Oliver Masucci ist der neue Hannibal Lecter

Oliver Masucci ist der neue Hannibal Lecter

Oliver Masucci ist derzeit einer der meistgebuchten Schauspieler Deutschlands. Jetzt hat er in dem Fitzek-Hörspiel „Auris“ auch noch die Rolle der zwielichtigen Titelgestalt übernommen. Mit n-tv.de spricht er über asoziale Engagements und schnarchende Theater-Gäste.

Mit seiner Rolle als Adolf Hitler in „Er ist wieder da“ gelingt Oliver Masucci im Alter von 47 Jahren der Durchbruch. Zumindest beim Film, denn als Theaterschauspieler hat er zu diesem Zeitpunkt schon eine beachtliche Karriere vorzuweisen. Seinem festen Engagement am Wiener Burgtheater machen dann aber die vielen Drehangebote den Garaus, sodass der gebürtige Stuttgarter inzwischen regelmäßig in diversen TV- und Kinoproduktionen zu sehen ist, darunter in der gefeierten TNT-Serie „4 Blocks“ und im Oscar-nominierten Florian-Henckel-von-Donnersmarck-Film „Werk ohne Autor“. Und natürlich in der Netflix-Serie „Dark“, die am 21. Juni in die zweite Runde geht. Weitere Fortsetzungen nicht ausgeschlossen.

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Trotz des straffen Zeitplans hat Masucci dennoch die Zeit gefunden, die Titelfigur des von Erfolgsautor Sebastian Fitzek entwickelten Hörspiel-Thrillers „Auris“ zu übernehmen. Darin leiht er dem forensischen Phonetiker Matthias Hegel seine Stimme. Der ist der beste Audio-Profiler des Landes. Nur anhand von Tönen, Geräuschen, Dialekten und Stimmfarben erstellt er ein psychologisches und optisches Profil von Straftätern und bringt sie so ins Gefängnis. Er selbst ist allerdings extrem schwer durchschaubar und sitzt inzwischen selbst hinter Gittern, weil er eine Obdachlose bestialisch ermordet haben soll. Die Beweislast ist erdrückend, Hegel selbst schweigt, doch die True-Crime-Bloggerin Julia Ansorge stößt auf Unregelmäßigkeiten, die seine Unschuld beweisen könnten. Allerdings gerät sie aufgrund ihrer Nachforschungen bald selbst ins Kreuzfeuer.

Für die Rolle des „Auris“ genannten Hegel konnte sich der dreifache Vater Masucci nicht auf sein markantes Äußeres verlassen. Wie gut also, dass er über eine ebenso markante Stimme verfügt, und mit der hat er mit n-tv.de unter anderem über die Vorteile des Hörens und das Lustprinzip gesprochen.

Herr Masucci, war Ihnen der Job des forensischen Phonetikers schon vor „Auris“ ein Begriff?

Oliver Masucci: Ja, der war mir vorher mal zu Ohren bekommen, allerdings habe ich mich nie näher damit beschäftigt. Als das Angebot zu „Auris“ kam, fand ich die Idee aber interessant. Ein Typ, der quasi alles hört – wie Blinde, die eine unglaubliche Sensibilität über das Gehör entwickeln. Der Beruf des forensischen Phonetikers ist extrem spannend.

War das Ihr Antrieb, die Rolle des Matthias Hegel zu übernehmen ?

Ich habe in das Buch zum Hörspiel reingelesen und die Rolle war recht schnell klar. Es ist eine schöne, geheimnisvolle, spannende Hannibal-Lecter-Figur. Einer, der sich nicht in die Karten schauen lässt. Man weiß nie, wo er steht. Ist er gut, ist er böse? Was für ein doppeltes Spiel treibt er? Und er weiß halt wahnsinnig viel, er ist den anderen immer voraus, ist ihnen überlegen.

Ist es für einen Schauspieler schwieriger, eine Figur für ein Hörspiel als für einen Film zu entwickeln, weil Mimik und Gestik nicht sichtbar sind und der Charakter allein über die Stimme transportiert werden muss?

