M.A.N.D.Y. – Hippies mit Geschäftssinn

M.A.N.D.Y. – Hippies mit Geschäftssinn

Es gibt Jahre, die sich – aufgrund positiver oder aber auch negativer Ereignisse – ins Gedächtnis einbrennen. 1989 ist so ein Jahr, aber auch 2001. Bei 2002 rührt sich bei den meisten Menschen hingegen erst mal wenig, sofern sie nicht persönliche Erlebnisse damit verknüpfen. Das wohl einschneidendste Ereignis war die Einführung des Euro am 1. Januar. Fragt man Patrick Bodmer und Philipp Jung, was ihnen aus dem Jahr 2002 am meisten in Erinnerung geblieben ist, ist das ohne Zweifel die Gründung ihres Labels Get Physical Music. Die zwei als M.A.N.D.Y., Peter Hayo, Walter Merziger und Arno Kammermeier aka Booka Shade und Thomas Koch alias DJ T. haben seinerzeit begonnen etwas aufzubauen, das bis heute global gesehen als eines der besten deutschen Labels gilt. Hier wurde die erfolgreiche Compilation-Reihe „Body Language“ installiert und unzählige Clubhits wurden auf den Weg gebracht. »15 Jahre Get Physical« ist aber nur ein Ereignis auf der 2017er-Agenda von Bodmer und Jung. Nach dem im November erschienenen allerersten Album geht es passend dazu in diesem Jahr auf Tour. Gründe genug, sich mit den beiden Exil-Hessen in ihrer Langzeitwahlheimat Berlin zu treffen und die letzten Jahre mal Revue passieren zu lassen.

 

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DAS LABEL

Und so sitzen wir eines kalten Nachmittags in ihrem an der Spree gelegenen Büro in Kreuzberg und tun genau das. Es ist die mittlerweile dritte Station von Get Physical in der Hauptstadt – nach einem ersten Büro in der Milastraße beim Mauerpark und dem darauf folgenden in der Kastanienallee, ebenfalls in Prenzlauer Berg.

15 Jahre sind vergangen. Habt ihr beim Start von Get Physical 2002 damit kalkuliert?
Patrick: Wir haben anfänglich gar nicht so weit in die Zukunft gedacht. Der Plan war, dass wir zu diesem Zeitpunkt alle unsere Jobs ändern wollten. Wir wollten den Jugendtraum wahr machen, zusammen mit Freunden den ganzen Tag das zu tun, was wir wollen – und das am liebsten in so einer Art Villa Kunterbunt. Da war natürlich schnell klar, dass es etwas mit Musik sein muss. Label und Produktion. Und dann hat sich das nach und nach herauskristallisiert. Philipp und ich haben damals noch Veranstaltungen in Frankfurt gemacht, illegal in irgendwelchen besetzten Kellern und draußen in der Kiesgrube. Außerdem haben wir – mehr zum Spaß – mit Arno und Walter produziert. Dann haben wir den T. kennengelernt, der seinerzeit das Groove Magazin herausbrachte. Damit hatten wir die Familie zusammen, mit der wir in ein Haus ziehen konnten, um dort dann den ganzen Tag Musik zu machen. Ob das 15 Jahre hält, darüber denkt man in dem Moment und auch in dem Alter zum Glück gar nicht nach.
Philipp: Heute kann ich mir das eher vorstellen, dass wir in weiteren 15 Jahren wieder hier sitzen. Es war damals aber erst mal pures Hobby, da denkt man nicht in professionellen Zyklen. Da machst du einfach. Inzwischen ist Get Physical etabliert und es macht immer noch so einen Spaß, dass ich mir das gut weitere 15 Jahre vorstellen kann. Wie auch immer sich die Musik- und Medienindustrie auch entwickelt, da muss man halt mal schauen.
Patrick: Erst als wir die Büroflächen in der Milastraße gemietet haben, war klar, dass es professioneller laufen würde als zu Beginn in Frankfurt. Es gab auch erst mal nur ein kleines Zimmer für Get Physical, der Rest gehörte noch Perky Park, der damaligen Produktionsfirma von Booka Shade. In diesem Zimmer saß dann hauptsächlich ich jeden Tag, denn die anderen hatten alle noch ihre »richtigen« Jobs. Nach einem Jahr, als ich mir mal wieder irgendwo fünf Euro geliehen und meinen Kreditrahmen bei all meinen Freunden schon überschritten hatte, haben mir alle gesagt, ich solle besser aufhören, das würde doch eh nichts mit Get Physical. Dann aber kam plötzlich die Meldung, dass die »Tonite« von M.A.N.D.Y. „Essential Tune“ bei Pete Tong sei, darauf folgten die ersten Kritiken in den englischen Magazinen über das Label und vor allem uns. Von da an ging es relativ schnell. Das war quasi die letzte Ausfahrt, ehe wir das Ganze sonst wenig später eingestellt hätten.

