„Enfant Terrible“ – Tiefe Verbeugung vor Regie-Genie Fassbinder

„Enfant Terrible“ – Tiefe Verbeugung vor Regie-Genie Fassbinder

Regisseur Rainer Werner Fassbinder gilt zu Lebzeiten als schwierig, aber genial. Darin steht ihm Oskar Roehler heute kaum in etwas nach. So ist es logisch, dass ausgerechnet er ein sehr besonderes Biopic über sein großes Vorbild drehte, das jetzt fürs Heimkino erscheint.

Eigentlich hätte „Enfant Terrible“ vergangenes Jahr bei den Filmfestspielen in Cannes Premiere feiern sollen. Daraus wurde aus wohlbekannten Gründen nichts. Und so fand sich Regisseur Oskar Roehler stattdessen beim Filmfest Hamburg wieder, das von seinem Biopic über Rainer Werner Fassbinder eröffnet wurde. Danach ging es zwar für kurze Zeit ins Kino, doch allzu viele Zuschauer dürfte der Film dort nicht gefunden haben, denn das machte ja dann kurz darauf auch schon wieder zu. Nun also kommt „Enfant Terrible“ auf DVD und Blu-ray fürs Heimkino.

Mit Oskar Roehler und Rainer Werner Fassbinder fand für die Leinwand etwas zusammen, das eigentlich schon immer eng miteinander verbunden war. Zum einen, weil der 1982 an einer Drogenüberdosis verstorbene Kultregisseur einen massiven Einfluss auf die Arbeit des heute 62-jährigen Roehler hatte. Zum anderen gilt dieser als einer der größten Provokateure des aktuellen Kinos und ist damit so etwas wie eine moderne Version von Fassbinder.

1967 ist Rainer Werner Fassbinder erst 22 Jahre alt, als er die Bühne des Münchner Antitheaters stürmt und die Inszenierung – sehr zur Verwunderung aller Anwesenden – an sich reißt. Wenig später avanciert er zu einem der wichtigsten und rebellischsten Regisseure der deutschen Filmgeschichte. Und gilt außerdem als einer der schwierigsten Charaktere in diesem Geschäft. Drogen und Alkohol bestimmen sein Leben und Schaffen und seine unkonventionelle Art zieht die Menschen so an, wie sie sie auch abstößt. Fassbinder quält seine Darsteller, aber auch seine Freunde und Weggefährten, doch halten ihm die meisten von ihnen trotz allem die Stange. Fassbinder führt ein Leben am Limit, getrieben von einer unbändigen Schaffenskraft. Er ist ein Workaholic, wie er im Buche steht. Lange geht das natürlich nicht gut …

Masucci spielt 30 Jahre jüngeren Fassbinder

Zwar wurde Fassbinder nur 36 Jahre alt, dennoch hat sich Oskar Roehler dazu entschieden, ihn mit dem 52-jährigen Oliver Masucci zu besetzen. Grund dafür ist, dass Roehler eben lieber mit Menschen arbeitet, mit denen er „nach Drehschluss noch was Saufen gehen“ kann. Dabei war eigentlich mal der nur wenig jüngere, aber ebenfalls trinkfeste Lars Eidinger für die Hauptrolle im Gespräch. Das kann man einer Folge der Arte-Reihe „Durch die Nacht mit …“ entnehmen, in der Roehler und Eidinger auch über das damals noch in der Planung steckende Projekt sprechen.

Ironischerweise treffen sich die beiden dann ausgerechnet mit Oliver Masucci in einer Kneipe zum Billardspielen, und in dessen Anwesenheit wiederholt Roehler Eidinger gegenüber seinen Wunsch, ihn als Fassbinder zu besetzen. Was danach passierte, wissen wohl nur die drei, doch merkt der Zuschauer schnell, dass die Chemie zwischen Roehler und Eidinger irgendwie nicht stimmte. Am Ende eine gute Entwicklung, denn der hier ungewöhnlich bierbäuchige Masucci ist trotz seines „hohen Alters“ der perfekte Fassbinder.

Es war allerdings wohl auch dieser Entscheidung geschuldet, dass sich die Finanzierung des gewagten Projekts schwierig gestaltete. Und so gab es statt der angepeilten 7,5 Millionen Euro nur 2,5 Millionen, und das 134-minütige Mammutprojekt musste in knappen 25 Tagen abgedreht werden. Erschwerte Bedingungen, wie sie auch Fassbinder hätten unterlaufen können und die dieser ähnlich gut gemeistert hätte wie nun Roehler. Immerhin drehte Fassbinder zwischen 1969 und 1982 ganze 40 Filme und verantwortete diverse TV-Serien, Hörspiele und Theaterstücke.

Empathischer Blick auf Genie und Wahnsinn

Bei so viel Genie war der Wahnsinn natürlich nicht fern und so galt Fassbinder als saufender und koksender Sadist, der seine Darsteller im Dienste der Kunst physisch wie psychisch drangsalierte. Dennoch geht Roehler gnädig mit seinem Idol um, zeigt ihn verletzlich und von einer durchaus sympathischen Seite. Womöglich, weil eben in Roehler ein kleiner Fassbinder steckt – oder umgekehrt – und er ihm deswegen mit allergrößter Empathie begegnet.

„Enfant Terrible“ entstand komplett im Studio, die Kulissen sind gemalt, oft sind nicht mal die Türen echt. Dennoch wirkt das alles nie wie die schlichte Aufzeichnung einer Theaterinszenierung. Selbst Ausflüge nach Cannes und Berlin kauft man dem Film ab und stellt sie nicht infrage.

Die Besetzung ist so hochkarätig wie gewagt, tauchen doch neben gestandenen Schauspielerinnen wie Katja Riemann und Eva Mattes auch eher aus der seichten Trash-TV-Unterhaltung bekannte Gesichter wie Jochen Schropp und Desirée Nick auf. Sie alle sind aber ohnehin nur Randnotizen, die trotz des eigenen Bekanntheitsgrades ihrer Figuren lediglich beim Vornamen genannt werden, um das zu unterstreichen.“Enfant Terrible“ ist ein außergewöhnliches Biopic und sicherlich ganz im Sinne des Mannes, um den es sich dreht. Eine Hommage ans Autorenkino und die Sperrigkeit kreativer Köpfe. Damit bricht Roehler nicht nur eine Lanze für Fassbinder, sondern irgendwie wohl auch für sich selbst.

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