Erstmal ist es einfacher, weil du den Text nicht wirklich auswendig lernen musst. Du kannst ihn ablesen, musst aber schon wissen, was da steht. Die Schwierigkeit dabei ist, dass es nicht aufgesagt oder abgelesen klingen darf. Wenn ich andere Hörspiele höre, kann ich bei manchen das Buch vor der Nase des Sprechers praktisch sehen. Ich hoffe, dass ich es gut gelöst habe und die Figur recht direkt rüberkommt. Und natürlich setzt du auch im Studio deinen Körper beim Spielen ein …

… was der Rezipient aber nicht sieht.

Das ist beim Synchronsprechen ja ganz ähnlich. Ich selbst habe das nie gemacht, außer mal mich selbst zu synchronisieren. Aber wenn du da mal eine Kamera ins Studio hältst, was die dort veranstalten in Sachen Gestik und Mimik, ist schon enorm.

Nun wird „Auris“ als Start einer neuen Reihe angepriesen, die sich um Hegel und Ansorge dreht. Demnach steht Ihnen hier ein regelmäßiger Job ins Haus?

Das Thema und der Fall sind spannend und komplex, was natürlich nach einer Fortsetzung schreit. Hegel und Ansorge sind schöne Figuren, die man weiterführen kann. „Auris“ ist eine Geschichte, die man eigens für Audible entwickelt hat. Sebastian Fitzek hat damit – gemeinsam mit Vincent Kliesch – eine Geschichte geschrieben, die erst als Hörspiel herauskommt und dann in etwas abgewandelter Form auch als Buch erscheint. Gut vorstellbar, dass daraus am Ende auch noch ein Film wird.

Dass Ihnen dann die Hauptrolle zufällt, ist klar. Wonach aber wählen Sie sonst die Angebote aus, die Sie annehmen? Welche Kriterien muss eine Rolle beziehungsweise ein Drehbuch erfüllen, um für Sie interessant zu sein?

Es muss in erster Linie spannend sein. Aber natürlich kommen beim Film mehrere Komponenten zusammen: Das Buch, der Regisseur, der übrige Cast. Wer produziert das Ganze, wie viel Geld steht zur Verfügung, wofür wird es produziert, für welches Medium? Und generell müssen meine Rollen sehr unterschiedlich sein. Es muss mich etwas an der Figur interessieren. Ich agiere da nach dem Lustprinzip. Wenn mich was anfixt und ich sofort zu der Figur ein Bild habe, ist es gut. Manchmal hat man aber auch vorher eine Figur im Kopf und findet in einer Geschichte die passende Matrize dazu, fügt die Dinge zusammen – wie es John Cage in der Musik macht. Die Dinge passieren dann durch Zufall.

Sind Sie selbst eigentlich ein Konsument von Hörbüchern und Hörspielen?

Ich muss berufsbedingt ja schon sehr viel lesen und werde beispielsweise im Flugzeug schon nach wenigen Seiten so müde, dass ich einschlafe. Das finde ich an Hörbüchern gut, dann schlafe ich zwar auch, aber mein Unterbewusstsein bekommt trotzdem noch etwas mit. Ich fand es auch immer gut, wenn die Leute im Theater eingeschlafen sind. (lacht)

Solange sie nicht schnarchen …

Das kam auch schon vor. Wir haben mal die Vorstellung unterbrochen, weil ein Gast den Kopf nach hinten abgeknickt hatte und so laut schnarchte, dass wir ihn aufwecken mussten. (lacht) Ich glaube, manche Leute kommen nur ins Theater oder ins Konzert, um dort zu schlafen. Das fand ich immer sehr unterhaltsam.

Eine Komponente, die beim Hörspiel oder Film nun natürlich für Sie wegfällt. Fehlt Ihnen das Theater manchmal? Also nicht nur wegen der schlafenden Gäste. Eher wegen des Spielens an sich.

