„Freud“: Finstere Mysterien und Wiener Blut

„Freud“: Finstere Mysterien und Wiener Blut

Mit „Freud“ startet jetzt die erste österreichische Netflix-Produktion. Wer mehr über den Psychoanalytiker erfahren möchte, ist hier allerdings falsch. Stattdessen verdingt sich dessen junge Version als Ermittler wider Willen in einer blutigen Mordserie im Wien des 19. Jahrhunderts.

Sigmund Freud gilt als einer der größten Denker des 20. Jahrhunderts. Was der 1856 Geborene vor seinem 30. Lebensjahr getrieben hat, ist allerdings weitgehend unbekannt. Der später vielzitierte Psychoanalytiker vernichtete sämtliche Aufzeichnungen aus dieser Phase seines Lebens. Eben diesen Umstand machte sich nun Regisseur Marvin Kren zunutze. Für die Co-Produktion des ORF mit Netflix entwarf er einen Freud, wie er zerrissener nicht sein könnte. Einen Wissenschaftler, der acht Folgen lang in einer Welt voller Mysterien einem Serienmörder hinterherjagt.

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Es ist das Jahr 1886. Sigismund Schlomo Freud (Robert Finster) ist 30 Jahre alt und steht am Wendepunkt seines beruflichen Lebens. Von Anerkennung und Lob ist er noch weit entfernt. Stattdessen wird er von den älteren Gelehrten verlacht. Man hält ihn für einen Spinner, weil er glaubt, dass Körper und Geist in direkter Korrelation stehen. Seine – zunächst gefakten – Versuche, dem Unterbewusstsein mittels Hypnose auf die Spur zu kommen, scheitern kläglich und bringen ihm nichts als Hohn und Spott ein. Diese Schmach versucht er, gemeinsam mit seinem Freund Arthur Schnitzler (Noah Saavedra), durch den Konsum der Medizin Kokain zu schmälern.

Erst das Aufeinandertreffen mit dem Medium Fleur Salomé (Ella Rumpf) bringt Freuds Können aufs richtige Gleis, als ein brutaler Serienmörder beginnt, sein blutiges Unwesen zu treiben. Mit Fleur begibt sich Freud in die finsteren Tiefen des Unterbewussten und der Wiener Kanalisation, um dem Treiben ein Ende zu setzen. So wird der koksende Schlomo zum ersten Profiler überhaupt – mehr als ein halbes Jahrhundert, bevor das FBI auf den Trichter kommt.

Viel Fiktion, wenig Biopic

Die Geschichte ist fiktiv und wenig biografisch, viel lernt man also nicht über den echten Sigmund Freud. Aber darum geht es bei dieser Serie auch gar nicht. Und auch die Jagd nach dem Serienmörder ist nur Blaupause für eine Melange aus düsteren Visionen und hypnotischem Drogenrausch. Das konterkariert das graue und beklemmende Wien um die Jahrhundertwende.

Atmosphärisch dicht erzählt Kren die mitunter verwirrenden Ereignisse, an mancher Stelle jedoch ein wenig zu überambitioniert. Krude Perspektiven und Kamerafahrten, verzerrte Tonspuren spiegeln das Genre wider, in dem der Regisseur eigentlich zu Hause ist. In der Vergangenheit zeichnete der nämlich für Horrorfilme wie den prämierten „Blutgletscher“ und den fürs ZDF produzierten „Rammbock“ verantwortlich.

Bei „Freud“ nun wird Okkultismus großgeschrieben, wohingegen die Psychoanalyse eine sehr untergeordnete Rolle spielt. Das wirkt bisweilen etwas affektiert und vermag über die Schwächen des Drehbuchs nicht hinwegzutäuschen. So recht konnten sich dessen Schreiber Kren, Stefan Brunner und Benjamin Hessler nämlich nicht für eine Marschrichtung entscheiden. Krimi oder doch lieber Mystery? Daraus geworden ist schlussendlich so etwas wie solide Mystery-Krimi-Kost mit viel Wiener Lokalkolorit. Doch in Zeiten der Corona-Pandemie sorgt das Eintauchen in diese finstere Welt für ausreichend Ablenkung und zeigt auf: Auch früher war nicht zwingend alles besser.

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