Nick Höppner – Die Balance zwischen Club und dem Rest der Welt

Nick Höppner – Die Balance zwischen Club und dem Rest der Welt

Das Berghain Am Wriezener Bahnhof – gelegen zwischen zahlreichen Ost-Plattenbauten, einem Aldi und der Metro – ist ein durchaus einschüchterndes Architekturmonster mitten in Friedrichshain. Um diesen Club ranken sich so viele Mythen und Gerüchte, wie es Schlaglöcher auf dessen Vorplatz gibt. Und vieles davon ist sogar wahr. Wer das Berghain nicht nur als Tourist oder Zaungast ohne Einlassgenehmigung kennt, dem ist vermutlich auch der Name Nick Höppner ein Begriff. Langjähriger Resident und A&R beim Berghain-Label Ostgut Ton – der Exil-Hamburger hat diesen Club geprägt, einen Club, der weder Werbung noch soziale Medien benötigte, um zu internationalem Ruhm zu gelangen.

Der Mann, der jetzt vor mir sitzt, ist ein 43-jähriger glücklicher Ehemann und Vater zweier Kinder, der gerade mit dem Rauchen und dem Trinken aufgehört hat. Doch hatte auch er seine Exzesse, wie er im Laufe des folgenden Interviews gesteht. Er machte die Nächte durch und fühlte im Berghain das, was wohl jeder der Gäste dort schon fühlte: Die Freiheit und Unbekümmertheit eines ausgelassenen Partydaseins. Gelebter Hedonismus im 21. Jahrhundert. 2012 dann die Entscheidung, dem Ganzen – zumindest als Verantwortlicher – den Rücken zu kehren, um sich fortan der eigenen DJ-Karriere zu widmen und das Produzieren weiter voranzutreiben. Das Ergebnis sind nicht nur Wochenend-Gigs in anderen Ländern und natürlich auch nach wie vor dem Berghain und der Panorama Bar, sondern vor allem ein Debütalbum. Das erscheint jetzt unter dem Titel »Folk« und macht klar, dass Techno für Höppner nicht nur Leidenschaft, sondern Berufung ist. Mit den neun Tracks auf »Folk« gelingt dem Wahlberliner der Spagat zwischen Tag und Nacht, Club und Alltag. Ein zeitloses Werk, das zwischen angenehmer Zurückhaltung und eindringlicher Eleganz pendelt.

Thump: Du bist bereits seit vielen Jahren im Geschäft. Warum glaubst oder fühlst du, dass genau jetzt die richtige Zeit für dein erstes Soloalbum ist?
Nick Höppner: Da kommen mehrere Faktoren zusammen. Ich mache ja schon länger Musik, mein erster Track kam 2004 auf LiebeDetail, und ein Jahr später kam die erste 12″ von MyMy auf Playhouse auf den Markt. Auf dieses Projekt habe ich dann damals meinen Fokus gerichtet. 2006 haben wir dann ja auch ein Album gemacht, sowie im Anschluss noch diverse 12″es und Remixes. 2010 ging das dann zu Ende. Seit 2005 war ich dann A&R bei Ostgut Ton, das wurde ab 2008 super zeitintensiv. Am Wochenende habe ich damals mit MyMy live performt. Also war das schon auch eine Zeitfrage. Als das mit MyMy vorbei war, war klar, dass ich jetzt nur noch ich bin und versuchen will, auf eigenen Beinen zu stehen. Ein paar Soloveröffentlichungen hatte ich ja schon. Die Idee eines Albums gab es schon früher, aber auch da fehlte wieder die Zeit. Und ich habe meinen Fähigkeiten noch nicht so über den Weg getraut. Meine Standards waren höher als das, was ich konnte. Ich hatte das Gefühl, nur etwas Halbgares abliefern zu können. Das war jetzt anders. Jeder Tag im Studio ist ein Lernprozess. Immer dann, wenn ich mal kontinuierlich ins Studio gehen konnte, hat das meiner Musik besonders gut getan. Also habe ich mir auch für die Albumproduktion Anfang letzen Jahres drei Monate geblockt. Das ging auch sechs Wochen gut, dann ist mein Vater krank geworden und schließlich verstorben. Das hat sich zwei Monate ziemlich ungut hingezogen. Das ist in Hamburg passiert, und ich bin dann wöchentlich gependelt. Da war ich raus aus dem Albumprozess und musste mich erst mal um seine Belange kümmern. Damit war ich erst im Frühsommer fertig, auch kopfmäßig war ich erst dann wieder bereit, an Studioarbeit zu denken.

