Martina Gedeck: „Wir wären doch alle gerne freier“

Martina Gedeck: „Wir wären doch alle gerne freier“

In „Die stillen Trabanten“ spielt Martina Gedeck eine Frau, die mit ihrer Einsamkeit hadert und zumindest kurzfristig Nähe bei einer ihr zunächst völlig Fremden findet. Mit ntv.de spricht die 61-Jährige über den Reiz poetischer Stoffe wie diesem und wie sie die neue Rolle der Frau im Film einschätzt.

Dank Filmen wie „Die Wand“, „Der Baader Meinhoff Komplex“ und „Das Leben der anderen“ gehört Martina Gedeck zu Deutschlands wichtigsten Schauspielerinnen unserer Zeit, die zudem eine große Liebe fürs Arthouse-Kino hat. Auch „Die stillen Trabanten“ von Regisseur Thomas Stuber ist alles andere als ein Blockbuster. Es ist ein ruhiger und intensiver Film über Menschen vom unteren Rand der gesellschaftlichen Mitte, die mit ihrer Einsamkeit und einem ausgeprägten Mangel an Liebe und Nähe hadern.

Im Interview mit ntv.de erzählt Martina Gedeck unter anderem, was sie an diesem poetischen Stoff gereizt und wie sie sich auf die physisch wie mental intimen Szenen mit Spielpartnerin Nastassja Kinski vorbereitet hat.

ntv.de: Frau Gedeck, kannten Sie die Erzählungen von Clemens Meyer, die dem Film zugrunde liegen, schon, als die Anfrage kam?

Martina Gedeck: Nein, ich habe das Buch erst danach gelesen und konnte mir ehrlich gesagt gar nicht so recht vorstellen, wie das alles am Ende zusammengeht. Als dann das Drehbuch eintraf, habe ich gesehen, dass alles sehr gut ineinandergreift. Ich fand es spannend, wie es von einer Figur zur nächsten übergeht und sie alle umeinander kreisen.

Was interessiert Sie im Allgemeinen an einem Projekt? Was muss es mitbringen, damit Sie zusagen?

Allgemein hat es immer etwas damit zu tun, was der Film erzählt. Ob es ein Stoff ist, der mich interessiert und bei dem ich mir vorstellen kann, dass die Leute das sehen wollen und es ihnen etwas bringt. Erzählt der Film etwas über uns, geht uns das irgendwie an? Und da gibt es nicht so viel, beziehungsweise hat man alles schon 1000-mal gesehen. Ich mag Projekte, die anders sind, neu. Klar, wenn ich ein Angebot bekomme wie „Das Tagebuch der Anne Frank“ oder „Der Baader Meinhof Komplex“, dann ist es etwas anders. Das sind wichtige Themen, das ist per se interessant.

Und was hat Sie im Speziellen an einem poetischen Stoff wie „Die stillen Trabanten“ gereizt?

Es sind Menschen aus unserer Welt, unserer Zeit, unserer Gesellschaft. Menschen, die man auf der Straße treffen könnte. Das finde ich hieran so gut. Genau das hat mir auch bei Thomas Stubers letztem Film („In den Gängen“ – Anm. d. Red.) so gefallen. Da habe ich schon gedacht: Mensch, das wäre jetzt mal ein interessanter Regisseur …

Also hat es auch einen Einfluss auf Ihre Entscheidung, wer für einen Film verantwortlich zeichnet?

Es ist das A und O. Der Regisseur macht den Film, und bei Thomas Stuber weiß ich, dass er die Poesie liebt. Dass er es liebt, genau hinzuschauen, die Menschen zu zeigen, nicht nur oberflächlich, sondern das sichtbar und spürbar zu machen, was sie empfinden. Das ist so wichtig und auch so schön. Es ist das Besondere an seinen Filmen. Die Leute müssen nicht immer ihr Herz auf der Zunge tragen, aber du weißt trotzdem, was mit ihnen los ist und wie es ihnen geht. Es war also quasi ein heimlicher Wunsch von mir, mit Thomas Stuber zu arbeiten. Ich wusste, dass er das nicht kitschig umsetzt oder daraus eine sentimentale Nummer macht, sondern knallhart an der Wirklichkeit dranbleibt.

Im Film gibt es intime Szenen zwischen Ihnen und Nastassja Kinski, die man so zunächst nicht erwartet hätte, und für die die Chemie zwischen ihnen beiden doch sicherlich wichtig war?

Absolut. Wir haben uns vorher getroffen, denn auch die Macher des Films müssen ja wissen, ob das passt, ob es funktioniert. Und schon da habe ich es geliebt mit ihr. Nastassja ist ganz offen, sehr durchlässig und weich. Sie stellt sich ganz auf das Gegenüber ein. Das gefällt mir. Aber sie ist auch nicht vorhersehbar. Sie agiert ganz aus sich selbst heraus. Dadurch entstehen Momente, die neu sind. Es ist jedes Mal anders, nie routiniert. Als klar war, dass wir den Film zusammen machen, haben wir Kontakt gehalten und mit Thomas Stuber geprobt. Wir hatten zwei, drei Probentage, an denen wir die Sachen ein bisschen angerissen haben. Am Ende waren die Nachtdrehs zum Glück lang und intensiv. Genug Zeit zu haben, ist oft das Geheimnis. Und mit Nastassja war es genau richtig, weil sie so etwas Scheues hat und gleichzeitig auch etwas ganz Direktes. Eine interessante Kombination.