Die letzte Ausfahrt vor Hartz IV also, das es in diesem Jahr übrigens ebenfalls seit 15 Jahren gibt. Nach einem raschen Aufstieg kommt nicht selten auch der ebenso rasche Abstieg. Get Physical hat sich allerdings über alle größeren und kleineren Veränderungen der Musikindustrie hinweg beständig gezeigt.

Ist euch da die überschaubare Größe des Labels zugute gekommen? Konntet ihr so schneller auf Veränderungen des Markts reagieren als die Majors, die das lange verpasst haben?
Philipp: Es gab zwei, drei Jahre, in denen wir nicht wussten, ob wir weitermachen sollen. Gerade als Booka Shade und DJ T. ausgestiegen sind. Wir lagen mit 100.000 Euro hinten und mussten noch einmal neu starten. Dann hat sich das aber alles relativ schnell und gut entwickelt. Vor allem mit Roland [Leesker, Anm. d. Red.], der vorher Marketing-Manager bei Virgin und Ministry of Sound war und den Patrick und ich noch aus Frankfurter Tagen kannten, ging es schnell voran. Ich glaube, nur wir ganz allein mit unserem blauäugigen Ansatz, der so schön hippiemäßig ist – wir gehen alle zusammen essen und trinken, dann geht das schon – das hätte nicht geklappt. Aber mit so einem seriösen Business-Background hat es Sinn und uns auch wieder Spaß gemacht. Du musst bei allen Entwicklungen natürlich dabei sein und das kannst du als kleine Firma viel besser. Wir sind relativ konstant seit fünf Jahren sieben Leute und alle werden pünktlich bezahlt. Ich denke da im Moment eher noch an ein Wachstumspotenzial.

Wenn ihr zurückblickt, welches war der beste Moment in den ersten 15 Jahren Get Physical – ganz unabhängig von Verkaufszahlen und sonstigen Erfolgen, also eher auf emotionaler Ebene?
Patrick: Für mich war es zum Beispiel toll, schon früh mit Jay Haze zusammenzuarbeiten, das Projekt Fuckpony auf Get Physical, das er mit Samim Winiger gemacht hat, von Anfang bis Ende zu begleiten. Aber das ist echt nur einer von unzähligen solcher Momente und Begegnungen.
Philipp: Als wir unser erstes Büro angemietet haben, das war so ein besonderer Moment. Damals noch mit der Patzi von Wilde Agency in einem Haus. Das war dann dieses Villa-Kunterbunt-Gefühl. Teilweise hatten wir – ein bisschen größenwahnsinnig – 15 Leute, deswegen haben wir auch nie Geld verdient. Wir haben immer alle zusammen zu Mittag gegessen, zusammen gekocht, gefeiert. Die Zeit war schon toll. Ein echtes Traumszenario. So was geht natürlich nicht für immer gut, aber man war damals noch weniger Business als heute.
Patrick: Wir hatten seinerzeit auch ein DJ-Kinderzimmer mit allem, was man so braucht. Da hat dann immer einer von uns, am Tag oder auch nachts, drin gesessen und mit großen Augen Platten gehört oder gespielt oder aufgenommen.
Philipp: Für uns gab es damals nichts anderes. Deswegen wurde das auch so schnell erfolgreich, das ist eine Art Magie. Das hat keine Band 30 Jahre über, aber es ist überhaupt schön, es mal erlebt zu haben. Wie es dann weitergeht, kommt allein auf dich an, aber es steckt trotzdem immer noch in einem drin. Man würde es jetzt so nicht mehr überleben, aber man kann es immer noch als Referenz sehen und spüren. Gerade wenn man heute mal ein bisschen unmotiviert ist, weiß man aufgrund dieser Erinnerungen, was zu tun ist.
Patrick: Als es zu wild wurde, hat dann Marcus Fink [macht heute mit DJ Koze Pampa Records, Anm. d. Red.] als Labelmanager das Ruder übernommen und Kurs gehalten.