Siehst du als jemand mit deiner Erfahrung im Labelgeschäft das Albumformat nach wie vor als unabdingbar oder eher als eine antiquierte Liebhaberei?
Wenn man nur auf die Fakten guckt, ist das Album durch die Art und Weise, wie Musik heute vertrieben und konsumiert wird, entwertet worden. Es hat für den Konsumenten nicht mehr so den Stellenwert, er pickt sich nur noch das raus, was ihn wirklich interessiert. Doch potenziell gibt es immer noch Musikinteressierte, die das durchaus als Einheit sehen, so ein Album. An die denke ich natürlich. Als ich aber angefangen habe, das Album zu produzieren, habe ich mir gar nicht so viele Ziele gesetzt. Weder musste ich unbedingt einen Vocaltrack drauf haben, noch mich von einer besonders vielfältigen Seite zeigen. Ich wollte einfach bei meinen Leisten bleiben. Ich habe aber schon darauf hingearbeitet, dass es für meine Begriffe auch ein Albumerlebnis wird. Es sollte nicht zu lang werden, die Stücke selbst sollten auch nicht zu lang sein – also habe ich nur teilweise DJ-freundlich gearbeitet. Ich wollte ein Gefühl von Redundanz vermeiden, was sich bei so repetitiver Musik schnell einstellen kann. Ich wollte, dass es einen schönen Fluss hat und unter einer Stunde bleibt.

Es fällt auf, dass Folk auch auf anderen Ebenen und bei vielen Gelegenheiten gut funktioniert – nicht nur im Clubkontext. War das so geplant oder hat sich das eher so ergeben?
Es freut mich sehr, dass du das sagst, weil das eins meiner großen Ziele bzw. Hoffnungen war. Das ist etwas, das mich generell am Musikmachen interessiert: Die Balance zwischen Club und Situationen außerhalb dieser Welt.

Welche Bedeutung steckt für dich hinter dem Titel »Folk«?
Den Titel muss man unbedingt unabhängig vom eigentlichen Folk-Genre betrachten. Mir ging es dabei um die Verbundenheit, die ich mit der Musik spüre und die in Berlin aber auch an anderen Orten spürbar ist. Das hat jetzt eine 25-jährige Tradition. Es ist nie eine elitäre Musik gewesen. Gerade in den 90ern war das super breit, es gab kein Entrinnen. Techno war für alle ein Thema. Viele Leute verbinden damit ganz essentielle Erfahrungen. Es gibt Mythen und ganz viele Leute leben das auch immer noch. Mittlerweile überbrückt es zwei, drei Generationen. Das ist es, was ich damit ausdrücken wollte. Es ist leicht zugänglich, eine Musik mit niedriger Hemmschwelle und es geht nicht um den Ausschluss, sondern das Gemeinsame, das Überbrücken von Unterschieden …

2012 bist du aus dem operativen Club- und Labelbusiness ausgestiegen, um dich fortan deiner DJ- und Produzentenkarriere zu widmen. Hat dieser Schritt die erhofften Veränderungen – zum Beispiel im Bereich des Auflegens – gebracht?
Im Moment entwickelt sich das ziemlich genau so, wie ich mir das gewünscht habe. Ich habe mich auch vorher schon ein bisschen zurückgenommen. Mein Labeljob ging lange vor. Als viele meiner DJ-Kollegen richtig durchgestartet sind, habe ich noch weiter im Hintergrund gearbeitet. Gestört hat mich das allerdings nie. Das ist alles genau so gelaufen, wie ich das wollte. Mit der Zeit haben sich die Prioritäten aber doch verschoben. Ich habe mir während meiner Labelzeit häufiger die Frage gestellt, ob das Auflegen überhaupt was für mich ist. Ich hätte mir auch vorstellen können, beim Label noch mehr einzusteigen und das Auflegen ganz an den Nagel zu hängen. Meine Interessensschwerpunkte sind immer sehr kurzlebig. Aber auch die Arbeit im Studio wurde für mich immer wichtiger, und hier sind noch so viele Erfahrungen zu machen, weil ich da noch relativ unbefleckt bin. Ich habe das Gefühl, dass da noch viel in mir ist. Und so ist es beim Auflegen auch. Ich habe ja nie auf dem Level gespielt, dass ich drei oder vier Mal an einem Wochenende unterwegs bin und 120 oder 150 Gigs im Jahr habe. Das war bei mir immer sehr moderat. Klar ist es auch anstrengend, aber in diesem Bereich habe ich jetzt einfach ein paar Anpassungen vorgenommen, was meinen Lebensstil angeht. Ich habe aufgehört zu rauchen, und damit das leichter fällt, trinke ich auch gerade nichts. Das macht so ein Wochenende wesentlich erträglicher, und es macht mich zu einem besseren DJ.

