Max Raabes „MTV Unplugged“: Morbider Charme und große Töne

Max Raabes „MTV Unplugged“: Morbider Charme und große Töne

Eigentlich ist es nicht ungewöhnlich, dass ein Orchester ohne Strom auskommt. Doch unter der Flagge von MTV wird ganz schnell ein besonderes Event daraus. Im Interview mit n-tv erzählt Max Raabe mehr über die musikalischen Abende mit Freunden und seine Liebe zu Berlin.

Für die „MTV Unplugged“-Ausgabe von Max Raabe und seinem Palast Orchester versammelten vor einigen Monaten an zwei Abenden rund 40 Musiker in Clärchens Ballhaus in Berlin. Das passte vor allem deshalb so gut, weil der Look des dortigen Spiegelsaals den von den 1920er- und 1930er-Jahren inspirierten Sound Raabes perfekt widerspiegelte – auch wenn ein Orchester natürlich per sé unplugged spielt und nicht so recht in die CD-Reihe des Musiksenders passen will. Legendär sind beispielsweise die Aufnahmen von Nirvana, Bruce Springsteen, Björk, Alicia Keys und Placebo. Zuletzt durften Künstler wie Shawn Mendes, Udo Lindenberg und Santinalo ran, im nächsten Jahr sollen dann unter anderem Pur folgen.

Für das Konzert in seiner Wahlheimat Berlin holte sich der 56-jährige Raabe aber obendrein noch Unterstützung von Künstlern, die musikalisch eher in der Jetztzeit verortet sind. So entstand eine feine Melange aus orchestralem Swing-Sound und Moderne. Mit dabei waren Herbert Grönemeyer, Samy Deluxe, Pawel Popolski, Lea, Namika, der finnische Hardrocker Lordi sowie der derzeit offenbar unvermeidbare Lars Eidinger.

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Weil allein das vielköpfige Orchester an jenen Abenden eine Menge Raum einnahm, war die Anzahl der Gäste entsprechend beschränkt, doch gibt es das Ganze – und damit immerhin 30 Songs – jetzt ja für alle und daheim auch auf CD oder per Streaming. Im Gespräch mit n-tv.de hat Max Raabe erklärt, was die Konzerte, aber auch seine Wahlheimat Berlin für ihn so besonders machen.

n-tv.de: Herr Raabe, wie hat sich die Auswahl der Songs und der Gäste für die beiden Abende ergeben?

Max Raabe: Die große Frage war, ob die Leute, die wir gern dabeihätten, überhaupt Zeit haben. Wenn man dann seine Wunschkandidaten zusammenhat, kann man sie fragen, was sie singen wollen. Wir sprechen über mögliche Titel und selbstverständlich gehe ich auf ihre Wünsche und Vorstellungen ein.

Was für ein Projekt dieser Größenordnung ja quasi nichts ist. Ich hätte gedacht, dass die größere Herausforderung war, alle Musiker in den Spiegelsaal zu bekommen und noch Platz für Gäste zu lassen.

Das kam dann später. Wir haben uns vorher gar nicht so klargemacht, dass uns im Spiegelsaal der Klang um die Ohren fliegt, weil es sehr viele glatte Flächen und Glas gibt. Da mussten wir mit Teppichen arbeiten und Spiegel abhängen. Dann war der Klang, wie wir ihn uns erhofft hatten. Zunächst war es aber doch ein Schock, denn immerhin haben wir in einem sehr kleinen Raum mit sehr vielen Leuten sehr laut Musik gemacht.

War die Wahl der Location Ihre Idee?

Das war ein Vorschlag und wir fanden den alle gleich gut, weil der Raum eine Intimität hat und gleichzeitig einen morbiden Charme sowie eine Großzügigkeit. Ich wollte es intim haben, damit man mit dem Publikum wie bei einer Familienfeier zusammensitzt, und dann kommt jemand und singt.

Viel Platz für Publikum blieb ja vermutlich nicht. Wer waren die 50 bis 60 Gäste?

Wir haben Freunde und Bekannte gefragt, ob sie Zeit und Lust hätten, dabei zu sein. Ein bisschen Verwandtschaft, ein bisschen Freunde, das war natürlich schnell entschieden, weil es nicht so viele sein konnten. Es waren alles Menschen, denen wir einen Gefallen tun wollten, weil sie uns auch schon oft geholfen haben.

