Mit Kadavar nach Transsilvanien und zurück

Mit Kadavar nach Transsilvanien und zurück

Mit psychedelischem Stoner Rock begeistern Kadavar seit Jahren Fans auf der ganzen Welt. Für ihr fünftes Album haben sich die Berliner jetzt von alten Horrorfilmen und Graf Dracula inspirieren lassen. Das und noch mehr haben sie n-tv.de im Interview erzählt.

Denkt man aus Rockmusik aus Deutschland, die auch in Übersee Fans gefunden hat, fallen einem vermutlich als erstes die Scorpions und Rammstein ein. Im weitesten Sinne demselben Genre angehörig, musikalisch jedoch völlig anders aufgestellt und im Ausland ebenfalls extrem erfolgreich sind Kadavar aus Berlin.

Gegründet 2010 stehen sie für authentischen Stoner- und Psychedelic-Rock mit Nähe zum Doom Metal in der Tradition von Bands wie Black Sabbath, Led Zeppelin und Pentagram. Ihre Konzerte sind eine atmosphärische Zeitreise in die 60er- und 70er-Jahre, ohne dabei angestaubt oder altbacken zu wirken. Bei Kennern der Szene sind die bärtigen Typen im Second-Hand-Bühnenoutfit längst kein Geheimtipp mehr. Durch die Nennung im aktuellen „Fest & Flauschig“-Podcast von Olli Schulz und Jan Böhmermann durch die Deichkind-Mitglieder Kryptik Joe und Porky, die den Auftritt von Kadavar beim Preis für Popkultur gleich mehrfach lobend erwähnen, wird nun auch eine andere Zielgruppe auf die Berliner aufmerksam.

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Wie praktisch also, dass jetzt mit „For The Dead Travel Fast“ ein neues und damit das mittlerweile fünfte Album des Trios erscheint. Ein geisterhaftes Werk voll mystischer Zitate, düsterer Klangkulissen und einer unterschwelligen Melancholie. n-tv.de hat mit Sänger und Gitarrist Christoph „Lupus“ Lindemann und Schlagzeuger Christoph „Tiger“ Bartelt über Vampire und andere Mysterien der Lebenden und der Toten gesprochen.

n-tv.de: Der Albumtitel ist einem deutschen Dichter entliehen. Was genau steckt dahinter?

Christoph „Tiger“ Bartelt: Er gibt dieses Gedicht von Gottfried August Bürger, in dem er über eine Frau schreibt, die auf ihren Mann wartet, der im Krieg verschollen ist. Eines Tages erscheint ihr sein Geist und will sie an den Altar bringen. Das gestaltet sich als eine Reise durchs Totenreich. Irgendwann kommen sie am Friedhof an und die Frau realisiert, dass ihr Mann schon tot ist. Es ist eine Geschichte, die die Existenz von Gott in Frage stellt. Warum lässt Gott, falls es ihn gibt, Dinge wie Krieg und Tod zu? Dieses Gedicht wurde unter anderem auch zu Beginn von Bram Stokers „Dracula“ zitiert.

Es ist folgendes Zitat aus der Ballade „Lenore“ von 1774: „Die Todten reiten schnell!“

Tiger: „For The Dead Travel Fast“ haben wir zum Teil aus dem Gedicht und zum Teil aus der Warnung am Anfang von Dracula gewählt, das böse Mächte im Spiel sind.

Christoph „Lupus“ Lindemann: Diese Ballade zählt als erste Vampirgeschichte, die es je gegeben hat. Alles, was danach kam, baut sich quasi darauf auf. Wir dachten, dass das ganz gut kommt, wo wir doch vorher schon bei Dracula am Schloss waren.

Gemeint ist das Schloss Bran in Rumänien. Dort ist das Coverfoto für das Album entstanden. Der Legende nach hat das leibhaftige Vorbild für den Vampir aller Vampire, also der Fürst Vlad III. Draculea, dieses Gemäuer aber nie betreten …

Lupus: Ich glaube, es ist die Burg, die der Beschreibung im Buch am nächsten kommt. Die originale Burg ist wohl noch mal ein paar Kilometer weiter in Transsilvanien, die ist aber ziemlich hässlich, deswegen will da niemand hin. Bran ist schöner, es ist quasi das Schloss Neuschwanstein der Vampire. Mittlerweile ist es eine Touristenattraktion, im Grunde ist es aber ziemlich unspektakulär. Die haben einen riesigen Zaun drum gemacht, und man muss viel Geld für den Eintritt bezahlen. Aber es eine ziemlich kleine Burg mit nur einem kleinen Burghof.