Das ist bei vielen Kollegen – zumindest sagen die das – anders.
Da nehme ich mich auch nicht aus. Ich habe auf jeden Fall meine Drogenerfahrungen gemacht und geglaubt, es sei quasi Voraussetzung, auf demselben Level zu sein wie die Leute, für die man spielt. Aber das ist ein Trugschluss. Die DJs, die sehr viel unterwegs sind, sind die totalen Gesundheitsfreaks geworden. Die machen Sport, trinken kaum und nehmen keine Drogen. Die meisten leisten sich sogar einen Personal Trainer …

Rückblickend kann man sagen, dass du in deinem Leben schon so einiges an Jobs gemacht hast. Du warst Musikredakteur, hast als A&R gearbeitet und bist nun vor allem DJ und Produzent. Wie lange dauert es, bis dich etwas langweilt und du dir eine neue Herausforderung suchst?
Bevor ich in dieses Unternehmen hier hineingewachsen bin, waren die Abstände kürzer, in denen sich die Dinge ziemlich stark veränderten. Da bin ich durch ziemlich viele Stationen so durchgerutscht: Studium, Journalismus, Labelarbeit … Für mich ging es aber auch hier durch so viele Phasen, dass es immer irgendwie neu war. Es gab so viele Erfahrungen zu machen und zu lernen, dass es bis heute nicht langweilig geworden ist. Ich bin beim Label dann aber zu einem Zeitpunkt ausgestiegen, an dem ich schon viel ausgeschöpft hatte. Es fing an, sehr routiniert zu werden. Von daher war es ein Wechsel, den ich gebraucht habe, um interessiert zu bleiben und mich selbst zu fordern. Dass ich jetzt die professionelle Auseinandersetzung nur noch als DJ und Produzent habe, war sehr befreiend. Ich habe Musik wieder ganz anders gehört und musste nur noch mich selbst repräsentieren, meinen Geschmack und meine Sicht der Dinge. Seitdem gehe ich auch wieder viel häufiger Platten kaufen.

Du bist vor 15 Jahren von Hamburg nach Berlin gezogen. Wie hast du die Entwicklung der Stadt als Technohochburg in diesem Zeitraum erlebt?
Wenn ich ganz ehrlich bin, kann ich das nur aus der Perspektive des Berghain betrachten. Für ganz allgemeine Aussagen über Berlin bin ich bestimmt die falsche Person. Wenn ich am Wochenende nicht hier bin, gehe ich ja nicht woanders hin. Ich kenne die Hälfte der Clubs in Berlin gar nicht. Aber Berlin ist auf jeden Fall die Hauptstadt des Clubbings. Es gibt zwar auch viele gute Labels und Produzenten hier, doch was die reine Musik angeht, werden hier gar nicht mehr so die wahnsinnigen Impulse gesetzt wie noch in den 90er-Jahren. Was den guten Ruf Berlins angeht, hat es eben doch eher mit der Clubkultur zu tun und damit, wie die Musik hier gefeiert wird. Aber Musik wird ja überall gemacht, da kommt aus einer Stadt wie Amsterdam gerade vielleicht mehr.

Dann beschreibe doch anhand des Berghains, welche Veränderungen du im Laufe der letzten Jahre feststellen konntest – auch an dir selbst?
Hier im Laden hat sich für mich selbst total viel verändert. Während der Anfangszeit habe ich noch mitgefeiert, Remmidemmi gemacht und das selbst alles gar nicht so reflektiert gesehen. 2008 war dann ein Schlüsseljahr, in dem das Berghain schon weltweit seinen Ruf hatte, aber trotzdem noch was für die Kenner war. Da stand es noch nicht in jedem Feuilleton und Reiseführer. Es war kein Insidertipp, aber man musste sich schon für die Musik und die Sache an sich interessieren. Danach war es etwas, um das niemand mehr herumkam, der eine Zeitung las. Mein Gefühl hier drin und wie ich mich hier bewege, haben sich total verändert. Ich bin mit dem Laden bekannter geworden. Da überlegt man sich schon, wie man sich verhält, und es wird schwieriger, sich auch mal gehen zu lassen. Man fühlt sich dann als Repräsentant dieses Ladens.

Wie wirst du das Album nun promoten? Gibt es dafür spezielle Pläne, oder machst du einfach weiter wie gehabt, nur eben mit neun neuen Songs im Repertoire?
Live spielen habe ich zum Beispiel überhaupt nicht im Sinn. Ich werde definitiv auflegen. Es gibt im Frühjahr eine dicke Albumtour. So viel habe ich noch nie gespielt. Hauptsächlich bin ich in Europa unterwegs, ein Wochenende dann sogar in Japan. Und dann schauen wir mal, wie es weiter geht, aber es ist jetzt schon der Wahnsinn, wie gut es läuft. Dieses Jahr würde ich gerne im Fahrwasser des Releases die Chance nutzen, auf mich aufmerksam zu machen.

Wie nimmt diene Familie diese Ambitionen auf? Du bist ja zukünftig weit weniger zuhause als früher.
Ich bin ja schon immer DJ, das kennen die Kinder also. Ich war auch vorher schon oft weg. Dass das jetzt mal phasenweise sehr häufig so sein wird, ist das erste Mal. Aber dafür war ich zuletzt auch sehr viel zu Hause. Ich will jetzt zwar Gas geben, aber auch darauf achten, dass sich das immer wieder entzerrt.

Das Interview plus Musik gibt es auf Thump.

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