„Liebe und andere Unglücksfälle“ – Dominique Horwitz über Kunst und Leben

„Liebe und andere Unglücksfälle“ – Dominique Horwitz über Kunst und Leben

Ende August verunglückt Dominique Horwitz mit seinem Motorrad schwer. Doch er hat Glück im Unglück, kommt glimpflich davon. Nun steht er mit einem neuen alten Herzensprojekt bald wieder auf der Bühne, über das er mit n-tv.de gesprochen hat.

Wenige Wochen nach seinem schweren Motorradunfall, den Dominique Horwitz mit sehr viel Glück unbeschadet überstanden hat, steht beziehungsweise sitzt er auch schon wieder auf der Bühne. Der Schauspieler und Sänger tourt mit einem fünf Erzählungen aus Iwan Bunins „Liebe und andere Unglücksfälle“ durch verschiedene Theaterhäuser des Landes. Doch liest der 64-Jährige die Texte des russischen Schriftstellers aus den Jahren 1916 bis 1944 nicht nur, sondern hat gemeinsam mit dem Jourist Quartett eine Melange aus Musik und Lyrik kreiert, die die unterschiedliche Magie der Geschichten einfängt und an das Publikum überträgt. Passend dazu erscheint das Ganze ebenfalls auf CD, um so das melodramatische Hörerlebnis auch zu den Menschen nach Hause zu bringen. Mit n-tv.de spricht Dominique Horwitz darüber, warum ihm gerade dieses Projekt am Herzen liegt sowie auch noch einmal über die vielleicht erschreckendsten Sekunden in seinem Leben.

n-tv.de: Herr Horwitz, es ist nicht das erste Mal, dass Sie „Liebe und andere Unglücksfälle“ gemeinsam mit dem Jourist Quartett aufführen?

Dominique Horwitz: Nein, das Ganze ist etwa 15 Jahre alt. Seinerzeit lebte noch Efim Jourist, der Gründer des Quartetts, der viele russische Tangos komponiert und instrumentiert hatte. Überhaupt Musik komponiert hat, die sich mit seinem Herkunftsland Russland beschäftigte. Damals haben wir einen Abend veranstaltet, den ich heute als sehr konventionell bezeichnen würde. Es gab die Musik und zwischen den Kompositionen habe ich diese Erzählungen gelesen, die sich um das Thema Liebe ranken.

Efim Jourist ist bereits 2007, also vor zwölf Jahren, im Alter von 60 Jahren verstorben. Nun bringen Sie diese Idee neu auf die Bühne. Was ist dieses Mal anders?

Efim war ein Virtuose auf dem Bajan, dem russischen Knopfakkordeon. Er war ein ganz großer Musiker und ein nicht minder großartiger Komponist und Arrangeur. Da dachten wir – also die Musiker, die sich neuformiert haben, um das Jourist Quartett weiterzuführen, und ich -, das musikalische Material sei einfach viel zu gut, um es nach seinem für uns alle erschütternden Tod einfach beiseitezulegen. Und so haben wir entschieden, den Abend neu zu gestalten. Das hieß, den konventionellen Weg zu verlassen, um eine ganz enge Verbindung zwischen Sprache und Musik zu schaffen.

Horwitz_Jourist Quartett SW (c) Fritz Meffert.jpg

Horwitz (Mitte) mit dem Jourist Quartett.

(Foto: Fritz Meffert)

Wie muss man sich das als interessierter, aber noch unwissender Hörer vorstellen?

Dergestalt, dass die einzelnen Genres, also Sprache und Musik, nicht mehr für sich stehen, sondern verschmelzen und somit ein Melodram erschaffen. Es ist reines Kopfkino. Wir kennen die Melodramen von Mendelssohn Bartholdy oder Beethoven. Da hat der Text eher eine rein dienende Funktion, damit der Zuhörer sich im Fluss der Musik zurechtfindet. Als Sprecher finde ich das weder sonderlich interessant noch virtuos. Viel aufregender ist es, mit der Musik so umzugehen, dass sie den Text nicht nur begleitet, sondern ihn geradezu bedingt – und umgekehrt. Die Sprache begegnet also der Musik auf Augenhöhe. Das Wort wird somit zum fünften Instrument des Quartetts.

Sie arbeiten wieder mit der Auswahl an Texten, die das Projekt auch vor 15 Jahren schon beinhaltete. Haben Sie darüber nachgedacht, davon etwas auszutauschen? „Liebe und andere Unglücksfälle“ umfasst ja mehr als diese drei Erzählungen.

Nein. Ich habe sie damals ausgewählt, weil sie für mich stilistisch die unterschiedlichsten waren. Jeder Text hat eine eigene Farbe, eine eigene Rhythmik und eine ganz eigene Dramatik. Wenn Sie so wollen, hat jeder Text seine eigene Sprache. Der erste ist sarkastisch, der zweite sentimental im französischen Sinne, die dritte Erzählung hat die Dimension einer griechischen Tragödie. Das Facettenreichtum des unerschöpflichen Themas Liebe wiederzugeben, diese Vielfalt auszukosten, das war uns wichtig.

