Iris Berben: „Ich habe mich nie weggeduckt“

Iris Berben: „Ich habe mich nie weggeduckt“

Iris Berben kommt dieser Tage mit gleich zwei neuen Filmen in die Kinos. Anlässlich der Starts von „Triangle of Sadness“ und „Der Nachname“ spricht die 72-jährige Schauspielerin mit ntv.de unter anderem über Selbstbestimmung und mangelnde Gleichberechtigung.

Iris Berben gehört seit Jahrzehnten zu den bekanntesten und gefragtesten Schauspielerinnen Deutschlands. Dieser Tage kommt die 72-Jährige mit gleich zwei neuen Filmen in die Kinos. In der Satire „Triangle of Sadness“, die bei den Filmfestspielen in Cannes eine Goldene Palme gewann, mimt sie eine Frau, die nach einem Schlaganfall zur Beobachterin wird. Bei „Der Nachname“ schlüpft sie erneut in die Rolle von Dorothea und muss mit ihrer Familie einige wortgewaltige Kämpfe ausfechten.

Mit ntv.de sprach Iris Berben nun unter über die Wichtigkeit, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, in welchen Bereichen es noch immer an Gleichberechtigung mangelt und wie man im Kopf – und auch so – lange jung bleibt.

ntv.de: Frau Berben, beinahe zeitgleich kommen zwei sehr unterschiedliche Filme mit Ihnen ins Kino. Was muss ein Drehbuch grundsätzlich mitbringen, dass Sie es nicht schon nach wenigen Seiten wieder weglegen?

Iris Berben: Ich lege ein Drehbuch nie weg, denn Chancen zu geben, finde ich wichtig. Aber es muss dann schon etwas sein, das mich berührt, mich mitnimmt. Es gibt Drehbücher, die sind zwar gut, aber die Rolle darin habe ich schon öfter gespielt. Dann gibt es Drehbücher, bei denen ich mich selbst gar nicht gesehen hätte und finde es toll, dass es jemand anders tut. Und es gibt Regisseure, mit denen ich arbeiten möchte, weil ich weiß, dass da unterschiedliche Facetten kommen. Doch natürlich muss es immer eine Geschichte sein, die irgendetwas mit mir macht. In der ich mich sehe oder mich komischerweise auch gar nicht sehe. Dann möchte ich erfahren, warum der Regisseur mich sieht oder wie ich dorthin kommen könnte. Alles, was Herausforderung ist, macht mir Spaß.

Bei „Triangle of Sadness“ hat Ruben Östlund Regie geführt. Hatte das einen Einfluss auf Ihre Entscheidung, die spezielle Rolle der Therese anzunehmen?

Absolut. Und das Drehbuch hat mich fasziniert, da hätte ich jede Rolle gespielt. Ich wollte unbedingt dabei sein. (lacht)

Hatten Sie in diesem Moment bereits eine Ahnung, wie gut der Film später ankommen würde? Immerhin hat er in Cannes gewonnen …

Das kann man nicht vorher einschätzen. Aber als ich den Film auf der großen Leinwand in Cannes gesehen und dabei gemerkt habe, wie die Menschen mitgehen … das macht etwas. Da geht etwas auf. Man kann so was nicht einfordern. Man kann aber dahin wollen und mit allen Beteiligten darauf hinarbeiten.

Sie spielen eine Frau, die nach einem Schlaganfall nur noch drei Worte sagen kann. War es die größte Herausforderung, ihr dennoch eine „Stimme“ zu geben?

Ich musste mit anderen, kleineren, ruhigeren Mitteln der Figur eine Biografie geben. Das ist eine andere Herausforderung, und das hat mir daran gefallen. Ich mag ihren Satz „In den Wolken“, der etwas Poetisches hat und viel erzählt. Für mich ist Therese auf dieser Insel wie ein Zwitterwesen. Beobachterin zweier Welten. Sie analysiert stark, denn sie war auf dem Schiff und gehört zu den Menschen, die jetzt mit umgekehrten Machtverhältnissen umgehen müssen. Der Film wirft Fragen auf, die gesellschaftsrelevant sind. Er gibt keine Antworten, sondern stellt Fragen wie „Ist der Kapitalismus am Ende?“.