Jedenfalls klingt das alles jetzt ganz so, als sei zuerst das Foto entstanden und dann die Idee zum Album? Das wäre recht ungewöhnlich …

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Keine Angst, Kadaver wollen nur (live) spielen.

Lupus: Das war schon beim letzten Album „Rough Times“ so. Wir hatten zuerst das Cover und haben dann die Musik zum Visuellen geschrieben. Es ist einfacher, sich auf so auf ein Thema einzulassen, und es ist für jeden greifbarer, weil man zusammen an dem Thema arbeitet. Als dann die Idee kam, dachten wir, wir bräuchten was mit einer Burg. Also haben wir das weitergesponnen, bis wir zu dem Dracula-Ding kamen. Dann sind wir erst dahin gefahren, und das hat natürlich etwas mit uns gemacht. Wir haben uns mehr damit beschäftigt, und dann kamen auch noch andere alte Horrorfilme dazu.

Unter anderem der italienische Film „Suspiria“ von 1977, für den die Band Goblin damals den Soundtrack gemacht hat.

Lupus: Goblin haben das eher Krautrock-mäßig mit viel Synthesizern umgesetzt, aber die Art und Weise, wie sie Musik zu Filmen gemacht haben, hat uns begeistert. Diese langsame Erzählweise, die sich wiederholenden Sachen sollten in unser Album einfließen, sodass die Songs wieder länger werden und eine Geschichte erzählen. Ich glaube, dahingehend hat uns das beeinflusst. Eher italienische Horrorfilme, nicht wie die amerikanischen, in denen alles zerhackt und gegessen wird wie in „Texas Chainsaw Massacre“ oder so. Eher bildliche Darstellungen, die dem Betrachter die Aufgabe geben, das Ganze im Kopf weiter zu spinnen, sodass der eigentliche Horrormoment erst dort entsteht.

Euer Sound klingt extrem international, eher US-amerikanisch als deutsch. Ließe man die Leute auf der Straße raten, kämen sie nicht unbedingt auf Berlin als Ausgangspunkt für die Musik. Werdet ihr dementsprechend in anderen Ländern anders empfangen oder wahrgenommen?

Lupus: Man hat natürlich immer den Exoten-Bonus, den auch Bands haben, die von irgendwoher nach Deutschland kommen. Steht hier bei einer Band in Klammern USA hinter dem Namen, gehen die Leute oft doch schon allein aus Neugier hin. Die kommen über den großen Teich, also müssen die ja jemand sein. In Südamerika hatten wir viele Fans, die am Flughafen oder vor dem Hotel gewartet haben. Aber das ist Teil der Kultur dort, so werden Gäste eben empfangen. Und es ändert sich schon innerhalb Europas. Es gibt die Art und Weise, wie Skandinavier auf einen zugehen ist, also zurückhaltend und ruhig, und dann die der Spanier, die durchdrehen und eher kumpelhaft zu einem sind. Ob das am Ende damit zu tun hat, dass wir eine deutsche Band sind, weiß ich nicht. Es liegt vielleicht einfach dran, dass wir eben Kadavar sind.

Mit eurem dritten Album „Berlin“ habt ihr es aber auch in Deutschland auf Platz 18 der Albumcharts geschafft, was für eine eher nischige Band wie euch ein ziemlicher Erfolg ist. Leckt man da Blut? Will man danach bald auch mal im Olympiastadion spielen?

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Tiger: Was passiert ist mit den letzten zwei Platten ist, dass wir das Gefühl haben, angekommen zu sein. Wir haben Sachen ausprobiert, aber auch unseren Sound definiert. Ich finde schon, dass ist etwas, auf das man aufbauen kann und auf das wir aufbauen wollen. Es ist schön, dass wir es soweit geschafft haben, aber wir haben uns nie darum geschert etwas zu tun, damit der Erfolg kommt. Es ging uns immer darum, in unserer eigenen Mitte zu sein. Wir wollen nach außen das zeigen, was von Herzen kommt, und das muss auch so bleiben, sonst würden wir uns lächerlich machen.

