„Neues aus der Welt“: Traumabewältigung im Wilden Westen

„Neues aus der Welt“: Traumabewältigung im Wilden Westen

In die Schlagzeilen geriet „Neues aus der Welt“ kürzlich, weil die darin mitwirkende zwölfjährige Helena Zengel aus Berlin für einen Golden Globe nominiert ist. Eigentlich sollte das Western-Drama mit Tom Hanks ins Kino kommen, nun ist es stattdessen bei Netflix abrufbar.

Als Captain Jefferson Kyle Kidd auf das Waisenkind Johanna Leonberger trifft, schreit, beißt und tritt das Mädchen um sich. Und sofort wird auch dem uniformierten Zuschauer klar, woher er dessen Darstellerin Helena Zengel kennt – sofern er das deutsche Drama „Systemsprenger“ gesehen hat. Denn auch dort spielt die damals Zehnjährige ein traumatisiertes Mädchen, das sich mit allem und jedem anlegt und nur zu einem einzigen Menschen Vertrauen fasst, ihrem Anti-Aggressionstrainer, gespielt von Albrecht Schuch.

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In der Romanverfilmung „Neues aus der Welt“ ist der Mensch, der im Laufe der zwei Stunden Filmzeit als einziger an das Kind herankommt, gleich mal ein echter Hollywood-Star. Tom Hanks ist besagter Captain, der – selbst das Trauma des Bürgerkriegs und eines schweren Verlusts auf den Schultern – durch den Norden von Texas reitet. Er zieht von Ort zu Ort, um den Menschen bei abendlichen Veranstaltungen Nachrichten aus nationalen Zeitungen vorzulesen. Auf seinem Weg trifft er eben auf Johanna, die zunächst durch mordende Kiowa-Indianer ihre leiblichen Eltern verlor, dann von dem Stamm aber wie eine der ihren aufgezogen wurde. Nun ist auch diese Familie tot, schließlich befinden wir uns im Wilden Westen des Jahres 1870. Die Sitten sind rau, die Kämpfe zwischen Weißen, Schwarzen und Indianern blutig, die Moral am Boden.

Rassismus und „Fake News“

Johanna ist verstört, versteht kein Englisch, und auch ihre Muttersprache Deutsch ist ihr längst fremd. Dafür kann das Kind die Sprache Kiowa. Die wiederum aber spricht der ehemalige Captain der konföderierten Armee nicht. Die Kommunikation der beiden funktioniert also mehr über Gesten und Blicke, und das immer besser mit jeder Gefahr, der sie sich gemeinsam stellen müssen. Seien es Schurken oder Naturgewalten – der Captain und Johanna sind Verbündete im Geist und im Schmerz, den sie zu verwinden haben. Beide haben mit ihren Dämonen zu kämpfen. Läuft der Captain vor seinen davon, lernt er von Johanna, dass man erst weitermachen kann, wenn man sich ihnen gestellt hat.

Der Großteil des Textes obliegt Tom Hanks, während Helena Zengel ihrer Rolle körperlich Ausdruck verleihen muss. Das hat der Berliner Schülerin jetzt schon mal eine Nominierung als beste Nebendarstellerin bei den renommierten Golden Globes eingebracht. Es gelingt ihr auch ohne große Worte, die Wut und die Verletzlichkeit eines traumatisierten Kindes zu transportieren. „Neues aus der Welt“ ist also mehr emotionales Drama als klassischer Western, wenngleich ihn Paul Greengrass als solchen inszeniert hat. Der Ire wurde mit der „Bourne“-Reihe bekannt und gilt eigentlich eher als Action-Regisseur. Bis auf einige wenige Szenen ist „Neues aus der Welt“ jedoch ein ruhiger, bedächtiger Film, für dessen weite Landschaftsaufnahmen eine Kinoleinwand wohl besser geeignet wäre als ein schnödes TV-Gerät.

„Neues aus der Welt“ zeigt neben dem Schicksal der beiden ungleichen und im Innern doch ähnlich tickenden Weggefährten auf, welche wichtigen Rollen Wissen und Journalismus für eine Gesellschaft spielen. So nutzt ein Landbesitzer das Unwissen seiner Arbeiter aus, druckt sogar seine eigene Zeitung, bis der Captain in die Stadt kommt und mit neuen Informationen einen Umbruch auslöst. Und so wirkt der Film angesichts der erst kurze Zeit zurückliegenden US-Präsidentschaft von Donald Trump und dem dort offen ausgelebten Rassismus zeitgemäßer als von seinen Machern geplant. Schließlich stammt die bislang noch nicht in Deutschland erschienene Romanvorlage von Paulette Jiles bereits aus dem Jahr 2016, dem letzten Jahr vor Trump und „Fake News“.

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