Dr. Motte: „Es gibt nur eine Rasse, das ist der Mensch“

Dr. Motte: „Es gibt nur eine Rasse, das ist der Mensch“

Am 1. Juli feiert die Loveparade in Berlin ihren 30. Jahrestag. Was 1989 mit 150 Menschen und drei winzigen Trucks auf dem Kurfürstendamm begann, wurde in den Folgejahren zu einem der größten und für Deutschland wichtigsten kulturellen Großevent. Mit elektronischer Musik für die Völkerverständigung – so lautete lange die Idee des Partyumzugs.

Im Jahr 1999 kamen unter dem Motto „Music Is The Key“ 1,5 Millionen Partyjünger in die Hauptstadt, um auf der Straße des 17. Juni zu den Sounds internationaler DJs wie Carl Cox zu feiern. Der Blick der Menschen im nahen und fernen Ausland auf die Deutschen veränderte sich, verbesserte ihren Ruf. Bis Anfang der Nullerjahre die ersten Probleme zwischen den Veranstaltern und der Stadt auftraten und sich Loveparade-Erfinder Matthias Roehnig alias Dr. Motte bald gezwungen sah, die Marke zu verkaufen.

Die Loveparade zog unter der Flagge der Fitnesskette McFit in die Metropole Ruhr, fand in Essen und in Dortmund statt, ehe 2010 Duisburg an der Reihe war. Ein tragischer Schritt, denn aufgrund völliger Fehlplanung starben bei einer Massenpanik 21 Menschen, viele weitere wurden verletzt und traumatisiert. Es war das Ende einer Ära, die für viele allerdings schon mit der letzten Parade in Berlin 2006 ihren Abschluss gefunden hatte.

Im Gespräch mit n-tv.de wirft Dr. Motte noch einmal einen Blick zurück, erklärt, was seinerzeit schiefging und warum es auch heute noch wichtig ist, auf die Straße zu gehen.

n-tv.de: Matthias, was ist das stärkste Gefühl, das du auch noch 30 Jahre nach der ersten Loveparade mit dem Event verknüpfst?

Dr. Motte: Das Allerwichtigste war die Euphorie, die wir alle gespürt haben. Das war unser Feiertag, der Feiertag unserer Musik. Die ganze Freude und die vielen Menschen zu sehen, die bei der Abschlusskundgebung immer ab 18 Uhr in Richtung des DJs gefeiert haben, das war einzigartig. 1999 waren es 1,5 Millionen Leute. Carl Cox sagte danach zu mir: „Ich kriege das nicht in meinen Kopf, das ist zu viel.“ Er hat von der Siegessäule aus in Richtung Ernst-Reuter-Platz aufgelegt und in der ganzen Straße sahst du nichts als Menschen und Trucks. Das hatte er bis dahin noch nicht erlebt.

Innerhalb von zehn Jahren hatte sich die Loveparade extrem entwickelt. War das Gefühl dennoch immer ähnlich?

Wir haben von der ersten Loveparade an etwas Neues kreiert. Es war eine Innovation, dass wir eine Demonstrationsform gefunden hatten, nämlich die Menschen mit Musik zusammenzubringen. Wir haben nicht gegen Krieg, sondern für Abrüstung demonstriert. Damit haben wir die Versammlung damals auch angemeldet. Das Motto war: Friede, Freude, Eierkuchen. Friede für Abrüstung – auch zwischenmenschlich, Freude an der Musik war unser Mittel zur Völkerverständigung und Eierkuchen stand für eine gerechte Nahrungsmittelverteilung. Und das ist heute doch mehr als aktuell.

Es ist quasi ein Dauerthema …

Klar, wenn ich mir angucke, wie viele Kriege wir auf diesem Planeten haben, ist das doch ein Grund, auf die Straße zu gehen und zu sagen: „Wir sind die Familie der Menschen und wir wollen uns so verhalten, dass jeder Teil dieser Familie ist.“ Es gibt keine Rassen, es gibt nur eine, und das ist der Mensch. Es war von Beginn an meine Vision, die Loveparade immer wieder in Berlin zu machen, sie wachsen zu lassen und andere Länder dazu zu inspirieren, ebenfalls eine zu veranstalten. In Zürich beispielsweise gab es dann 1992 die erste Streetparade und die gibt es heute noch.

Gibt es in deinen Augen heute sonst noch etwas Vergleichbares?

Naja, die Fusion, würde ich sagen, allein wegen der besonderen Situation, der sie in diesem Jahr ausgesetzt war. Die Veranstalter selbst bezeichnen ihr schon über 20 Jahre lang existierendes Festival als „Ferienkommunismus“, weil da alles mit allen geteilt wird. Man lässt die reale Welt zurück und kreiert seine eigene neue. Wenn es um elektronische Tanzmusik geht, ist es dort wie auch sonst überall immer friedlich. Bei der Fusion haben die Macher immer dafür gesorgt, dass sie mit ihrer eigenen Security klarkamen. Und jetzt kommt da ein neuer, unerfahrener Polizeipräsident und lässt neue Auflagen erarbeiten – von einem verurteilten Schläger, der Dozent bei der Polizeihochschule ist. Das ist ein No-Go. Da fühle ich mich persönlich angegriffen, weil es um unsere Kultur geht.

Welche Hürden musstet ihr für die Loveparade seinerzeit nehmen? Worauf bist du da bis heute stolz?

