Johannes Oerding: „Ich finde ‚Deutsch-Pop-Poet‘ auch furchtbar“

Johannes Oerding: „Ich finde ‚Deutsch-Pop-Poet‘ auch furchtbar“

Zwei Jahre nach seinem Album „Kreise“ veröffentlicht der Wahl-Hamburger und gebürtige Münsteraner Johannes Oerding mit „Konturen“ sein sechstes Album. Mit n-tv.de hat der 37-Jährige über das Geheimnis seiner Beziehung und die Angst vor dem Tod gesprochen.

Nicht erst seit seiner Teilnahme an der diesjährigen Staffel der Vox-Show „Sing meinen Song“ ist Johannes Oerding einer jener sogenannten Deutsch-Pop-Poeten, die die Erfolgswelle reiten. Jährlich spielt er rund 80 Live-Shows vor meist ausverkauftem Haus, seine bisherigen Alben erreichten Gold-, wenn nicht gleich Platin-Status. Und so hat er sich auch für sein sechstes Langspielwerk einiges vorgenommen.

„Konturen“ ist für Johannes Oerding aus verschiedenen Gründen ein besonderes Album. Nicht nur tat er sich mit dessen Entstehungsprozess schwer und ist nun umso glücklicher, es tatsächlich präsentieren zu können. Auch hat er das erste Mal in seiner zehnjährigen Beziehung mit Musikerin und Moderatorin Ina Müller ein Duett mit ihr aufgenommen. Warum es trotz glücklicher Beziehung ausgerechnet ein Trennungssong geworden ist und was ihn bei dem Gedanken an den Tod geradezu in Panik versetzt, hat der 37-Jährige n-tv.de im Interview erzählt.

n-tv.de: Johannes, du bist mit „Kreise“ lange getourt. Wann war der Zeitpunkt gekommen, sich über dessen Nachfolger Gedanken zu machen?

Johannes Oerding: Dieses Mal hatte ich größere Probleme damit, weil ich im Zuge des vielen Live-Spielens und des Erfolgs der letzten Platte vergessen habe, mir zwischendurch Notizen zu machen und mit dem Schreiben anzufangen. Das hatte ich alles so weggetörft, wie wir in Norddeutschland sagen. Irgendwann bekam ich regelrecht Panik, denn ich hatte noch gar keine Idee. Ich dachte, mir fällt nichts mehr ein, ich habe keinen Output mehr und ich höre auf.

Wodurch ist der Knoten geplatzt?

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Es gab ein einschneidendes Erlebnis, als ich mit meiner Band in der Türkei bei einem Open Air gespielt habe. Ich saß abends am Pool und hatte eine Idee in den Fingern, die ich den Jungs von der Band vorgespielt habe. Das war die Melodie von „An guten Tagen“. Und die anderen meinten sofort, das sei doch ein Hit. Da wusste ich, dass ich es noch kann. Das war für mich ein wichtiger Moment, denn es war der Startschuss, um mich wieder in den Schreibmodus zu begeben. Und dann habe ich gemerkt, dass mich gerade ganz schön viele Themen beschäftigen.

Hier und da gibt auch schon mal sozialkritische Ansätze …

Ich weiß nicht, ob es eine Definition für politische Songs gibt, würde aber sagen, dass ein Stück wie „Besser als jetzt“ schon in diese Richtung geht.

Darin heißt es unter anderem: „Wo sind die Dichter und Denker? Seh‘ nur noch Richter und Henker. Nehmen wir das wirklich so in Kauf? Reicht’s dir nicht auch?“

Es wird das Thema betrachtet und es wird eine Haltung klar. Damit schlägt man sich auf eine gewisse Seite und ganz bewusst mache ich das ohne erhobenen Zeigefinger. Ich finde es furchtbar, wenn man anderen sagt, was sie besser machen müssen. Ich habe immer versucht, mich selbst mit einzubeziehen und zu fragen, was wir alle besser machen können. Wie kriegen wir das hin? Ich habe auch keine Lösung, aber mir geht es darum, dass ich mich selbst mal anpiekse, mich mehr damit zu befassen, und bestenfalls auch die Leute, die meine Musik hören und womöglich unpolitischer sind. Trotzdem muss ich ja nicht plötzlich Kraftausdrücke benutzen. Ich bin nicht Feine Sahne Fischfilet. Es wäre doch komisch, wenn ich plötzlich so um die Ecke käme.

Politisch und gesellschaftlich Stellung zu beziehen, meiden viele deiner Deutsch-Pop-Poeten-Kollegen wie der Teufel das Weihwasser. Siehst du dich selbst in dieser Schublade beziehungsweise versuchst du dich dadurch, vom Rest abzuheben?