Nun ist ein Orchester ja sowieso schon unplugged. Also ist es irgendwie ein bisschen „MTV Unplugged Unplugged“. Kam Ihnen die Anfrage nicht selbst komisch vor?

Mein erster Gedanke war natürlich, dass ich doch gar kein „MTV Unplugged“-Künstler bin, fand das dann aber irgendwie lustig, mir darüber Gedanken zu machen. Wir haben uns zusammengesetzt und herumphilosophiert, wie man es wagen könnte, was passen würde. Es war ein bisschen wie eine Wunschliste beim Kindergeburtstag zusammenzustellen. Bis zum Schluss habe ich niemandem in meinem Freundes- und Bekanntenkreis erzählt, was ich mache, geschweige denn, wer an musikalischen Gästen dabei sein soll. Es kann ja immer was dazwischenkommen. Ein Zug fällt aus, ein Flieger geht nicht oder persönliche Dinge, die denjenigen zwingen, abzusagen.

Musikalische Gäste wie Achim Hagemann alias Pawel Popolski waren zu erwarten, Leute wie Samy Deluxe, Herbert Grönemeyer, Lordi und Lars Eidinger nicht unbedingt …

Der Ansatz war, Musiker einzuladen, auf die man nie käme, wenn man an Max Raabe & Palast Orchester denkt. Es sollten sich fremde Welten auf uns einlassen.

Ist Ihnen eine der Zusammenarbeiten in besonderer Erinnerung geblieben?

Es sind ja alles ganz unterschiedliche Leute, die sich in keiner Weise ähnlich sind. Allein, dass Lordi kommt – mit Nebel und Orchester-Akkorden, ein brutaler Auftritt. Und dann entsteht plötzlich der intimste Moment, wenn er in die Stille hinein „Just A Gigolo“ singt.

Kann man so etwas dann vorher proben oder macht man es ein bisschen im Blindflug?

Im Grunde schon. Wir hatten am selben Tag eine Probe mit Lordi und eine mit Grönemeyer. Denen haben wir zwar unseren Orchesterpart geschickt, damit sie sich etwas vorstellen können, aber das ist natürlich schon was anderes. Aber jemand wie Grönemeyer kommt rein, wir proben da einmal, dann zieht er sich seinen Smoking an und eine halbes Stunde später singt er das, und die Aufnahme kann man genauso an einem Stück nehmen.

Dass das Ganze in Berlin aufgezeichnet wurde, lag natürlich nahe. Sie sind als Westfale überzeugter Wahlberliner und gelten als eine Art Botschafter für die Stadt. Was ist es, was Sie hier so mögen?

Ich bin seit 1985 in Berlin. Mir hat damals mal eine alte Dame im Bus gesagt, nach fünf Jahren sei man Berliner. Abgesehen davon kommt meine Familie mütterlicherseits aus Berlin. Die Hauptsache ist aber, dass man sich hier wohl fühlt.

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War das bei Ihnen von Tag eins an so? Oder brauchten Sie Zeit zum Akklimatisieren? Raus aus dem idyllischen Westfalen und rein in den Moloch?

Ich habe mich sofort wohlgefühlt. Ich dachte: „Du bist Anfang 20, lebst in Berlin und hast eine eigene Wohnung. Du bist der glücklichste Mensch der Welt.“ Ich habe den Westberliner Teil vor der Wende erkundigt, das waren tolle und lustige Zeiten. Als dann die Mauer fiel, habe ich noch einen großen Teil dazugelernt. Ich fand das immer toll hier und habe mich nie unwohl gefühlt. Aber vielleicht bleibt auch einfach der Blick frisch, wenn man wie ich so viel unterwegs ist und rumreist. Da weiß man, was man hat, wenn man wieder zurückkommt.

Und daran hat sich – abgesehen vom Alter – bis heute nichts geändert? Oder sehen Sie die durchaus massiven Veränderungen, die die Stadt in den letzten 30 Jahren durchlebt hat, hier und da auch kritisch?