Ich habe 30 Jahre Theater gespielt und das wirklich durchdrungen. Vergleichbar mit Joseph Beuys, wenn er sagt, er habe Fett und Filz durchdrungen. Ich habe dort viel geübt und unglaublich viel an Praxis gewonnen, was mir jetzt zugute kommt. Aufgrund der Filmrollen hatte ich aber schlicht keine Zeit mehr zum Theaterspielen. Und diese Pause war schön, aber ich fange jetzt wieder an, wenn auch nicht mit einem festen Engagement. Das mache ich nicht mehr, da ist mir die Abhängigkeit zu groß. Ich möchte der Herr über meinen Terminkalender sein.

Hat Sie der Wechsel zum Film zu einem anderen Menschen gemacht?

Na ja, als Theaterschauspieler musste ich am Wochenende, den Feiertagen, den Ferien ran. Du wirst total asozial und lebst nur noch unter dieser Kunstglocke. Seitdem ich drehe, habe ich wieder Freunde. Da kann ich am Abend, wenn die Klappe geschlagen ist, auch mal ins Restaurant gehen und habe am Wochenende frei.

Und trotzdem geht es nun mal wieder zurück auf die Bühne?

Genau, ich werde gemeinsam mit Catrin Striebeck bei dem Hamburger Theaterfestival zum ersten Mal wieder spielen. Wir führen MacBeth als Zwei-Personen-Stück auf. Darauf freue ich mich, bin aber auch aufgeregt und muss sehr viel Text lernen.

Was ja das ist, was den Laien am meisten beeindruckt: Die Menge an Text, die sich ein Theaterschauspieler drauf schaffen muss.

Früher habe ich gar keinen Text gelernt, sondern das mit den Souffleusen auf der Bühne gemacht. Wenn du das jeden Tag probst, ist es irgendwann drin. Kann man den Text schon zu Beginn der Proben, langweilt man sich währenddessen zu Tode. Aber die Festplatte ist größer, als man denkt. Wenn du nach zwei Jahren ein Stück wieder aufnimmst, dann fährt langsam die Datei hinten im Kopf wieder hoch. Mir hat ein Kollege mal gesagt, dass du dich nur an den ersten Satz erinnern musst. Und das stimmt. Wie du beim Computer eben wissen musst, wo du die Datei abgelegt hast.

Im Juni startet bei Netflix die zweite Staffel „Dark“, bei der Sie als Ulrich Nielsen wieder eine der tragenden Rollen spielen. Haben Sie damals, als die erste Staffel abgedreht war, geahnt, dass das Ganze ein so großer Erfolg werden würde?

Netflix hat immer daran geglaubt. Und natürlich plant man so was nicht, ohne noch etwas in der Hinterhand zu haben und die Story weiterzuentwickeln. Die Geschichte ist so komplex, dass du sie weitererzählen musst. Was für ein Erfolg das war, habe ich so richtig aber erst realisiert, als mich Menschen in anderen Ländern erkannt haben und ein Foto mit mir wollten. Erst dachte ich, die wollen, dass ich ein Foto von ihnen mache, bis ich verstanden habe, dass sie eins von mir wollten. (lacht)

Das ist Ihnen – zumindest im Ausland – nach „Er ist wieder da“ vermutlich nicht so ergangen. In Deutschland war der Film aber auch ein großer Erfolg.

(lacht) Ich habe unendlich viele Selfies mit Leuten gemacht, solange ich als Hitler zu erkennen war. Hatte ich die Maske abgelegt, hat man sich nicht mehr interessiert.

„Auris“ ist aufgenommen, „Dark“ abgedreht, „MacBeth“ wird zwischen dem 31. Mai und dem 2. Juni beim Hamburger Theaterfestival aufgeführt. Was steht sonst noch bei Ihnen an in diesem Jahr?

Ebenfalls bereits abgedreht ist „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“, ein Film, den ich mit Caroline Link gemacht habe (Kinostart voraussichtlich am 26. Dezember – Anm. d. Red.). Mit Moritz Bleibtreu habe ich die letzte Folge von „Schuld“ von Ferdinand von Schirach gedreht. Und ich werde demnächst unter anderem die „Schachnovelle“ fürs Kino machen.

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