 

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DAS ALBUM

Früher war bei Get Physical demnach nicht alles besser, aber eben alles anders und auch gut. Zu einem M.A.N.D.Y.-Album aber ist es trotz allem nie gekommen – bis zum Jahr 2016. Im November ist mit »Double Fantasy« das Debüt erschienen, nach 16 Jahren gemeinsamen Schaffens an allen Fronten.

Warum hat das mit dem Album so lange gedauert, oder besser: Warum war ausgerechnet jetzt die Zeit reif dafür?
Patrick: Weil wir das Bedürfnis nie hatten, ein Album zu machen. Die Frage kam oft auf, dann hatte man mal kurz das Gefühl, man müsse das tun. Doch ganz schnell waren wir wieder in irgendeinem anderen Modus und haben gemerkt, dass wir doch eher DJs sind. Wenn wir produzieren, ist es eine Momentaufnahme und dann eben eher eine Maxi.
Philipp: Wir haben es ein paar Mal probiert, aber eher halbherzig, nie die Freiräume geschaffen, die für eine Albumproduktion nötig sind.
Patrick: Wir haben immer gemerkt: Das ist jetzt kein Statement, das wir in dieser Form abgeben wollen. Mal haben wir Krautrock-Electronica gemacht, dann waren wir vier Wochen auf Island und haben dort in einer Holzhütte produziert, das klang dann wieder ganz anders. Nichts davon hatte mit dem zu tun, was wir auflegen und was uns repräsentiert. So ging es uns immer wieder. Jetzt dachten wir aber, bevor wir das gar nicht mehr schaffen, fassen wir einfach mal alles zusammen, was wir in den letzten Jahren gerne gespielt haben. Electro, Disco, Funk. Daraus hat sich dann eine Art Poesiealbum aus unseren liebsten Genres ergeben.

Während ihr früher das Format Album als nicht geeignet für euch empfunden habt, tun das andere wiederum heute nicht mehr. Viele Musikhörer stellen sich ihre eigenen Playlisten aus den persönlichen Lieblingsstücken zusammen und pfeifen auf Albumkonzepte. Ihr seid also eher antizyklisch vorgegangen.
Patrick: Wir arbeiten meist antizyklisch. Wir sind immer einen Schritt voraus oder einen zurück. Und klar, das Album ist im Moment kein angesagtes Format mehr und wird es vermutlich auch nie wieder sein. Aber wir haben es ohnehin für uns selbst gemacht. Und genau deswegen ist es uns jetzt auch so leicht gefallen, weil der Druck von außen einfach nicht da war. Insofern war das für uns eine befreiende Sache und total schön. Wir haben jetzt quasi sogar schon ein zweites Album in der Schublade und könnten direkt weitermachen.

16 Jahre M.A.N.D.Y. auf ein Album herunter zu brechen, klingt erst mal aber gar nicht so einfach.
Patrick: Es war eigentlich relativ leicht, weil wir beschlossen haben, Familie, Freunde und Büro dabei außen vor zu lassen. Wir haben eine Selektion gemacht, die sich anfühlte wie ein Mixtape. Wir hatten rund 40 Stücke, haben die einmal durchs DJ-Pult gezogen und eben einen Mix daraus erstellt. Dadurch sind automatisch Tracks weggefallen, weil sie nicht in den Flow passten. Am Ende haben wir uns gegen das Konzept entschieden, die vermeintlich kommerziellsten Titel zusammenhanglos aufs Album zu packen. Das war rückblickend eine gute Entscheidung. Jetzt haben wir viele Tracks mit WhoMadeWho, Inga Humpe etc., die nicht auf dem Album gelandet sind, aber gute Singleveröffentlichungen abgeben, noch in der Schublade.

