Jannis Niewöhner: „Wir sind dem Algorithmus ausgeliefert“

Jannis Niewöhner: „Wir sind dem Algorithmus ausgeliefert“

Ab Donnerstag ist Jannis Niewöhner gleich doppelt in den Kinos vertreten. Neben dem „Hochstapler Felix Krull“ spielt er in „Je suis Karl“ den Anführer einer neuen Rechten. ntv.de hat mit dem 29-Jährigen über politische Haltung, gesellschaftliche Ängste und berufliche Perspektiven gesprochen.

Als Jannis Niewöhner seine Schauspielkarriere begann, war er etwa zehn Jahre alt und in „Die Wilden Hühner“ und „TKKG“ sowie Folgen von Krimireihen wie „Soko“ und „Tatort“ zu sehen. Spätestens durch die deutsche Amazon-Serie „Beat“ aber wurde das erwachsene und das internationale Publikum auf den heute 29-Jährigen aufmerksam. Seine Hauptrolle als Berliner Club-Promoter und Insider der Hauptstadt-Unterwelt brachte ihm 2019 eine Nominierung beim renommierten US-Fernsehpreis Emmy sowie einen Grimme-Preis ein. Es folgten unter anderem „Der Fall Collini“, „Narziss und Goldmund„, „Asphaltgorillas“ und Moritz Bleibtreus Regiedebüt „Cortex„.

Inzwischen ist der gebürtige Krefelder so gefragt, dass auch schon mal zwei Filme mit ihm gleichzeitig in den Kinos laufen. Während Anfang September Detlev Bucks „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ startete, in dem Niewöhner den Titelhelden spielt, ist es in dieser Woche „Je suis Karl“ von Regisseur Christian Schwochow. Und erneut ist es Niewöhner, dessen Rolle im Namen des Films vorkommt. Karl ist der Anführer einer neuen Rechten, ein charismatischer Typ mit einem einnehmenden Wesen, mit dem er die von Luna Wedler gespielte Maxi auf seine Seite zieht. Dafür ist er nun auch für den Deutschen Filmpreis nominiert. Mit ntv.de hat Jannis Niewöhner über Haltung, Ängste und Perspektiven gesprochen.

Jannis, was waren deine ersten Gedanken, als du das Drehbuch gelesen hast? War direkt klar, dass du das machen möchtest?

Jannis Niewöhner: Ich wusste schon vorher, dass ich mit Christian (Schwochow) drehen will, weil er einer der aktuell wichtigsten Regisseure ist. Immer erzählt er relevante Geschichten über unsere Gesellschaft, die gleichzeitig bei den Figuren in die Tiefe gehen. Andere politische Filme sind oft so brav. Da weiß man sofort, wer die Guten und wer die Bösen sind. Sich aber zu trauen, die neue Rechte als eine tolle Gemeinschaft zu erzählen, in der auch Wärme, Freundschaft und Liebe stattfinden, das ist sehr mutig. Das macht er, das wusste ich, und das hat man im Drehbuch auch sofort gelesen. Ich wusste, das ist ein politischer Film, der sich von vielen anderen abgrenzt, weil er sich traut zu provozieren.

Die Rolle des Karl ist sehr ambivalent. Ein Sympathieträger mit einer gefährlichen ideologischen Haltung. Wie sah deine Vorbereitung dafür aus?

Wir hatten eine Idee davon, wie sein Charakter und seine Biografie ist, gleichzeitig wollten wir aber genau das nicht nach außen erzählen. Wir wollten nicht erzählen, warum er so geworden ist. Denn es gibt nicht die einfache Antwort. Es ist ein komplexes Konstrukt an Leben, was einen dazu macht. Ich habe mich vor allem vorbereitet, indem ich geguckt habe, wie die neuen Rechten funktionieren. Was ist das Besondere an ihnen? Zum Beispiel, dass sie noch freundlich sind, wenn sie provoziert werden. Sie haben fast so einen Hippie-Vibe um sich. Christian wollte, dass wir viel improvisieren, auch bei den politischen Reden auf Deutsch und auf Englisch. Deswegen musste ich verstehen, wie die Leute argumentieren.

Und auf Französisch. Wie leicht ist dir das Improvisieren da gefallen?