Ich wohne seit Mitte der 90er in Mitte. Es sind viele tolle Restaurants und Kneipen verschwunden, dort sind jetzt Modeketten drin. Das ist natürlich traurig. Aber so ist es eben. Ich hoffe, dass es nicht noch doller wird. Die Straße, in der ich lebe, hat sich dagegen kaum verändert. Aber Torstraße und Rosenthaler Platz sind nicht wiederzuerkennen, sie haben sich aber zum Positiven entwickelt. Früher gab es da lauter Leerstand, jetzt sind dort tolle Läden und eben keine Ketten.

Der Gedanke, der lauten und hektischen Stadt den Rücken zu kehren, wie ihn viele ab einem gewissen Alter haben, kam Ihnen demnach nie?

Nein, und im Sommer ist der Vorteil von Berlin, dass man an den Stadtrand fahren kann und sofort das Grün anfängt. Es gibt hier keine kilometerlange Peripherie wie in anderen Städten. Nach einer Dreiviertelstunde ist man an irgendeinem Wasser. Und es gibt so viele Seen, dass sich das alles verliert und man sehr viel Ruhe und Raum finden kann. Und am Abend fährt man dann wieder zurück und sitzt in irgendeinem lustigen Biergarten.

Wie viel Berlin steckt in Ihren Liedern? Sind es häufig Alltagsbeobachtungen, die Sie inspirieren, oder ziehen Sie vieles eher aus Selbsterlebtem?

Es sind alles Geschichte, die mit Leuten zusammen entstanden sind, wie mit Annette Humpe, mit Rosenstolz und Achim Hagemann. Da sitzt man dann da und spinnt rum, spielt ein paar Akkorde am Klavier und schaut, was einem dazu einfällt. Das geht so Ping-Pong-mäßig hin und her, auch wenn die Texte größtenteils von mir kommen. Aber die entstehen auch nur, weil ich vorher mit Leuten gesprochen habe und Peter Plate plötzlich was aufschreibt. Dann gehe ich nach Hause und schreibe weiter dran und am nächsten Tag trifft man sich wieder, liest sich das vor und guckt, ob es passt. Das Zusammenarbeiten mit anderen Musikern liebe ich. Alleine Stücke zu schreiben macht mir einfach keinen Spaß mehr. Dann klingt es nach 20er-Jahre. Wenn ich es mit anderen Leuten mache, wird es Raabe-Pop.

Mit dem Sie inzwischen ja auch in den USA touren. Wie reagiert das Publikum dort auf die Musik? Wer kommt zu Ihren Konzerten?

Es ist ganz wild gemischt. Wenn ein Amerikaner zu einem sagt „I am German too“, heißt das, die Familie ist 1850 aus Oldenburg ausgewandert. Die haben aber immer noch so ein Faible dafür. In Deutschland ist das Publikum ebenfalls bunt gemischt, aber schon deutlich jünger, eben durch die Zusammenarbeit mit den anderen Künstlern. In den ersten Reihen sitzen die Leute oft in Smoking und Abendkleid und nehmen unser Konzert zum Anlass, sich mal wieder in ihre Vintage-Kluft zu werfen. Und jede Stadt ist da auch wieder anders, das ist selbst von Bundesland zu Bundesland verschieden.

Die Art der Musik, die Sie machen, wurde einst auf Schellack und Vinyl groß. Inzwischen streamen die Menschen qualitativ minderwertige MP3s und sind happy damit. Glauben Sie, dass dadurch ein gewisser Charme verloren geht?

Nein, das glaube ich nicht unbedingt. Wenn wir Sachen schreiben, überlege ich eher, wie ich die Dinge formulieren und eine gute Geschichte erzählen kann. Dabei denke ich mehr an die Live-Umsetzung und versuche mir vorzustellen, wie die Leute reagieren. Ich habe oft komische Wendungen oder ironische Brechungen. Ich freue mich, wenn mir was einfällt und hoffe, dass es dann am Abend funktioniert und die Leute an der richtigen Stelle lachen.

Was ist denn schlimmer: Wenn die Leute nicht lachen wie erwartet oder an einer Stelle, die nicht dafür gedacht war?

Ach, wenn Sie an einer anderen Stelle lachen, dann merke ich mir die Pointe und verkaufe sie beim nächsten Mal einfach als meine eigene. (lacht)

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