Ich habe auf dem Weg hierher festgestellt, als ich noch mal eben schnell auch die dritte Erzählung hören wollte, dass das nicht zwischen Baum und Borke funktioniert. Es bedarf schon eines gewissen Maßes an Ruhe und Konzentration …

Es ist auch die einzige CD von mir, von der ich behaupte, man sollte sie nicht im Auto oder in der Bahn hören. Es ist wäre einfach zu schade. Es gibt so viele musikalische und textliche Feinheiten, die aufeinander abgestimmt sind. Worte sind gleichsam Noten und Klänge werden zu Phrasen. Im diesem Fall würde ich sagen, Genuss hat zuweilen auch etwas mit Muße zu tun.

Gibt es eine Geschichte, die Sie besonders berührt?

Die sarkastische zu Beginn ist musikalisch die ausgefeilteste. Sie ist komisch, aber nicht berührend. Es dreht sich um pure Begierde, um sinnfreies Begehren. Das, was jeder von uns kennt oder auch nicht. Die anderen zwei sind die, die mir emotional mehr bedeuten.

Wie bereiten Sie sich auf die kommenden Auftritte vor?

Es ist wie das Vorbereiten auf ein Konzert oder Theaterstück. Wir müssen natürlich fleißig proben, weil es künstlerisch herausfordernd ist. Das Spannendste war aber die Arbeit vorab, das „Komponieren“ des Abends. Den Text auf die Musik zu platzieren, die Musik auf bestimmte Sätze antworten zu lassen. Letztlich haben wir eine neue Partitur geschaffen, in der Satzbögen und melodische Phrasen sich umeinanderwinden.

Sie arbeiten als Schauspieler fürs Fernsehen, fürs Theater, sind aber auch mit Liederabenden auf Tour. Dieses Projekt ist quasi die perfekte Kombination all Ihrer Vorlieben …

Es ist diese neue „alte“ Form des Melodrams. Sie ist sehr aufwendig und leider deswegen so selten aufgeführt. Wir haben Jahre mit großem Spaß daran gefeilt.

CD Artwork.jpg

„Liebe und andere Unglücksfälle“ erscheint auch auf CD.

Kann man das konkret in einer Zahl zusammenfassen oder haben sich die Stücke im Laufe der Zeit auch immer wieder verändert?

Bis die Musiker und ich den Abend gebaut haben, hat es einige Wochen gedauert. Wir haben für unsere Auftritte viel geprobt, es immer weiter verbessert und verfeinert, bis wir wussten, dass es nun richtig ist. Dann haben wir es aufgenommen.

Heißt das, es ist jetzt quasi in Stein gemeißelt oder lassen Sie sich den Freiraum, auch bei den nächsten Auftritten immer wieder Änderungen vorzunehmen?

Es ist jetzt so, wie es sein muss. Aber Auftritte bringen es mit sich, dass jedem von uns immer etwas einfällt, um den Abend noch lebendiger zu gestalten. In der Kunst ist es wie im schnöden Leben, auch das vermeintlich Feste ist stets im freudigen Wandel.

Wissen Sie Ihr Leben und Ihren abwechslungsreichen Beruf seit dem Unfall vor einigen Wochen noch einmal anders zu schätzen? Es hätte ja durchaus sein können, dass diese Tour so hätte erstmal gar nicht stattfinden können.

Ich wache auf und denke dankbar, ich gehöre zu den Beschenkten, die nur das tun, was ihnen wirklich etwas bedeutet. Ich fühle mich zu alt und zu erfahren, um mir Gedanken zu machen wie: „Das muss und will ich jetzt noch unbedingt erleben.“ Ich habe mein Leben meistens mit dem Gefühl geführt, ich mache das Richtige zum richtigen Zeitpunkt mit den richtigen Menschen. Auch wenn es zuweilen ein Irrtum war.

Denken Sie dennoch gelegentlich an den Tag des Unfalls zurück, an das, was passiert ist? An das, was hätte passieren können?

Es war ein völlig überflüssiger, geradezu dummer Unfall. Ich fahre über eine große Kreuzung, ich habe Grün, ich fahre mit 50 Stundenkilometern. Mir kommt ein Fahrzeug entgegen. Ich fahre eine große, sehr schwere Maschine mit Scheinwerfern an. Ich bin unübersehbar. Und als der Fahrer des Transporters auf meiner Höhe ist, blinkt er und fährt ungebremst in mich hinein. Da denkt man im Krankenhaus übers Leben nach und wie schnell es hätte vorbei sein können. Und das ist natürlich ein Ansporn, dieses Leben noch konsequenter zu leben. Es gibt keine Zeit zu verlieren mit Projekten, die mich nicht wirklich interessieren. Oder mich mit Menschen zu umgeben, die keine Bereicherung für mich sind oder für die ich keine Bereicherung bin. Der Unfall hat mir vor Augen geführt, dass die Zeit für jeden von uns endlich ist und das Ende einen meistens überrascht.

Previous post Mando Diao über „Bang“ – Ein Album, so düster wie Berlin
Next post „Terminator – Dark Fate“: Gealterte Mensch-Maschine mit Defekten