Lupus: Es ist Nischenmusik, und da werden wir auch nicht rauskommen, glaube ich zumindest. Wenn wir in Berlin jetzt in der Columbiahalle [1400 Zuschauer] spielen, sind wir da allerdings vielleicht schon ein Stückchen rausgekommen. 2013 haben wir das SO36 [800 Zuschauer] in Kreuzberg ausverkauft, da dachte ich schon, dass alles, was danach kommt, eigentlich nur noch Zugabe ist. Aber wir haben noch nie eine Platte geschrieben mit dem Gedanken, ob sie uns weiterbringt. Gerade „Rough Times“ war so unangepasst, dass man uns nicht vorwerfen kann, wir würden versuchen, groß rauszukommen. (lacht)

Ihr habt früher schon im Vorprogramm eurer persönlichen Helden gespielt, darunter Doom-Legenden wie Pentagram und Saint Vitus. Gibt es von denen direkte Reaktionen auf euren Sound, und macht das was mit euch?

Tiger: 2012, als wir unsere ersten Support-Shows gespielt haben und uns noch keiner kannte, da kamen so Bands schon hinterher an und meinten: „Hey, is geil so, coole Show!“, weil keiner von denen wohl damit gerechnet hatte. Das ist uns in dem Jahr oft passiert, bei Shows mit Saint Vitus, Pentagram und mit Electric Wizard.

Lupus: Wir haben im ersten Jahr schon alles abgegrast, was möglich war. (lacht)

Tiger: Das war schon krass für uns, weil wir dachten: Wenn die das gut finden, dann …

Lupus: Das sind die Urväter. Wenn Bobby Liebling [Frontmann von Pentagram – Anm. d. Autorin] so ankommt, der allerdings auch viel Stuss redet, dann ist das schon cool. Letztes Jahr haben wir mit den Scorpions und Ozzy Osbourne gespielt, was nochmal 20 Stufen darüber ist. Aber wir haben mehr davon, wenn die Leute von Deichkind bei Böhmermann und Schulz sagen, dass sie unseren Auftritt geil fanden und uns mehrmals namentlich nennen. Das ist für mich greifbar. Deutsche Künstler, die Erfolg haben, über so viele Jahre. Die gute Musik machen, wenn die auch nicht meins ist. Wenn solche Leute einen loben, das bedeutet mir am Ende mehr als Pentragram oder Saint Vitus.

Im November geht die nächste Tour mit zahlreichen Shows los. Bereitet ihr euch neben dem Proben irgendwie darauf vor?

Tiger: Immer, wenn der Sommer vorbei ist, habe ich etwas in der Nase. Es ist in der Luft, wenn die Blätter wieder rot werden, dann ist Tourzeit. Der Körper ist inzwischen fest darauf geeigt, dass es im Oktober, November wieder auf Tour geht. Der weiß Bescheid, dass es bald soweit ist.

Lupus: Ein bisschen Sport vorne weg. Ich als Sänger muss viel mit meiner Stimme machen, damit die das durchhält. Es sind ja oft 30 Shows am Stück. Gesangstraining, bisschen zurückhalten, wieder gut ernähren. Komischerweise trinke ich am wenigsten, wenn wir auf Tour sind. Für mich ist zu Hause immer wie Urlaub, wenn ich unterwegs bin, muss ich halt arbeiten. Als Sänger ist das schwierig, denn wenn ich trinke, dann rauche ich auch.

Vorbei also die Zeiten von Sex, Drugs &  Rock’n’Roll? Wo sind die Groupies, wo ist das Heroin? Wo ist der Spirit der großen Vorbilder aus den 1970ern?

Lupus: Damals gab noch kein Youtube und man konnte zehn Shows am Stück auch mal richtig kacke sein. In Woodstock haben einige Bands gespielt, die so grottenschlecht waren, dass sie alle nicht in der Doku gelandet sind.

Ach so, ich dachte, man hätte backstage nur so viel gefeiert, weil es noch kein Netflix gab und die Leute einfach nicht wussten, was sie sonst nach der Show im Hotelzimmer machen sollten?!

Lupus: (lacht) Das kam noch dazu. Zum einen konnten sie nicht an ihrem Handy rumspielen, und zum anderen war es total egal, wie sie danach performen, weil es niemand aufgezeichnet hat.

Ist das für den Rock’n’Roll nicht eine schreckliche Entwicklung? Das ist doch maximal für eure Körper langfristig gut. Wobei den Rolling Stones das Rumlumpen auf Tour auch nichts ausgemacht hat.

Lupus: Die Stones werden noch spielen, wenn wir es schon lange nicht mehr tun. Die werden bestimmt immer eingefroren und nur für die Tour wieder aufgetaut.

Tiger: Durch das ständige Einfrieren und Auftauen sind allerdings die Falten ein bisschen mehr geworden.

Tja, irgendwas ist ja immer.

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