Jeanette Biedermann: „Ich war mir selbst abhanden gekommen“

Jeanette Biedermann: „Ich war mir selbst abhanden gekommen“

2008 hängte Jeanette Biedermann, damals noch nur unter ihrem Vornamen agierend, ihre Solokarriere erstmal an den Nagel. Vier Jahre später kehrte sie mit dem Trio Ewig an der Seite von Ehemann und Gitarrist Jörg Weißelberg und Bassist Christian Bömkes zurück auf die Bühne, doch auch diese Episode fand im April dieses Jahres ein jähes Ende. Bereits kurz zuvor hatte die heute 39-Jährige am Vox-Format „Sing meinen Song“ an der Seite von Kollegen wie Johannes Oerding, Alvaro Soler, Michael Patrick Kelly und Wincent Weiss teilgenommen. Eine Show, die die einstige Fernseh- und spätere Theaterschauspielerin vielen überhaupt erst wieder in Erinnerung rief.

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Nun möchte Jeanette Biedermann noch einmal als Solokünstlerin durchstarten und veröffentlicht mit „DNA“ ihr neues Album. n-tv.de hat die einstige „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“-Darstellerin im Anschluss an einen Auftritt im Berliner Kesselhaus getroffen, bei dem sie Fans und geladenen Gästen ihr Album live präsentierte. Im Interview berichtet sie, was sie damals zu dem Schritt aus dem Rampenlicht heraus veranlasste und welche Ereignisse sie mit dem siebten Album verarbeitet hat.

n-tv.de: Du hast vor fast zehn Jahren eine musikalische Pause eingelegt, die zumindest deine Solokarriere betraf. Warum war das für dich unumgänglich?

Jeanette Biedermann: Ich habe in der Zeit die ganze Woche jeden Tag 14 Stunden meine eigene Telenovela gedreht. Am Wochenende habe ich Musik gemacht und war unterwegs. Ich hatte keinen einzigen Tag mehr frei. Ich bin nach Skandinavien geflogen, habe tolle Songs mit tollen Songwritern geschrieben und ein Album gemacht, das überhaupt nichts mehr mit mir zu tun hatte. Es hat meine ganze Metamorphose unterbrochen. Plötzlich stand ich da wieder mit vier Tänzern und alles war Dance. Das entsprach gar nicht mehr meinem Naturell.

Also war der Rückzug eine Art Reset? Alles zurück auf null …

Genau. Ich war mir selbst abhanden gekommen, hatte mich wirklich verloren. Ich hatte nicht mehr die Kraft, ganz tief ans Innere zu gehen und mich für die Musik aufzureiben. In dem Moment habe ich beschlossen, alles runterzufahren. Als Schauspielerin bin ich ans Theater gegangen. Und in Sachen Musik habe ich es auf die Wurzeln reduziert. Ich habe begonnen, Musik für mich zu machen, Musik, die nur mir gefällt. Ohne darüber nachzudenken, was die Plattenfirma oder die Leute draußen hören wollen. Und in dieser Zeit entstand Ewig.

Die es nun seit diesem Frühjahr aber auch nicht mehr gibt …

So ist das Leben nunmal. Christian ist zweifacher Papa geworden in der Bandzeit, er wollte einfach nicht mehr unterwegs sein. Er sagte, er wolle seinen Kindern beim Aufwachsen zusehen und nichts verpassen. Er möchte Daddy sein und nur noch Songs von zu Hause aus schreiben. Er konnte es sich nicht mehr vorstellen, auf der Bühne zu stehen.

Ihn durch einen anderen Songwriter und Bassisten zu ersetzen, war nie eine Option?

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Nein, auf gar keinen Fall. Wir drei haben die Songs zusammen geschrieben und man hört auch in jedem von ihnen unsere drei Herzen. Es ist das, was es ausgemacht hat. Ewig war ja doch introvertiert, etwas dunkel hier und da, melancholisch. Und ohne Christian ist die Band Ewig nicht Ewig. Und es mit Jörg zu zweit zu machen, stand immer außer Frage. Das heißt nicht, dass es nicht irgendwann nochmal eine Ewig-Platte geben kann. Wer weiß das schon?

Wie wichtig war also Ewig auf dem Weg von der Jeanette von früher zur Jeanette Biedermann von heute?

Sehr, sehr wichtig. Ewig hat mir die Ruhe gegeben, mich wieder aufs Wesentliche reduziert, auf das, worauf es ankommt. Ich konnte mit Ewig nur durch die Musik sprechen und all die Stempel ablegen. Als das auseinanderbrach, ist schon eine Welt für uns zusammengebrochen.

Dann ist deine Rückkehr also eine Art Wiederauferstehung?

Ja. Das ist total krass. Total super. Es ist ein Wahnsinnsgefühl. Erst gab es Jeanette, dann Ewig, jetzt Jeanette Biedermann. Weil ich jetzt erwachsen bin. Das ist mein Name, das bin ich. Ich finde, es gehört sich einfach so, sich mit dem ganzen Namen vorzustellen.

Hast du von Beginn an gewusst, wie das Album klingen soll oder hat die Teilnahme an „Sing meinen Song“ noch mal was verschoben? Die Arbeit mit Künstlern wie Oerding, Weiss und Soler, deren Songs du auch jetzt noch auf der Bühne spielst.