(lacht) Auf Französisch war das ausgeschlossen. Ich hatte es drei Jahre in der Schule, aber ich weiß nichts mehr. Deshalb hatte ich zwei Monate vorher jeden Tag die Rede im Ohr, die mir vorher eine Französin eingesprochen hat. Ich habe es immer und immer nachgesprochen.

Kannst du aufgrund deiner Recherche nun besser nachvollziehen, wie es passiert, dass sich Menschen von den Argumenten der Rechten einfangen lassen?

Warum das wie im Film passiert? Ja. Wenn jemand schon mit einer gewissen Ausstrahlung daherkommt und jemand will ihm einfach glauben, dann ist das schon die halbe Miete. Wenn der dann noch gut darin ist, wie in dem Fall, rechtsradikales Gedankengut freundlich zu verpacken, dann ist zumindest die Gefahr höher, dass man dem verfällt. Ich würde über mich immer sagen, dass mir das nicht passieren kann. Aber auch die Frage stellt der Film: Wie gefestigt sind wir in unserer Moral und unserer Wertevorstellung?

Schwochow bezieht sich mit „Je suis Karl“ auf verschiedene Organisationen und Ereignisse, von Charlie Hebdo über die NSU bis hin zur Identitäre Bewegung. Hanau und Halle fanden erst nach den Dreharbeiten statt, oder?

Halle passierte in unserer zweiten Drehwoche. Wir hatten uns davor schon viel mit dem Thema auseinandergesetzt, aber das war noch mal eine Bestätigung, dass es ein wichtiges Thema ist. Auch der Sturm aufs Kapitol hat viel mit dem zu tun, was im Film passiert. Ich habe Christian angerufen und dachte, man müsse den Film jetzt rausbringen. Aber er war sich sicher, dass er immer aktuell bleiben wird. Und leider stimmt das wohl.

So ein bisschen hat euch die Realität also eingeholt. Aufgrund von Corona hat zudem noch eine weitere Radikalisierung stattgefunden, wenn man sich die „Querdenker“-Szene anschaut. Macht dir das Angst?

Ja, voll. Das muss nicht nur rechts sein. Populismus wirkt immer stärker und das hat auch mit den sozialen Medien zu tun. Damit, dass wir alle immer geschulter darin sind, unser Erscheinungsbild neu zu inszenieren und nach etwas auszusehen, woran die Menschen glauben, ohne es zu hinterfragen. Dass wir einfache Antworten geben. Extrembeispiel Trump. Dann glauben ganz viele daran und dann wird das Kapitol gestürmt. Das ist real und davor habe ich Angst. Das passiert und es ist nicht mehr unvorstellbar, dass in fünf Jahren eine rechte Partei zu viele Stimmen bekommt.

Hast du für dich einen Weg gefunden, dich abzugrenzen? Denn einmal zu lange in den sozialen Medien unterwegs und man bekommt schon mal ein sehr, sehr schlechtes Bild von der Welt.

Ja, es ist echt ein riesengroßes Chaos. Man weiß nicht mehr: Was ist echt, wem soll man vertrauen? Wenn du tendenziell daran glaubst, dass es beispielsweise Corona nicht gibt, dann wirst du die Antworten, die du haben willst, im Internet finden. Wir sind dem Algorithmus machtlos ausgeliefert. Er funktioniert perfekt. Es ist schwierig geworden. Was sind noch echte Informationen, was sind noch ehrliche Nachrichten? Wahrscheinlich so schwierig wie noch nie. Das Vertrauen schwindet.

Also setzt du auf digitale Auszeiten oder nutzt du die sozialen Medien nur beruflich?

Ich habe von Dezember bis Mai mal kein Instagram gemacht. Ich nutze es ohnehin vor allem beruflich, wenn eine Premiere ist, dann poste ich mal ein Bild.

Gehörst du den Personen des öffentlichen Lebens, die ihre Reichweite nutzen, um Stellung zu gewissen Themen zu beziehen? Oder überlässt du das lieber anderen?

