Maurice Ernst von Bilderbuch: „Unkonkrete Texte machen die Leute nervös“

Maurice Ernst von Bilderbuch: „Unkonkrete Texte machen die Leute nervös“

Im Dezember erscheint plötzlich ein neues Album von Bilderbuch. Zwei Monate später gibt es dann auch schon das nächste. n-tv.de hat mit Sänger Maurice Ernst über den Output seiner Band und die mangelnde Traute anderer Künstler gesprochen.

Hoppla, hier kommt ein Album. So in etwa schmissen Bilderbuch am 22. Dezember 2018 ohne große Vorankündigung ihren Longplayer „Mea Culpa“ digital auf den Markt. Und den Fans blieb kaum genug Zeit zum Verschnaufen, denn mit „Vernissage My Heart“ gibt es am 22. Februar gleich das nächste hinterher.

Ein solches Release-Konzept ist neu, für die Kenner von Bilderbuch aber nicht weiter verwunderlich. Immerhin haben die vier Österreicher noch nie gemacht, was man von ihnen erwartete. Mit ihrem dritten Longplayer „Schick Schock“ erfanden sich die früheren Indierocker aus Wien akustisch und optisch neu. Fortan präsentierten sie Genregrenzen überschreitende Popmusik mit Glamour-Faktor und deutschsprachigen Texten. So feierten sie mit „Maschin“ auch bei uns ihren Durchbruch.

Zwei Jahre später vollzogen sie mit „Magic Life“ den nächsten Wandel, fügten ihrem Mix aus Art-Rock, HipHop, Funk und Glam-Pop Elemente wie Reggae, Trap und Gospel hinzu. Noch mehr Synthesizer, noch mehr Pop-Eklektik und mit „Bungalow“ nach „Spliff“ und „Om“ ein weiterer Hit. Dem aufmerksamen Zuhörer entging allerdings schon damals nicht eine gewisse Introvertiertheit. Dieser nachdenkliche Ansatz setzt sich in den zwei neuen Veröffentlichungen fort.

Vorbote darauf ist die Single „Europa 22“, der Bilderbuch als Europa-Befürworter gleich die passende Polit-Aktion angedeihen ließen. Sie posteten zu Beginn der Woche selbst kreierte EU-Ausweise, und in nur 24 Stunden taten es ihnen 70.000 andere gleich, darunter Prominente wie Joko Winterscheidt, Dendemann und Jan Böhmermann.

https://www.instagram.com/p/Bt-uQ8uHA0o/

Worauf man bei einer Band wie Bilderbuch im Vorfeld zu einem Album immer und als Einziges wetten kann: Sie bleiben sich treu, entwickeln sich aber dennoch weiter. „Mea Culpa“ und „Vernissage My Heart“ sind die zwei Seiten einer Medaille. Es wird weniger gezuckt und rotiert, es werden mehr Gitarrensaiten gezupft als Synthie-Tasten gedrückt. Was das alles mit Freiheit zu tun hat und warum sonst im Deutsch-Pop viel zu wenig experimentiert wird, hat Maurice Ernst n-tv.de im Interview erzählt.

Maurice, ihr habt sehr kurz hintereinander zwei Alben veröffentlicht. Das ist eher ungewöhnlich …

Maurice Ernst: Alles ist im Umbruch, alles ist gerade Chaos. Die Idee von den zwei Alben war die, dieses Chaos zuzulassen und Diversität zu zeigen, statt sich auf eine Seite zu schlagen. So kann auch unter Fans ein Diskurs stattfinden. Wir wollten uns keine Grenzen setzen und uns mehr Freiheit gönnen. Das war schon beim Schreiben so. Wir haben einfach gemacht, ohne ein Konzept zu haben. Dafür haben wir drei Wochen ein Haus in Kroatien gemietet und Musik gemacht, als wäre es das erste Mal. Auf diese Weise sind sehr unterschiedliche Dinge entstanden. Am Ende hatten wir sehr viel Material, zu viel für nur ein Album.

Wäre nicht auch ein Doppelalbum eine Option gewesen – oder gar der Verzicht auf einige Songs?

Klar, wir hätten etwas streichen können, um auf Albumlänge zu kommen. Aber dann haben wir gemerkt, dass es zwei sehr unterschiedliche Energien gibt und die Songs dementsprechend in zwei Playlisten aufgteilt. So entstanden das eher nach innen gerichtete „Mea Culpa“ und das hippieske „Vernissage My Heart“.

Es ist also doch irgendwie ein Doppelalbum, nur mit zeitlichem Versatz …

Ein bisschen schon, aber ich finde, ein Doppelalbum ist oft immer ein bisschen zu viel. Man ist dem als Fan oft gar nicht gewachsen. Deswegen haben wir lieber zwei kurze, knackige Alben mit zeitlichem Versatz veröffentlicht, dahinter steckt in gewisser Weise so ein Magazin-Gedanke. Wir sind eine Band, wir machen etwas und können es innerhalb kürzester Zeit veröffentlichen, ganz ohne weitere Informationen dazu. Einfach nur um zu schauen, was passiert. Das ist schon ziemlich geil.

Welche Erwartungen habt ihr dann an „Mea Culpa“ geknüpft, das ja bis jetzt fast ohne Promo auskommen musste?

Wenige. Du kannst nicht erwarten, dass du mit einem solchen Release jeden Herbert-Grönemeyer-Fan erreichst und der dann sagt: „Hey, hast du gehört? Bilderbuch haben vor drei Tagen bei Instagram angekündigt, dass sie ein neues Album veröffentlichen. Glaube, das ist ganz gut.“ Das ist nicht sehr realistisch. Trotzdem willst du Pop machen und dich zeitgemäß verhalten, aber nicht irgendwelche Pseudo-Kampagnen machen, nur um etwas zu verkaufen.

