Isolation Berlin: Das Beste aus den 80ern

Isolation Berlin: Das Beste aus den 80ern

Neuer Tag, neues Horrorszenario? Glück scheint uns zumindest gerade ausgegangen zu sein. Natürlich hat das Virus durchaus auch positive Nebeneffekte, wie wir an der Luft in China und dem Wasser in Venedig sehen. Tatsächlich könnte Deutschland unter den gegebenen Umständen sogar seine Klimaziele 2020 erreichen. Doch zu welchem Preis? Dass die Apokalypse kommen würde, war vielen von uns zwar klar, der Mensch hat es ja herausgefordert. Doch die wenigsten von uns hätten wohl gedacht, dass sie sie noch miterleben müssen. Auch ich hoffte auf die Gnade des fortgeschrittenen Alters, und jetzt bringt das nicht mal mehr in Sachen Armageddon einen Vorteil.

Am Tage schlage ich mich eigentlich ganz gut. Unter der Woche habe ich Arbeit, am Wochenende suche ich mir welche. Nur zum Putzen der Fenster kann ich mich nicht durchringen. Aber man muss sich neue Rituale schaffen. Ich gehe jetzt ungewöhnlich früh mit dem Hund vor die Tür, solange der Park noch recht leer ist. Dann sitze ich dort auf der Bank, die aufgehende Sonne im Gesicht, Musik auf den Kopfhörern, und versuche, einigermaßen positiv gestimmt in die nächsten Stunden zu starten. Das gelingt mal mehr, mal weniger gut. Habe ich zuvor bereits die Nachrichtenlage gecheckt, ist es eigentlich vergebene Liebesmühe. Aber der Hund muss natürlich trotzdem raus, auch wenn er sich um die Uhrzeit mit allen acht Kilogramm sträubt, die er hat.

Gegen 13 Uhr wird gekocht, auch wenn ich dabei eher eine passive Rolle einnehme. Beim Essen selbst bin ich dann wieder aktiv dabei, obwohl mir das nicht immer leichtfällt. Die Situation vergällt mir den Appetit. Seit sich abzeichnete, dass auch wir in Deutschland nicht mit einem blauen Auge davonkommen würden und jeder damit begann, sich für seine schlechten Corona-Witze zu schämen, habe ich fünf Kilo abgenommen. Versehentlich, denn zwei hätten mir gereicht. Nun bedauere ich in meiner oberflächlichsten Art, dass es kaum jemand sieht. Ich gehe ja nirgends hin. Und würde ich irgendwohin gehen, wäre hoffentlich niemand anders da. So wie eben morgens im Park. Auch dort fällt also keinem auf, wie gut die alte Jeans plötzlich wieder sitzt. Außer mir selbst. Immerhin ziehe ich die noch an, denn die Gefahr, dass ich mich ohne Dusche und nur in Jogginghose und Sweatshirt an den Schreibtisch setze, ist im Homeoffice natürlich groß. Noch aber gelingt es mir ganz gut, ein Verlottern nicht zuzulassen, sondern den gewohnten Tagesablauf soweit wie eben möglich beizubehalten.

Neu ist unsere private 18-Uhr-Skype-Konferenz, zu der ich immer mehr Leute einlade, bei der sich am Ende aber doch irgendwie immer dieselben einfinden. Natürlich sind unsere Gespräche monothematisch. Wir drehen uns im Kreis, denn es gibt nur dieses eine Ding. Dieses Corona. Und es ist leider niemand in unserer Runde, der jetzt dort arbeitet, wo es weh tut. Der uns berichten kann, wie es wirklich ist. Und so beziehen wir alle unsere Informationen aus denselben Quellen. Wir gleichen die Zahlen ab, die wir gehört haben, sowie die Gerüchte über unterschiedliche Maßnahmen der Politik. Dabei trinken wir Rotwein, wobei die Flasche meist schon eine Stunde früher aufgemacht wird. Wie will man eigentlich mit den vielen Alkoholikern umgehen, die diese Krise hervorbringen wird?