Auf dem Album gelandet sind aber dennoch einige Kollaborationen mit u. a. Klassikwunderkind Francesco Tristano und dem afrikanischen Gesangstalent Nonku Phiri beim Track »Hi End«. Und nicht zu vergessen Stefan Eichinger alias Lopazz, der euch auf Produzentenebene unterstützt hat.
Patrick: Tristano macht so viele Projekte, wie er Sprachen spricht. Sieben oder so. Er hat uns drei Tage lang in Stefans Studio in Heidelberg besucht. Das hat großen Spaß gemacht. Wir haben was mit Brett Johnson in dessen Studio in Berlin-Marzahn aufgenommen. Seine ersten Veröffentlichungen auf Classic Recordings, das waren für uns die entscheidenden Houseplatten. Als er dann nach Berlin gezogen ist, haben wir ihn direkt kontaktiert. Es war toll, mal mit ihm zusammenzuarbeiten. Und wir wollten unbedingt Hip-Hop auf dem Album dabei haben. Africa Baby Bam oder auch BAM [Jungle Brothers, Anm. d. Red.] hat mit „I’ll House You“ einen unserer Lieblingstracks überhaupt gemacht, der die Brücke zwischen House und Hip-Hop schlägt. Mit ihm haben wir uns per E-Mail ausgetauscht, ihm geschrieben, was wir aussagen wollen mit unserer Nummer »Whisper«. Eine intensive Zusammenarbeit, obwohl wir in Berlin waren und er in Brooklyn. Lyrisch hat das dann zu genau dem geführt, was wir uns erhofft hatten. Wo steht man nach 20 Jahren Stroboskop-Party?
Philipp: Jeppe von WhoMadeWho ist noch dabei, die haben bei uns ja auch schon einiges veröffentlicht. Tomboy aka Tomas Barfod hat vor zehn Jahren ja auch seine erste Maxi bei uns gemacht. Booka Shade. Dann singt der Nick Maurer von Greenkeepers. Inga Humpe ist bei einer Single dabei …
Patrick: Am wichtigsten ist aber wohl wirklich der Lopazz.
Philipp: Den kann man wirklich nicht genug loben. Uns zwei auszuhalten über eine so lange Zeit, das ist schon eine Höchstleistung. Ohne ihn hätten wir das nicht geschafft. Für uns war es wegen Heidelberg ein bisschen anstrengend mit dem ganzen Hin und Her, aber das hat einfach alles gepasst.

Ihr legt immer mal wieder auch getrennt voneinander auf. Wie aber wird das bei der Albumtour sein, die im März startet?
Philipp: Wir werden alle Gigs gemeinsam spielen. Für uns ist es ein bisschen schwierig, die Veranstalter jetzt von den Vorteilen zu überzeugen, die es hat, uns als Duo zu buchen. Aber das haben wir uns ja selbst zuzuschreiben. Wir werden das halbe Jahr jedenfalls mal wieder zusammen unterwegs sein. Und die Energie zusammen ist einfach eine andere. Da ist es auch schön, mal wieder 7- oder 8-Stunden-Stets gemeinsam zu spielen.
Patrick: Für uns ist es aber wichtig, immer mal wieder allein zu spielen. Das DJing zu zweit ist das eine und macht wahnsinnig Spaß, aber allein ist es musikalisch was ganz anderes. Dann kann jeder jeweils eine eigene Geschichte erzählen. Immerhin spiele ich meist härter und schroffer und Philipp melodischer und gefühlvoller.

Es steht also noch so einiges an – bei M.A.N.D.Y., aber auch bei Get Physical. Kommt ihr dennoch schon mal an den Punkt, an dem ihr euch Gedanken über eure mittel- und langfristige Zukunft macht? Was das Leben sonst noch so für euch bereithalten könnte?
Patrick: Wie jeder normale Mensch Hobbys hat, die er vielleicht irgendwann zum Beruf macht, so gibt es das bei uns auch.

So ist Philipp seit geraumer Zeit einer von drei Teilhabern einer Bar in New York?
Philipp: Genau. Und ich betreibe noch ein kleines Kunstfestival in Los Angeles namens urART. Patrick hat außerdem noch seine Malerei.
Patrick: Ich habe früher gemalt. In meinem Atelier fanden damals auch die ersten Veranstaltungen statt, bei denen die besten Frankfurter DJs für 50 DM aufgelegt haben, für die man heute fünfstellig bezahlt. Die Malerei interessiert mich jetzt wieder und ich könnte mir vorstellen, in dieser Richtung mehr zu machen. Eine Weile war es Familie, da war ich drei Jahre mehr oder minder raus.
Familie ist aber doch mehr Arbeit als Hobby, oder?
Patrick: (lacht) Für mich war es auch Arbeit. Ich kann mich auch nur auf eine Sache konzentrieren. Das mit der Familie habe ich in der Form dann auch irgendwann wieder gelassen. Zugunsten der Musik.

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