Plattenkritiken zu „Mea Culpa“ gab es natürlich trotzdem. So einige haben es verrissen, fanden es langweilig und uninspriert. War euch klar, dass der neue Sound polarisieren würde?

Ich finde das voll okay, das ist im Grunde sogar gut. Musikjournalisten beschäftigen sich ja im besten Falle wirklich noch mit der Musik, in die wir viel Arbeit gesteckt haben. Wenn man dann erkennt, dass jemand das Album wirklich gehört hat, ist auch ein Verriss okay. Es ist eher enttäuschend, ein Lob von jemandem zu hören, der das Album ganz offensichtlich gar nicht richtig kennt. Der schreibt dann nur das, was er immer schreibt über die Band mit dem blonden Sänger, der an der Stange tanzt.

Obwohl du inzwischen schwarzhaarig bist. Die potenziellen Hits jedenfalls sind eher auf „Vernissage My Heart“ zu finden. Die aktuelle Single „LED go“, der Titelsong und „Ich hab Gefühle“ sind so Kandidaten. Wie wichtig ist es euch, einen „Hit zu landen“?

Wie definiert sich ein Hit? Wir haben „Maschin“ damals ja auch nicht fürs Radio geschrieben, man kann das nicht planen. Du musst einfach nur deine Musik machen. Wenn du spürst, dass ein Song das Potenzial zu was Größerem hat, gehst du zwei Meter auf ihn zu, aber du musst ihn nicht suchen.

https://www.instagram.com/p/BuUGYkmnlLM/

Du bist kein großer Fan von Instagram. Privat gibt es dich dort nicht und auch eure Band-Inhalte werden eher spärlich gesät.

Wir machen weniger denn je, aber auf Likes bezogen sind wir bei Instagram stärker als jemals zuvor. Facebook ist für uns gefühlt tot, da wurden die Künstler regelrecht vertrieben. Und obwohl über Instagram ein positiver Austausch mit den Fans stattfindet, bewegt man sich doch in seiner viel zitierten „Bubble“. Wir erreichen unsere Leute, aber darüber hinaus geht es kaum. Doch die Fans interessiert eben das Ganze, also neben der Musik auch die Artworks, Bewegtbilder und so weiter. Für mich muss das schon alles geil miteinander ausschauen. Mein Privatleben gehört aber nicht zu dem Gesamtkunstwerk.

Womit du den Effekt umgehst, dass Fans dich für einen guten Freund halten, weil sie dich ja gestern noch bei Instagram in deiner Küche beobachten durften.

Richtig, ein gesundes Verhältnis nicht nur zu den Medien, sondern auch zu den Fans ist eine Lebensgrundlage, die man sich unbedingt erschaffen sollte. So viele Leute glauben heute, Freunde zu haben, obwohl sie sie nur über das Internet kennen, und bauen eine Pseudo-Beziehung zu etwas auf, die nichts bedeutet.

Spiegelt sich diese Oberflächlichkeit auch in der heutigen Popmusik wider?

Ja, absolut, heute musst du überall nur noch funktionieren – bei Spotify, bei Instagram. Deswegen gibt es so wenige Experimente in der Popmusik. Eine Band, die sich was traut und trotzdem bekannter ist, musst du suchen. Auf internationaler Ebene ist in meinen Augen Bon Iver so ein Künstler, doch würde er Deutsch singen, wäre er vermutlich nicht so groß. Im deutschsprachigen Raum fallen mir da nur AnnenMayKantereit ein. Sie sind inzwischen eine große Band, und das Album ist trotzdem ambitioniert, es will mehr. Und das gefällt mir.

Die Entscheidung, Deutsch zu singen, ist natürlich immer eine Beschränkung des eigenen Wirkungskreises …

Aber es wäre auch das Peinlichste, aus reiner Gier jetzt ein Album auf Englisch zu machen und auf Erfolg im Ausland zu hoffen. Gelingt das nicht, ist auch in Deutschland alles kaputt. Wenn ein Song eine gute Energie hat, ist er allerdings auch zu verstehen, wenn die Sprache nicht deine ist.

Dabei ist die deutsche Sprache für innovatives Texten doch viel besser geeignet als die englische, oder?

Sie zwingt einem mehr Poesie hinein. Ich denke, das kann man so sagen. Man hat das Gefühl, jeden englischen Satz schon mal gehört zu haben. Bei Bilderbuch-Texten gibt es natürlich auch Sätze, die sich wiederholen, aber man kann immer noch etwas Neues singen, das anders, irgendwie strange klingt. Ich denke, viele Leute haben eher ein Problem damit, wenn es unkonkret wird. Sie wollen Informationen konsumieren, und wenn ihnen der Text zu kompliziert ist, werden sie unruhig und nervös. Deswegen ist auch jemand wie Mark Forster so groß, weil er seinen Weg niemals verlassen würde.

Ihr spielt im Mai zwei Konzerte vor dem Schloss Schönbrunn in Wien, jeweils vor 15.000 Leuten. Was bedeutet dir diese Chance – als Österreicher und als Musiker?

Für jeden Musiker und jeden Österreicher ist es vor allem eine Location, die so megalomanica ist wie ein Stadion, aber mitten in der Stadt liegt. Man könnte das Ganze auch in der Stadthalle veranstalten und es würden noch mehr Menschen reingehen. Aber darüber, dort spielen zu dürfen, entscheiden so Kulturverwalter. Man hat also dort angefragt und die haben das gutgeheißen, das ist auch schön. Pro Jahr findet da nur etwa ein Rockkonzert statt. Zuletzt hat Roger Waters von Pink Floyd dort vor zwei Jahren gespielt. Dann kam lange nichts und jetzt kommen wir.

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