Menschen mit Emetophobie – der Angst davor, sich zu übergeben oder andere dabei zu erleben – sollten sich den Film allerdings besser nicht anschauen, denn es wird sehr viel gekotzt. Immerhin kann diese Phobie Ohnmachtsanfälle auslösen …

Das Pech hatten wir bislang nicht. (lacht) Wäre auch schon wieder eine Geschichte gewesen. Es ist eine der fantastischsten Kotzszenen, die ich je gesehen habe. Für mich ist es so: Leute kotzen sich ihre Seele aus dem Leib, ihre Verbitterung, ihr Fazit, ihr Leben und ihre ganzen Fragen.https://www.youtube-nocookie.com/embed/0OFkCFw-XTo?rel=0&showinfo=0

Bei Sönke Wortmanns „Der Nachname“ liegt der Fall ganz anders. Sie waren schon in „Der Vorname“ dabei, Ihre Figur ist dieses Mal allerdings deutlich präsenter. Was war bei diesem Projekt für Sie ausschlaggebend? Regisseur, Cast … oder die besondere Art des Humors?

Deutsche Komödien werden gerne über einen Kamm geschoren, was man nicht tun sollte. Die Komödie ist die Königsklasse, und es gibt ein paar ganz wundervolle. Sönke verhandelt – wie auch in „Der Vorname“ – stets sehr relevante Themen. Dort ging es um die Frage, ob ein Kind Adolf heißen darf. Das hat eine Diskussion über unser Verhältnis zum Dritten Reich aufgemacht, wie gehen wir mit Geschichte um? Bei „Der Nachname“ geht es unter anderem um die Frage von freiheitlichem Leben. Es verhandelt innerhalb dieser Familie sehr unterschiedliche Vorlieben und Lebenswege. Die großen Fragen, die wir uns alle stellen. Und das wird auf eine humorvolle Weise transponiert. Das ist Können: die Tiefe nicht zu verlieren, aber es trotzdem mit Leichtigkeit zu erzählen.

Sie spielen Dorothea, die entgegen der Vorstellung ihrer Kinder ein selbstbestimmtes Leben führt. Das scheint Ihnen nicht fern zu sein, inspiriert durch Ihre Mutter, wie ich im Vorfeld gelesen habe …

Meine Mutter war ein Freigeist und hat in den 50er-Jahren sehr selbstbestimmt gelebt. In einer Zeit, in der das ein ganz anderes Korsett war, das die Frauen tatsächlich noch tragen mussten oder man ihnen übergestülpt hat. Insofern ist es sicherlich Teil der Lebensmelodie, die ich mir ausgesucht habe, möglichst unabhängig, möglichst selbstbestimmt mein Leben zu leben und das auch auszukosten.

Ist das etwas, das Sie jung hält?

Mich hat es vor allem neugierig und wachgehalten. Es hat mich angstfrei gemacht. Mich hat es dahin gebracht, dass mir Fremdes, Neues und Veränderungen keine Angst machen, sondern ich darin immer auch ein Weitergehen sehe und neugierig bin, wie es sein wird, was es mit mir macht, ob ich mich dem stellen kann und wie. Ich habe mich nie weggeduckt, und ich glaube, dass einem das hilft, lange positiv und offen dem Leben gegenüberzutreten. Es gibt aber auch Menschen, die sich in ihrer Sicherheit viel wohler fühlen, sich in ihrem abgesteckten Raum besser bewegen können. Man kann nicht sagen, dieses oder jenes ist das bessere System. Für mich ist mein Leben das beste.