Am Wichtigsten ist für mich nach wie vor, dass wir es überhaupt geschafft haben, in den 1990er-Jahren so lange zu existieren. Dass wir am Ende auch für die Müllfrage eine Lösung gefunden haben. Und dass wir vom Kudamm eine neue Strecke auf der Straße des 17. Juni gefunden haben. Eine Strecke, die sicher gewesen ist, viele Menschen dezentral dort hinkamen und größere Unfälle ausgeblieben sind.  Und auch die Stadt, Feuerwehr et cetera haben wie wir viel daraus gelernt – zum Beispiel für folgende Großveranstaltungen wie das Public Viewing auf derselben Straße.

Anfang der Nullerjahre gab es dennoch die ersten massiven Probleme mit den Behörden …

2001 hatten wir uns zu spät darum gekümmert, die Loveparade wieder als Demonstration anzumelden. Leider hatten wir mit der Stadt auch keine Verträge darüber und es gab dort ein paar Loveparade-Hasser. Als wir unsere Anmeldung schließlich abgaben, gab es von der Polizei die Ansage, dass dort auf der Strecke nun schon eine andere Demonstration am selben Tag angemeldet sei. Das hat alles, was danach kam, verändert.

Euch wurde der Demonstrations-Status aberkannt. Der Anfang vom Ende quasi.

*Datenschutz

Der eng gefasste Begriff von Demonstration lautet: Man skandiert Parolen, hält Banner hoch, verteilt Flugblätter, diskutiert ein Thema und hält Reden. Der weitgefasste ist, dass allein die körperliche Anwesenheit dem Demonstrationsmotto zustimmt. Das haben wir leider vor dem Verwaltungsgericht nicht durchsetzen können. Dabei ist in einer politischen Gesellschaft im öffentlichen Raum eigentlich alles politisch. Selbst wenn man sich davon abwendet, politisch zu sein, ist das ein politischer Akt. Wir hätten weiter streiten müssen beziehungsweise in den Medien den Druck auf die Stadt erhöhen sollen.

Nun also war die Loveparade also plötzlich eine ganz normale Großveranstaltung – auf einmal musstet ihr für Kosten wie die Reinigung des Tiergartens selbst aufkommen.

Es war nie unsere Absicht, die Loveparade als Demonstration anzumelden, um Kosten zu sparen. Wir waren einfach eine Versammlung, wir haben einen Kulturbeitrag geleistet und mit unserer Musik Menschen aus der ganzen Welt zusammengebracht. Berlin hatte dadurch einen Imagewandel erlebt.

Berlin gilt heute für viele immer noch als die Partyhochburg und Wiege der elektronischen Tanzmusik. Aber wäre die Loveparade in ihrer alten Form hier heute noch möglich?

Das kann ich nicht beurteilen. Wenn ich mir aber anschaue, wie man mit Paraden in Berlin umgeht, was die Polizei da macht, das ist unerhört. Die haben im Umfeld alles verboten. Zum Beispiel beim Karneval der Kulturen (KdK). Keine Rucksäcke, keine Flaschen und so weiter. Man konnte nur mit Hose und T-Shirt dahin. Und diese „Es könnte was passieren“-Haltung ist Wahnsinn. Das geht zu weit, es ist ja noch nicht mal so, dass der KdK eine Demonstration ist. Die haben sich von Anfang an dazu entschieden, eine Veranstaltung zu sein. Die tragen doch eh alle Kosten selbst. Welche Aufgabe hat denn die Polizei? Etwa, solche Veranstaltungen zu verhindern? Ich verstehe es nicht.

Wie hat sich das für dich angefühlt, als du die Loveparade abgegeben und damit den Umzug in die sogenannte Metropole Ruhr möglich gemacht hast?

Mit dem Verkauf habe ich relativ schnell gesehen, dass Rainer Schaller mit seiner McFit-Kette die Loveparade nur als Marketingtool benutzt. Es kann doch nicht sein, dass man Kultur von der Steuer absetzt?! Das war dann für mich ganz schnell durch. Freunde von mir meinten sofort, dass die Loveparade nur in Berlin stattfinden könne, alles andere sei einfach keine Loveparade. Und so war es ja auch. Also habe ich schnell damit abgeschlossen.

2010 markiert dann das finale Aus der Loveparade. Was hättest du dir nach der Katastrophe von Duisburg gewünscht? Mit dem Ausgang des Prozesses kannst du ja nicht happy sein?!

Selbstverständlich nicht. Wie kann es sein, dass 21 Menschen sterben und viele weitere verletzt und traumatisiert werden, und niemand wird dafür verurteilt? Es gab doch Verantwortliche. Es gibt auch immer einen Hauptverantwortlichen, doch am Ende sind die Gesetze in Deutschland diesbezüglich schlecht. Du kannst während der laufenden Veranstaltung deine Verantwortung mündlich auf jemand anderen übertragen. Und genau das hat Rainer Schaller getan.

Und das macht man dann am besten auf möglichst viele unterschiedliche Personen …

Genau, und dann kannst du niemanden greifen. Und das ist dort passiert. Ich finde es unverschämt, dass während des laufenden Prozesses die Verteidiger der Angeklagten die Betroffenen als Simulanten bezeichnen. Jörn Teich, Mitbegründer der Stiftung „Duisburg 24.7.2010“, ist einer der Betroffenen, weil er in dem Menschenknäuel am Tunnel war. Der hatte seither fünf Herzinfarkte und musste einmal sogar reanimiert werden. Er bekommt immer mehr Lähmungserscheinungen. Und vor Gericht wurde er wirklich als Simulant bezeichnet. Was hat denn das alles mit Gerechtigkeit zu tun?

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