„Joker“ polarisiert: Vom kranken Verlierer zum irren Helden

„Joker“ polarisiert: Vom kranken Verlierer zum irren Helden

„Joker“ ist der meistdiskutierte Film des Jahres und gilt bereits als Oscar-Anwärter. Vor allem Joaquin Phoenix in der Titelrolle wird mit Lob bedacht. Doch es gibt auch harsche Kritik. Regisseur Todd Phillips zeigt einen DC-Bösewicht, wie es zuvor noch keiner gewagt hat.

Selten spaltete ein Film schon vor seinem Deutschlandstart die Gemüter so wie Todd Phillips „Joker“. In dem düsteren Thriller gibt es ein Wiedersehen mit dem bekanntesten Gegenspieler Batmans, doch wird dessen Geschichte fernab des Superhelden-Universums erzählt. Stattdessen bewegt sich die Hauptfigur in seinem ganz eigenen Antihelden-Kosmos. Er erstarkt durch die widrigen Umstände seines Lebens und der Gesellschaft zum schillerndsten, aber auch abgründigsten Bösewicht aller Zeiten.

Wir schreiben das 1981 in Gotham City. Arthur Fleck arbeitet als Werbeschilder tragender Clown auf der Straße, doch sind weder sein Job noch sein Leben zum Lachen. Lachhaft schon eher, denn Fleck ist der stets Geprügelte, ein Opfer par excellence. Nicht einmal auf dem Sozialamt will oder kann man ihm noch helfen. Selbst an Schizophrenie leidend, kümmert er sich daheim um seine kranke Mutter Penny (Frances Conroy), während er von einer Karriere als Stand-Up-Comedian träumt. Klar, dass auch das ein Traum bleibt und er stattdessen weitere Demütigungen über sich ergehen lassen muss.

Als Fleck in seinem Arbeitsoutfit in der U-Bahn von drei Wall-Street-Yuppies bepöbelt und bedroht wird, erschießt er sie in Notwehr mit einem Revolver, den ihm ein Kollege kurz zuvor überlassen hatte. Fleck flüchtet zunächst unerkannt, doch die Tat beziehungsweise deren Interpretation löst heftige Unruhen aus. Autos brennen, Geschäfte werden geplündet. Der Clown wird gefeiert und hochgejubelt. Sein bemaltes Gesicht wird zum anonymen Symbol für eine Auflehnung gegen das Establishment und den fortschreitenden Mangel an Empathie innerhalb der Gesellschaft. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlt sich Arthur nicht wie der allergrößte Verlierer, sondern wie der Held, auf den die Welt gewartet hat.

Kritik an eskalierender Gewalt

Kritik gab es bereits im Vorfeld, nachdem ein erster Trailer zu „Joker“ erschienen war. Die Verherrlichung eines Amokläufers wurde Regisseur Phillips vorgeworfen. Fleck sei der „kleine weiße Mann“, der seiner Wut freien Lauf lässt. Eine Diskussion, die es bei Joel Schumachers „Falling Down“ 1993, in dem Michael Douglas als William Forster freidreht, so nicht gab. Den Linken ist „Joker“ zu rechts, den Rechten zu links. In Wirklichkeit aber geht es um den Konflikt zwischen Arm und Reich, und der beschäftigt ja nun mal beide Lager. Der nächste Streit entbrannte ob der Verwendung eines Songs von Altrocker Gary Glitter. Der sitzt derzeit wegen Kindesmissbrauchs im Gefängnis und könnte durch diese Entscheidung nochmal ordentlich abkassieren.

„Joker“ spielte in den USA allein am ersten Wochenende 85 Millionen Dollar ein, weltweit waren es 213 Millionen. Doch viele Zuschauer verließen während der Vorstellung den Kinosaal, geschockt von der Gewalt, die Arthur bei seinem eskalierenden Aufbegehren an den Tag legt. Einige fanden den Film verstörend und „körperlich unangenehm“, wie in vielen Tweets zu lesen ist. Doch was haben diese Menschen von einem Film über den Joker erwartet? Musste es angesichts dessen, was man über den Charakter des Batman-Gegenspielers weiß, nicht etwas Düsteres und Brutales sein? Oder hat irgendjemand geglaubt, „Hangover“-Regisseur Phillips würde aus der Geschichte eine Komödie machen? Der orientiert sich lieber an Martin Scorceses Antihelden-Filmen „Taxi Driver“ und „The King of Comedy“, zu denen „Joker“ bewusst Parallelen aufweist. Ein weiterer Link dorthin ist die Verpflichtung von Robert De Niro als überheblichen Talkshow-Moderator.

Arrogant und unkontrolliert

Phoenix wirft für die Rolle von Arthur Fleck alles in die Waagschale, was er hat – beziehungsweise auch das, was er nicht mehr hat. Immerhin nahm er 52 Pfund ab, um den ausgemergelten Schizophrenen mit den tiefliegenden Augen überzeugend verkörpern zu können. Der arrogante Tanz des Jokers auf der symbolhaften Treppe zum bereits erwähnten Gary-Glitter-Song „Rock And Roll Part 2“ verleiht der Figur eine faszinierende Hybris. Und das unkontrollierte Lachen, das Arthur aufgrund seiner psychischen Störung in den unmöglichsten Situation überkommt, trifft den Nerv des Zuschauers – im negativen Sinne.

Man mag sich über die bisweilen flach gezeichnete Psycho-Struktur Flecks mokieren, ebenso wie über einige Löcher in der Geschichte, die auf ungelenke Weise gestopft werden. Referenzen zur aktuellen Lage der Gesellschaft und der Politik gibt es, doch werden sie nicht ausgeschöpft. Dennoch ist „Joker“ ein sehenswerter Film, der auch dank Kameramann Lawrence Sher in all seiner Düsternis glänzt und Sympathien für einen Menschen weckt, wie ihn der Zuschauer selbst tagtäglich vielleicht noch abschätzig an-, meist aber einfach nur übersieht.

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