Es ist eine Mischung aus beidem. Ich versuche, meine Nische ein bisschen abzusetzen, denn ich finde „Deutsch-Pop-Poet“ auch furchtbar. Es gibt eine Schublade, da kommen Jungs mit Gitarre und deutschen Texten rein, Schublade zu. Wir untereinander kennen uns ja schon viele, viele Jahre. Wir wissen genau, wofür der eine und wofür der andere steht. Das wird aber draußen nicht mitgesendet. Schlimmstenfalls hören die Leute nur die Radio-Hits, die ein gewisses Formatfahrwasser haben. Die kommen oft gar nicht dazu, mal ein ganzes Album  zu hören.

Einer der Nachteile des Streamings.

Genau. Das ist eigentlich schade. Ich stehe dafür, dass ich ein Live-Künstler bin, der auch daher gekommen ist und nicht über einen Radio-Hit. Ich spiele seit 15 Jahren live und habe das Glück, dass jetzt auch mal was von mir im Radio läuft. Aber ich stehe eben auch für Inhalte und Themen, über die die anderen nicht so sprechen. Ich bin ein Mischwesen zwischen der Szene, die immer politisch ist und der, die es nie ist. Ich versuche, weiterhin meine Popmusik zu machen. Aber ich versuche auch, als Bürger mit einem Mikrofon in der Hand meine Reichweite zu nutzen. Ich kann meine Visionen und Ideen in die Welt hinausposaunen und die Leute müssen sich das erstmal anhören. (lacht)

Der aus der ersten Idee entstandene Song „An guten Tagen“ eröffnet konsequenter Weise das Album. Was ist für dich denn ein guter Tag?

Ein guter Tag war auf jeden Fall, als meine Mutter angerufen hat, nachdem ich ihr den Song geschickt hatte, und meinte: „Datt is mal ein tolles Lied. Endlich mal watt Flottes.“ (lacht) Das war schön, ich habe mich sehr gefreut. Da war klar, dass er auch im Schützenfestzelt gespielt wird und am Autoscooter bei uns am Niederrhein. Ich versuche, mich mit dem Song selbst daran zu erinnern, dass man die guten Dinge häufig vergisst. Wenn man mal nicht im Stau steht zum Beispiel. Heute bin ich mit dem Zug hergefahren, der war pünktlich, wir bekamen unsere Plätze. Aber ich sehe mich jetzt schon wieder heute Abend da stehen, wenn der Zug Verspätung hat, wie ich mich darüber ärgere.

Bisher waren deine Alben nach einem Songtitel daraus benannt. Das ist dieses Mal anders. Warum hast du dich für „Konturen“ entschieden?

Bislang hatte ich nie ein richtiges Konzept, was den Albumtitel anging. Ich habe immer einen Songtitel genommen, der besonders wichtig war oder der einfach gut klang. Diese Textstelle taucht bei „Alles okay“ auf. Da heißt es: „Und dieser Dreck auf meiner Haut ist mir endlich so vertraut. Denn diese Spuren und Konturen machen mich aus.“ Ich habe beim sechsten Album das Gefühl, mein eigenes Profil immer mehr zu finden. Es geht mir darum, dass ich als Künstler auch abseits der Musik dem zuzuordnen bin, wofür ich als Mensch stehe.

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Du wirkst immer äußerst ausgeglichen und glücklich. Doch schreiben sich die besten Songs nicht eher aus einem Schmerz heraus?

Ich bin da wie viele Künstler, ich habe natürlich auch diese Täler und brauche sie, um die intensiveren Sachen zu schreiben. Für einen Song wie „Benjamin Button“ oder „Wenn du gehst“ muss ich schon eine gewisse innere Aufgewühltheit haben. Es wirkt vielleicht alles so, als wäre ich glücklich, aber es gibt ja zwei Leben. Es gibt ein Leben nach außen auf der Bühne und in Interviews. Aber natürlich habe ich auch meine Probleme privater und auch beruflicher Natur. Wir haben zwischendurch so viele Enttäuschungen erlebt, aber die werden nicht mitgesendet nach draußen. Da verzweifelt man auch mal. Im Moment verzweifele ich am ehesten daran, wie wir die Welt zugrunde richten und wie Menschen aufeinander losgehen. Das beschäftigt mich enorm.

Hat dich auch das Ergebnis der Landtagswahl in Thüringen beschäftigt?

Ich hatte so gehofft, dass die Leute sagen: „Können wir nicht bringen, der Höcke ist einen drüber, das ist einer zu viel.“ Aber weit gefehlt. Und nein, natürlich seid ihr nicht alle Nazis, die ihr die AfD wählt, aber ihr wählt offenkundig eine Partei, die mit Faschisten bestückt ist und die ganz viele Dinge will, die auch die Regierung in den 1930ern und 1940ern wollte. Das ist schon hart zu sehen in meinem Thüringen, das ich eigentlich sehr liebe. Weimar, Erfurt, das sind kulturell so geile Städte.