Es war immer klar, dass ich zu meiner Attitude zurückkehre, die ja immer eher rockig war. Wir waren drei Ladys aus einem Jahrgang: Yvonne Catterfeld – ein bisschen jazzig, Sarah Connor – mehr R’n’B, und eben ich – eher rockig. Insofern war mir klar, dass ich zu meinen Wurzeln zurück will, weil es das ist, was ich liebe. Ich habe am Anfang gar nicht viel darüber nachgedacht, aber es hat sich sofort dahin entwickelt. „Sing meinen Song“ war eigentlich eine Bestätigung dessen. Keiner hat uns gesagt, was wir dort für Versionen machen sollen. Das hatte eine klare Sprache und manifestierte sich.

Wie schon bei Ewig textest und singst du jetzt auf Deutsch, während die früheren Jeanette-Alben noch in englischer Sprache waren. War dir auch das schon früh klar?

Es ergab sich nicht anders. Ich schreibe auch für andere Leute Songs, und dann denke ich entweder auf Englisch oder auf Deutsch. Und als ich angefangen habe, für das Album zu schreiben, habe ich auf Deutsch gedacht. Zudem kann ich mich auf Deutsch natürlich viel breiter ausdrücken. Ich habe viel mehr Möglichkeiten, das zu sagen, was ich sagen will. Es gibt viel mehr Redewendungen, die man umdrehen kann. Das mag ich, mit so etwas spiele ich gern. Wie beim Song „Ewig Kenn Effekt“ zum Beispiel.

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„Deine Geschichten“ handelt von deinem vor zwei Jahren an Krebs verstorbenen Vater. Ist es für dich damit der emotionalste und wichtigste Song auf dem Album?

Ja, auf jeden Fall. Aber auch „Eins mit dir“, den wir noch mit Ewig geschrieben und den ich jetzt für die Platte neu aufgenommen habe. Das sind definitiv die wichtigsten Songs in meinem Leben. Und es war sehr schön, gerade auf der Bühne auch mal meiner Mutter danke sagen zu können. Wenn jemand krank ist, dreht sich ja immer alles um diese Person und meine Mama hat sich aufgeopfert und ist dabei viel zu kurz gekommen. Das tut mir dann oft so leid. Ich wollte ihr heute unbedingt sagen: „Es sind auch deine Geschichten.“ Am Ende hat man meinem Vater dabei zugesehen, wie es ihn langsam zu Grunde richtete. Das war für meine Mutter schon sehr hart. Als sie „Deine Geschichten“ zum ersten Mal gehört hat, meinte sie, ich hätte ihr Papa damit wieder ein Stück näher gebracht. Denn natürlich erinnert man sich nur noch an die furchtbaren Bilder. Scheiß Krebs, Krankenhaus, Intensivstation. Ich wollte so gerne, dass wir uns wieder an die schönen Sachen erinnern.

Stichwort Erinnerung. In diesem Jahr jährt sich der Mauerfall zum 30. Mal. Du bist 1989 mit deinen Eltern über die Prager Botschaft in den Westen gekommen und wirst anlässlich des Jubiläums genau dort spielen. Was macht das mit dir?

Ich war schon zu „25 Jahre Mauerfall“ dort, aber alleine. Dieses Mal wird meine Mama mit ihrer besten Freundin Eva dabei sein. Wir waren für eine Dokumentation für Vox schon mal in der Botschaft, Eva allerdings seit 1989 nicht mehr. Klar ist das was Besonderes. Was mir meine Eltern seinerzeit mit der Flucht gezeigt haben, ist, dass man im Leben wirklich mutig voran gehen und für das, was man will, einstehen muss.

Du hast vorhin auf der Bühne über die Tücken des Älterwerdens gescherzt. Findest du es wirklich lustig oder haderst du auch schon mal damit? Die 40 rückt ja näher …

Was sich die Welt oder das Universum wirklich besser hätte überlegen können ist, ist dieser Verfall. Was soll das? Irgendwann kannst du dich nicht mehr bewegen, dir tut alles weh. Ich habe kein Problem mit Falten oder Cellulite. Wirklich, überhaupt nicht. Ich finde es schön, wenn man den Charakter sieht. Aber muss es sein, dass man sich irgendwann nicht mehr gut fühlt? Und dann dieser furchtbare Krebs, dieses elende Zugrundegehen. Ich habe es bei meinem Vater gesehen, das furchtbare Leiden, den Lebensmut verlieren, nicht mehr können. Das ist so traurig – auch für die Leute, die drumherum sind. Ich möchte, dass es einfach irgendwann vorbei ist. Umkippen und gut.

Bis dahin dauert es hoffentlich noch. Im Januar startet ihr erstmal eure Tour mit 15 Terminen. Ich vermute aber mal, es wird keine Akrobatik und keine aufwendigen Kostümwechsel geben?

Ich werde auf jeden Fall nicht auf einem Phönix daherreiten, da bin ich mir sicher. (lacht) Es wird dafür ganz viel Liebe, ganz viel Ehrlichkeit und Bodenständigkeit geben. Ich werde mir aber schon auch ein paar kleine, feine Sachen überlegen.

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