Die Christa, die Sie spielen, ist eine stille, einsame Frau auf der Suche nach Nähe. Was hat Sie an dieser Figur besonders berührt oder auch herausgefordert?

Sie ist sehr in sich gefangen, gelähmt eigentlich. Sie ist gedemütigt worden, und diese Wut steckt tief in ihr drin. Sie kann keinen Platz dafür finden und weiß nicht, wie sie es ausdrücken, mit wem sie darüber sprechen soll. Und eigentlich möchte sie auch mit Birgitt gar nicht sprechen, als sie sie zum ersten Mal trifft. Sie sagt: „Lassen Sie mich in Ruhe. Was wollen Sie denn von mir?“ Dass sie sich ihr dann aber doch langsam öffnet über die wenigen Sätze, die sie sagt und mit denen sie ja nicht gleich ihr ganzes Leben erzählt. Sie spricht nicht über sich selbst oder sagt Dinge wie „Oh, ich bin so einsam“ oder „Mir geht es schlecht“. Das kommt nur zwischen den Zeilen zum Ausdruck, und das fand ich faszinierend. Man sieht jemanden, der eigentlich voll ist bis obenhin und das alles aussprechen möchte, aber eben nicht kann. Und trotzdem sieht man es ihr an. Das ist schauspielerisch sehr spannend und aufregend, und auch schwierig.

Christa ist eine Frauenfigur, wie man sie im Kino selten sieht. Hat sich dennoch in Ihren Augen in den letzten Jahren etwas getan, wenn es um die Darstellung von Frauen geht?

Ich finde schon, dass Frauen inzwischen anders erzählt werden. Auf jeden Fall. Ich spiele jetzt zum Beispiel gerade in einer Miniserie eine Rolle, die hätte früher ein Mann gespielt. Eine Frau, die sich durchsetzt und die Macht übernimmt. Und der Mann spielt das, was früher die Frau gewesen wäre. Er ist der introvertiert Leidende in der Opferposition.

Wie sieht es hinter den Kulissen aus? Sind auch hier inzwischen mehr Frauen in bislang als Männerdomäne geltenden Positionen wie Regie und Kamera anzutreffen?

Ja, es werden aktuell viele junge Regisseurinnen eingesetzt. Das ist gut, auch wenn ich finde, dass es manchmal künstlich ist. Aber vielleicht braucht es das heute noch. Dennoch gibt es viele sehr gute männliche Regisseure, meinetwegen muss es jetzt nicht immer zwingend eine Frau sein. Es wirkt immer noch wie ein Kampf der Geschlechter. Aber klar, ich habe über Jahre nur mit Männern gearbeitet, es gab fast nie Frauen, die Regie geführt haben. Daher geht es wohl aktuell noch nicht anders. Ich denke, in der Kunst zählt das Können und die Begabung unabhängig von Geschlecht und Hautfarbe.

Das alte Leid der Quote. Frauen würden gerne für ihre Leistung eingestellt werden, nicht wegen ihres Geschlechts …

Es ist allgemein schwierig, dass man sich immer auf sein Außen beziehen muss. Darauf, wie man wahrgenommen wird. Wir wären alle doch gerne freier, egal ob Mann oder Frau. Man möchte sich davon befreien, dass einem ständig jemand vorschreibt, wie man zu sein hat und einen beurteilt. Da herrscht großer Druck, finde ich, und der ist kontraproduktiv. Wenn ich das Gefühl habe, ich muss mich beweisen, mit der Figur, der Rolle, mit meiner Arbeit, dann bin ich nicht frei. Dann bin ich nicht lebendig, sondern einbetoniert.

Ein Druck, der sicherlich zu Beginn ihrer Karriere größer war als heute, wo Sie zu den wichtigsten Schauspielerinnen Deutschlands zählen?

Klar, man muss sich ja gerade am Anfang erstmal beweisen. Zeigen, dass man für die Schauspielerei eine Leidenschaft hat, eine Begabung … und dass man fleißig und zuverlässig ist. Sonst funktioniert es nicht. Wir mussten uns früher zwar nicht auch noch mit Social Media beschäftigen, aber dafür gab es andere Dinge. Ich fand den Druck damals schon stark. Die Entscheider waren Männer, was heute zum Glück ein bisschen wegfällt. Denn dann beziehst du dich auch auf Männer, flirtest, machst dich schick, machst dich angenehm. Aber das macht man auch für Frauen, wenn sie die Macht haben und es gibt ja viele Produzentinnen, schon lang.

Nun hat man gerade – sicherlich auch aufgrund diverser Verschiebungen aufgrund der Pandemie – das Gefühl, dass Sie zuletzt ziemlich gut beschäftigt waren. Was steht als Nächstes an?

Ich mache ja auch noch Musik beziehungsweise Lesungskonzerte mit Musikern, bei denen ich rezitiere. Davon wird es auch im kommenden Jahr wieder welche geben. Ansonsten drehe ich gerade für die bereits erwähnte Miniserie mit dem Titel „Helgoland“. Die ist zur Hälfte abgedreht, im Februar und März geht es weiter. Weitere Sachen sind in Planung, aber noch nicht spruchreif.

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