Ist es gerade Frauen heute einfacher, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, oder machen es soziale Medien eher komplizierter? Sich ständig zu vergleichen kann einen durchaus einschränken …

Zweifel sind erstmal etwas Positives. Daraus ergibt sich, analytisch darüber nachzudenken, ob etwas richtig ist oder nicht. Das kann aber nur jeder für sich selbst beantworten. Man muss seine eigene Messlatte in sich tragen und sich an dieser orientieren – was nicht bedeutet, dass man nicht mehr korrekturfähig sein sollte. Das muss man sogar sein – mit neuen Erfahrungen und neuen Menschen. Aber man muss wissen, was einem selbst guttut und es verteidigen. Das ist schwer, wir sind verführbar. Die Welt ist verführerisch. Ich weiß, warum ich nicht auf Social Media bin. Nirgendwo. Ich weiß, dass das eine große Kraft hat und eine große Verführung ist.

Neulich wurde in Berlin der „Preis für Popkultur“ verliehen, bei dem auch einige junge Frauen unter anderem als „Beste/r Produzent/in“ ausgezeichnet wurden – bislang eher eine Männerdomäne. Aber das wird dann immer noch stark betont und thematisiert.

Das ist es. Solange wir es benennen müssen, ist es noch nicht gut.

Haben Sie das Gefühl, dass sich in der Filmbranche bereits was getan hat? Wo besteht in Ihren Augen noch Handlungsbedarf?

Es hat sich schon etwas verändert. Aber der Bedarf ist innerhalb und außerhalb der Filmbranche noch da. Solange wir noch darüber diskutieren müssen, und darüber, welche Wege wir gehen können … Mein Weg war immer, die Männer mitzuziehen und in die Verantwortlichkeit zu bringen, das Ungleichgewicht zu bemerken. Und es gibt viele, die es sehen und die Veränderung auch schon in ihrem Umfeld unterstützen. Aber wir haben noch immer einen weiten Weg zu gehen. Schon allein bei der Bezahlung …

Sie engagieren sich nicht nur seit Jahrzehnten für Frauenrechte und Gleichstellung, sondern auch auf vielen anderen gesellschaftspolitischen Ebenen. Haben Sie dennoch das Gefühl, dass gerade alles besonders schlimm ist, oder sitzen wir einer kognitiven Verzerrung auf? Die Welt war schon immer so grausam, wir kriegen jetzt nur mehr davon mit?

Wir können an viel mehr teilnehmen, das stimmt. Aber ich denke, der Wandel ist schon seit längerer Zeit da. Dass wir merken, dass wir mit unseren Ressourcen nicht mehr so beliebig umgehen können, wie wir das gewohnt sind. Dieser entsetzliche Krieg in der Ukraine, die Pandemie, die Inflation und die Umweltfragen … das sind Brandbeschleuniger. Wir haben noch nie in so einer Geschwindigkeit Veränderung erlebt. Deswegen sind wir vielfach überfordert, denn die Speicherkarte ist irgendwann voll. Wir leben gerade in einer gefährlichen Zeit. Immer mehr Menschen fühlen sich alleingelassen und finden auf vieles keine Antwort, wählen dann eine Partei, die ihnen einfache Antworten verspricht, welche es aber auf die Komplexität dieser Welt gar nicht gibt.

Was sind die Themen, die Ihnen gerade besonders am Herzen liegen?

Meine Stimme ist immer gegen jede Form der Ausgrenzung, für die Diversität, gegen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit, was gerade wieder ein großes Thema ist, denn man sucht Schuldige für die Probleme dieser Zeit. Frauenrechte – damit bin ich groß geworden in den 60er-Jahren. Ich weiß, wofür ich auf die Straße gegangen bin, hatte allerdings gehofft, dass wir heute schon viel weiter sind. Mehr selbstbewusste Frauen, mehr Frauen, die Verantwortung übernehmen wollen und können und mehr Situationen, die dafür geschaffen werden. Damit die Schwächen von Frauen nicht in irgendeiner Weise ausgenutzt oder benutzt werden können, um das zu verhindern. Das bleibt mein Thema.

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