„Gefesselt“: Das Monster von nebenan trägt Echtpelz

„Gefesselt“: Das Monster von nebenan trägt Echtpelz

Regisseur Florian Schwarz hat aus dem „Säurefassmörder“, einem der bekanntesten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte, eine Mini-Serie gemacht. Oliver Masucci spielt den sadistischen Kürschner, der in seinem privaten Bunker gern auch Frauen das Fell über die Ohren zieht.

True-Crime-Fans kennen den Fall von Lutz Reinstrom in- und auswendig. Es gibt wohl keinen deutschen Podcast, der sich mit hiesigen Verbrechen der Neuzeit beschäftigt und dabei auf den sogenannten „Säurefassmörder“ verzichtet. Regisseur Florian Schwarz hat sich dieser verstörenden Geschichte ebenfalls angenommen und sie für Amazons Streamingdienst Prime in eine sechsteilige Mini-Serie gegossen. Für die Rolle des Mörders, den am Ende mehrere Fässer mit zersetzten Leichenteile überführen, konnte er Oliver Masucci gewinnen. Besser hätte man es nicht treffen können, wurde dieser zuletzt unter anderem doch schon als Rainer Werner Fassbinder in Oskar Roehlers „Enfant Terrible“ und als Dr. Josef Bartok in der Verfilmung von Stefan Zweigs „Schachnovelle“ zu Recht bejubelt.A

Es ist Anfang der 90er-Jahre, als Raik Doormann (Oliver Masucci), wie die Hauptfigur in dieser teils fiktionalisierten Serie heißt, in Geldnot gerät. Dank Greenpeace und Co. laufen die Geschäfte des Hamburger Kürschnermeisters mit eigenem Laden immer schlechter. Da kommt dem Astrologie-Anhänger die Idee, die Lebensgefährtin seines früheren Chefs und Ausbilders Ludwig Lübke (Sylvester Groth) zu entführen und sie erst gegen die Zahlung von 300.000 DM wieder herzugeben. Doormann, selbst verheiratet und Vater eines Kindes, hat vorgesorgt. Unter seinem Haus in Rahlstedt befindet sich ein Atombunker, eingeweiht einst von Hamburgs Bürgermeister höchstpersönlich. Der perfekte Ort, um Elke Berger (Valentina Sauca) eine Weile zu verstecken.

Männer, die Frauen verachten

Tatsächlich lässt Doormann sein Opfer nach drei Wochen wieder frei, fährt es sogar selbst zum nächsten Polizeirevier, wo man den Erzählungen der traumatisierten Frau jedoch nur bedingt Glauben schenkt. Im späteren Prozess gibt sich Schwätzer Doormann als liebender Familienvater und behauptet, Elke Berger sei seine Komplizin gewesen, habe die Erpressung selbst geplant. Zwar verurteilt der Richter Doormann zu drei Jahren Haft, dass die Strafe nicht höher ausfällt, liegt allerdings an einer groben Fehleinschätzung des Juristen. Er glaubt, von dem Angeklagten ginge keine Gefahr für die Allgemeinheit aus. Bald stellt sich dank der jungen Polizistin Nela Langenbeck (Angelina Häntsch) allerdings die Frage, ob Elke Berger Doormanns erstes Opfer war. Was passierte ein paar Jahre zuvor wirklich mit Cornelia Kessler (Nikola Kastner), der spurlos verschwundenen ersten Frau seines verhassten Ex-Chefs?

Raik Doormann ist ein Mensch, dem sein Umfeld zu keiner Zeit irgendetwas Böses zutraut. Selbst die engsten Freunde lassen sich von ihm manipulieren und beschwatzen und ahnen nicht, welch bösem Geist all die ach so unterhaltsamen Geschichten, die er von sich gibt, entspringen. Erst als Nela zur männerdominierten Mordkommission stößt, wendet sich das Blatt – wenn auch sehr langsam. Keiner ihrer chauvinistischen Kollegen und Vorgesetzten schenkt ihrer Theorie vom Mörder Doormann zunächst Glauben. Sie aber bleibt beharrlich, bis schließlich eine Soko gegründet wird, bei der sie dennoch lange nichts zu melden hat. Im Umgang der Ermittler mit ihrer neuen Kollegin zeigt sich dieselbe Verachtung Frauen gegenüber, wie sie um einiges potenziert ganz tief in Raik Doormann steckt.

Familienvater, Geschichtenerzähler, Frauenschänder

„Gefesselt“ ist dramaturgisch und optisch ein echtes Glanzstück. Inhaltlich verantwortlich zeichnet neben Regisseur Schwarz, übrigens bekannt für den preisgekrönten Murot-Tatort „Im Schmerz geboren“, das Team um die Headautoren Michael Proehl und Dirk Morgenstern, die auf Zeit- und Perspektivwechsel setzen. Die düster-ästhetischen Bilder lieferte Kameramann Philipp Sichler. Dass es sich bei den Genannten ausschließlich um Männer handelt, ist sicher nur ein dummer Zufall. Sie erzählen ungeschönt und oft brutal von einem Mann, der die Frauen hasst, von ihnen aber geliebt wird. Immerhin ist seine Freundin (Nina Gnädig), eine Prostituierte, sogar bereit, mit ihm nach Costa Rica auszuwandern.

Oliver Masucci spielt Raik Doormann mit vollem Körpereinsatz und fördert die ambivalenten Facetten der Figur Schicht für Schicht zutage. Unterhaltsamer Geschichtenerzähler, kumpelhafter Nachbar, verlässlicher Freund, findiger Geschäftsmann, frauenverachtender Sadist. Doormann ist ein Narzisst, dem jegliche Empathie fehlt. Er kopiert das Sozialverhalten anderer und führt so nach außen ein unauffällig und scheinbar ganz normales Reihenhausleben. Wer er wirklich ist, zeigt sich auch in seinen Vernehmungen nur selten, beteuert er doch bis zum Schluss, kein Mörder zu sein. Der wahre Raik Doormann kommt immer dann ans Licht, wenn eben dieses im dunklen Kellerverlies ausgeschlossen wird und er mit seinem Opfer und seinen Fantasien alleine ist.

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