post Pantha Du Prince – Drei sind keiner zu viel