Vorgestern habe ich mit Musik versucht dem in mir aufkeimenden Pessimismus Einhalt zu gebieten. Musik aus einer Zeit, in der die Welt noch in Ordnung war. In der wir dachten, das Ozonloch und der daraus resultierende saure Regen wären unsere größten Probleme. Eine Zeit, in der uns nicht mal Tschernobyl umgebracht hat und in der ich mich mit der Pubertät, aber nicht mit einem todbringenden Virus beschäftigen musste. HIV war in den 1980ern für mich persönlich zumindest noch kein brandheißes Thema. Die Musik laut aufzudrehen, dazu allein zu tanzen, hatte kurz etwas Erhellendes, ehe es mit der Stimmung ganz plötzlich wieder rasant in den Keller ging.

Sobald sich Arbeit und Struktur des Tages in der Dunkelheit des Abends auflösen, zwei Gläser Wein getrunken und alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind, sich selbst zu irgendwas zu motivieren, für das man das Haus nicht verlassen muss, kommt der Tiefpunkt. Bei mir kann man fast die Uhr danach stellen. Um 21 Uhr ist sie da, die Verzweiflung. Das Gefühl der absoluten Machtlosigkeit, die uns alle in Schockstarre versetzt hat. Wir können nur dasitzen, zuschauen, uns an die Anweisungen halten. Ausharren. Und hoffen. Für jemanden wie mich, der gerne organisiert, macht, plant und normaler Weise beinahe jeden Abend etwas unternimmt, eine ziemlich unangenehme Situation, wenn auch keine besonders exklusive. Ich weiß nicht, ob ich mich irgendwann daran gewöhnen werde. Ob ich die Entschleunigung eines Tages sogar mag und später – wenn das alles vorbei ist – gar nicht mehr zu meinem alten Ich zurückkehren möchte. Ich weiß, dass sich das jemand aus meinem direkten Umfeld wünscht, doch ich selbst tue es nicht. Im Moment ist das für mich eben schwer vorstellbar, und leider auch sehr weit weg. Doch ich will nicht schwarzmalen. Die Welt, wie wir sie kannten, gibt es nicht mehr, und es wird sie womöglich auch nie wieder geben. Das wird schwierig, kann in vielen Bereichen aber auch von Vorteil sein. Nicht nur die Natur profitiert, sondern vielleicht auch der Mensch, der nun zeigen kann, dass er doch lernfähig ist. Vielleicht ist das alles eine Art Reboot, wie er auch bei einem Computer, der auf nichts mehr reagiert, als letzte Option gilt, um das Ding wieder ans Laufen zu bekommen.

Ich kann gar nicht so viel Wein trinken, wie ich manchmal weinen möchte. Das Jahr hat so wunderbar angefangen, hat mir privat und beruflich einige fantastische Wochen geschenkt und mir dann – ja, uns allen – den Boden unter den Füßen weggerissen. Ebenfalls vorgestern hatte ich gehofft, um 21 Uhr von Menschen auf Balkonen und einem nie da gewesenen Gemeinschaftsgefühl von der aufkommenden Traurigkeit abgelenkt zu werden. Menschen, die denen Beifall klatschen, die gerade an der Front kämpfen. Es bringt ihnen zwar nicht viel, aber vielleicht ja zumindest ein gutes Gefühl. Doch ging der Plan leider nicht auf, denn in unserer Straße hat niemand applaudiert. Ich sah sie sitzen, vor ihren Rechnern, Fernsehern, Spielekonsolen, alle waren mit sich selbst oder irgendeinem Blödsinn beschäftigt. Das hat mich dann erst recht traurig gemacht. Allerdings erzählte mir nun jemand, dass dieses Event bereits um 19 Uhr stattfindet. Gestern ist das dann wohl einmal mehr in lauter Musik aus unseren Boxen untergegangen. Ich werde es weiter versuchen.

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