Der Song „Benjamin Button“ bedient sich dem aus dem Film mit Brad Pitt bekannten Thema: Alt geboren werden, jung sterben. Was fasziniert dich an dem Gedanken? 

Die Idee habe ich schon seit circa neun Jahren in der Schublade liegen und nie den richtigen Ansatz, die richtigen Worte dafür gefunden. Ich denke eigentlich gar nicht gern über das Ende nach. Ich bekomme Panik, wenn ich über den Tod nachdenke. Ich bin kein gläubiger Mensch. Ich kriege da Schweißausbrüche. Deswegen ist „Benjamin Button“ für mich ein sehr trauriges Lied und es war nicht einfach, es zu schreiben. Irgendwann ist es vorbei oder man verliert Menschen, die man gemocht hat oder man trifft sie gar nicht erst. Deshalb bin ich auch so stolz auf dieses Lied, weil es ein ungewöhnliches Thema ist.

Was verursacht die Angst vor dem Tod? Dass danach nichts mehr kommen könnte? Das kann doch auch ein entspannender Gedanke sein.

Das ist eine sehr philosophische Frage. Ich habe erstmal grundsätzlich vor dem Nichts Angst. Ich lebe sehr, sehr gerne und am liebsten würde ich ewig leben.

Glaubst du wirklich, dass du mit 90 Jahren immer noch so denkst? Abgesehen von den typischen Alterserscheinungen verändert sich unsere Welt ja gerade auch nicht nur zum Positiven …

Ich hoffe, dass ich bis 90 einen Glauben gefunden habe. Etwas, das mir Zuversicht, eine Sicherheit gibt oder auch die Angst nimmt. Mein Vater ist Arzt, mit ihm habe ich darüber schon mal gesprochen. Er hat schon viele Sterbende begleitet und er sagte, dass in der Stunde des Todes keiner gehen will.

Das ist aber auch immer abhängig vom Verlauf der letzten Jahre, Monate und Stunden. Der Tod kann doch auch eine Erlösung sein?

Du hast recht. Wenn man eine schmerzhafte Krankheit hat, kann er eine Erlösung sein. Aber wenn du mich jetzt fragst und ich denke jetzt darüber nach, dann kriege ich wirklich Schweißausbrüche und kann nicht einschlafen.

Okay, dann besser mal zurück zum Leben – und der Liebe. Du und Ina Müller, ihr seid seit zehn Jahren ein Paar, verheiratet seid ihr aber nicht. Ist das eine bewusste Entscheidung oder hat es sich einfach nie ergeben?

Bei uns ist es weder eine bewusste Entscheidung in die eine noch in die andere Richtung. So kann ich aber noch immer per SMS Schluss machen. (lacht)

Auf dem Album gibt es zum ersten Mal ein Duett von euch beiden. Arbeitet ihr viel zusammen, wo ihr schon nicht zusammen wohnt?

Wir gehen nie gemeinsam über den roten Teppich, aber hinter den Kulissen arbeiten wir uns schon gegenseitig zu. Wenn ich ein Album mache, brauche ich ihren Rat, weil sie ganz feine Antennen hat. Zusätzlich zu ihrer Professionalität hat sie immer noch ein laienhaftes Herz in sich, das sofort sagt, was ein Hit ist und was nicht. Es ist gut, so jemanden zu haben. Sie fragt mich natürlich auch, wenn sie ihre Musik macht. Das funktioniert ganz gut auf der Arbeitsebene. Es ist auch mit viel Streit und viel Rotwein verbunden. (lacht)

Das Duett ist „Ich hab dich nicht mehr zu verlieren“, der traurigste Song von allen, denn es geht ausgerechnet um Trennung …

Es war gar nicht geplant, dass wir ein Duett machen. Ich habe die Nummer geschrieben und habe ihr die vorgespielt. Da sang sie dazu schon die zweite Stimme, und das ergab total Sinn. Also haben wir es im Studio ausprobiert, uns gegenübergestanden und es einfach reingeschmettert. Das war Magie, wir haben es so aufgenommen und der Song hat es aufs Album geschafft. Und ja, das Thema ist Trennung. Sonst hätte ich es auch nicht gemacht, alles andere hätte ich extrem kitschig gefunden. Inspirationsquelle war jemand aus meinem privaten Umfeld. Das sind nicht wir, es betrifft uns nicht. Aber ich habe gelesen: Vorausschauendes Handeln ist ein Zeichen von höherer Intelligenz. Sollten wir uns mal trennen, haben wir den Trennungssong schon am Start. Den kann ich ihr dann einfach per SMS schicken. (lacht)

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