Ich denke schon, dass man Stellung beziehen sollte. Dass man klare Aussagen treffen darf, wofür man ist und wogegen. Jeder muss für sich herausfinden, wie er das machen will. Ich bin kein Fachmann, kein Politiker. Deswegen finde ich es gut, dass es Filme wie „Je suis Karl“ gibt, bei denen ich mit meiner Profession Teil von einer politischen Aussage sein kann. Das ist gut recherchiert und ich mache es mit mehreren Leuten zusammen, die alle in ihrem Bereich gut sind. Dann vertraue ich dem Ganzen.

So viel wie du arbeitest, ist für sowas auch sonst kaum Zeit, oder wirkt das nur von außen so?

Nein, die letzten vier Jahre war es schon extrem. Ich habe mir eben im Dezember das erste Mal ein halbes Jahr freigenommen. Ich wollte den Moment erleben, aus einem Dreh herauszukommen, ohne zu wissen, was als Nächstes kommt. Es ist immer schade, wenn ein Projekt vorbei ist, weil oft eine schöne Zeit endet. Aber nicht zu wissen, was kommt, bedeutet für mich auch, mich wieder mehr anderen Dingen öffnen zu können. Mehr meine Freunde zu sehen und abschalten zu können. Sonst bin ich kaum zu Hause und lese schon wieder Bücher und gucke mir Dokumentationen an, um mich vorzubereiten. Dann verliere ich die Freizeit und den Alltag aus den Augen.

Da war der Dezember 2020 ja nicht gerade gut gewählt. In Berlin, im Winter, im Lockdown …

Ja, das stimmt allerdings. (lacht)

In einem älteren Interview hast du erzählt, dass deine Mutter anfänglich von deinem Berufswunsch nicht so begeistert war. Hat sich das mittlerweile geändert – spätestens seit der Emmy-Nominierung?

Von der hat sie sich vermutlich gar nicht mal so beeindrucken lassen. Sie mag auch das Wort Stolz nicht und würde mir nie sagen, dass sie stolz auf mich ist. Sie sagt lieber, dass sie glücklich ist, weil ich glücklich bin. Und glaube, sie sieht, dass ich es bin und das mache, was ich liebe. Das können ja nicht alle von sich sagen. Das ist für eine Mutter schön und deshalb freut sie sich jetzt auch mehr. Sie sieht außerdem, dass ich leben kann von dem, was ich tue.

Welche Rolle war für dich bislang die größte Herausforderung?

Die meisten Dinge, die ich noch nicht so kannte, kamen bei „Je suis Karl“ auf mich zu. Das Halten von Reden zum Beispiel. Also sich so zu trauen, eine französische Rede vor 400 tschechischen Komparsen zu halten, die alle nicht verstehen, was man sagt …

… und trotzdem an der richtigen Stelle reagieren müssen.

Genau. Ich musste auch mal eine Rede vor 300 Komparsen auf einem Schlachtfeld in Tschechien als Kaiser Maximilian halten – kurz bevor er in die Schlacht zieht. Und da mussten dann wirklich alle an der richtigen Stelle „Yeah!“ brüllen. Ich habe einen Satz gesagt und es gab immer einen Einzelnen, der dachte, jetzt sei schon der Einsatz. Das war sehr witzig.

… und natürlich die perfekte Vorbereitung für „Je suis Karl“.

Ja, auf jeden Fall. (lacht)

Wie geht es für dich jetzt weiter?

Einen Film – „Last Song for Stella“ – drehe ich noch im September, da habe ich eine größere Nebenrolle. Dabei wird es dann für dieses Jahr auch bleiben. Das ist super, ich freue mich sehr darüber, mal richtig durchatmen zu können. Und dann schauen wir, wie es nächstes Jahr weitergeht. Anfragen gibt es schon, aber noch nichts Festes.

Würdest du als Nächstes lieber wieder einen Film oder auch mal wieder eine Serie machen wollen?

Ich hätte schon mal wieder Lust auf eine Serie, aber da muss dann auch was Gutes kommen. Serie bedeutet, 70 bis 90 Tage ein Ding durchzuziehen. Das muss man wollen. Und die ganze Zeit muss man mit gleicher Euphorie dabei bleiben. Dementsprechend stark muss die Geschichte sein.

Mit Jannis Niewöhner sprach Nicole Ankelmann

„Je suis Karl“ läuft ab dem 16. September im Kino.

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