„Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“: Mit der Wut und dem Humor einer Mutter

„Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“: Mit der Wut und dem Humor einer Mutter

Anfang der 2000er landet Murat Kurnaz ohne Anklage in Guantánamo. Seine Mutter Rabiye setzt sich für seine Freilassung ein. Ihrem bewundernswerten Kampf widmet sich der neue Film von Andreas Dresen, in dem vor allem Hauptdarstellerin Meltem Kaptan brilliert.

Es war im Jahr 2002, als der in Deutschland geborene und aufgewachsene Murat Kurnaz in Pakistan wegen Terrorverdachts verhaftet und ins US-Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba verbracht wurde. Für seine Familie daheim in Bremen war das ein Schock. Obwohl der deutsche und der US-Geheimdienst von Kurnaz‘ Unschuld überzeugt waren, machte die Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder keine Anstalten, den damals erst 20-Jährigen wieder zurückzuholen. Und so wuchs seine Mutter Rabiye Kurnaz über sich hinaus, um ihrem Sohn zu helfen. Ihrem bewundernswert mutigen, aber auch verzweifelten Kampf widmet sich Regisseur Andreas Dresen in seinem Film „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“.

Rabiye Kurnaz (Meltem Kaptan) ist eine Bremer Hausfrau mit drei Kindern, ihr Mann arbeitet bei Mercedes im Schichtbetrieb. Am 3. Oktober 2001 kommt ihr ältester Sohn Murat plötzlich über Nacht nicht nach Hause. Als Rabiye ihn auf seinem Mobiltelefon erreicht, ist er gerade am Frankfurter Flughafen. Der Kontakt bricht ab, danach herrscht lange Funkstille. Es dauert, bis die Familie erfährt und versteht, dass Murat nicht zurückkehren wird. Er wurde verhaftet und zur US-amerikanischen Militärbasis Guantánamo gebracht, wo er ohne jegliche Anklage schließlich vier Jahre lang festgehalten und gefoltert wird.

Klage gegen Bush

Da Murat Kuranz offiziell türkischer Staatsbürger ist, kümmert sich die Bundesregierung nicht weiter um den Fall. Dem damaligen Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier wird später sogar vorgeworfen, eine mögliche Überstellung Kurnaz‘ nach Deutschland blockiert zu haben. In ihrer Verzweiflung wendet sich Rabiye an den Menschenrechtsanwalt Bernhard Docke (Alexander Scheer). Er ist der Erste, der der Mutter zuhört, und fortan kämpfen die beiden sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten gemeinsam für Gerechtigkeit, bis sie schließlich sogar den amtierenden US-Präsidenten George W. Bush verklagen. Rabiye Kurnaz bekommt zwar Recht, den verlorenen Sohn bringt ihr das allerdings vorerst noch nicht zurück.

Wie so oft gelingt Andreas Dresen – zuvor verantwortlich für Filme wie „Gundermann“ und „Halt auf freier Strecke“ – ein ungewöhnlicher Zugang zur Murats Geschichte, und diese erzählt sich über Rabiye, herausragend dargestellt von Meltem Kaptan. Zur blondierten Dauerwelle gelingt es der eigentlich als Moderatorin und Comedienne bekannten 41-Jährigen, der Figur eine anrührende Mischung aus Humor, Naivität, Herzlichkeit und Kampfgeist mitzugeben. Immer wieder sorgt sie für Lacher. So zum Beispiel, wenn es sie an jenem schicksalhaften Morgen versucht, ihren Sohn Murat zu wecken. „Murat, steh auf oder ich schneid‘ deinen Bart ab“, brüllt sie durch die Tür in sein leeres Zimmer. Einem der vielen Reporter vor ihrer Tür ruft sie später zu, er solle doch wenigstens von ihren Stiefmütterchen heruntergehen.

Die Essenz der Rabiye Kurnaz

Meltem Kaptan ist es wichtig zu betonen, dass all das den Geist Rabiyes tatsächlich trifft und ihr der Humor nicht etwa angedichtet wurde, um aus der dramatischen Geschichte der Familie Kurnaz eine Komödie zu machen. „Wir wollten sie in ihrer Essenz packen und alles aus ihrer Sichtweise erzählen. Und die Frau hat diesen Humor nun mal. Sie kann einen zum Lachen bringen, aber auch berühren“, so die Meltem Kaptan im Interview mit ntv.de, das Sie morgen in voller Länge lesen können. Kaptan hat im Februar bei der Berlinale für ihre Darstellung den Silbernen Bären erhalten, und das absolut zu Recht. Ebenso wie Laila Stieler für das Drehbuch.

Doch auch Alexander Scheer als Menschenrechtsanwalt Docke samt Bremer Dialekt ist die perfekte Besetzung. Die Ungleichheit der beiden Hauptfiguren erzeugt ein besonderes Spannungsfeld und lässt die Wut hinsichtlich der wahren Ereignisse dank gelegentlicher Pflaster aus zwischenmenschlichen Momenten etwas abklingen. Bis heute wartet Murat Kurnaz, der in diesem Film übrigens kaum zu sehen, sondern lediglich als Triebfeder der Ereignisse fungiert, auf eine Entschuldigung seitens der Bundesregierung.

Warten auf Reue und Entschuldigung

Im Jahr 2016 noch ließ Murat Kurnaz über seinen Anwalt mitteilten, Steinmeier sei als Kanzleramtschef „der Hauptverantwortliche“ gewesen. „Bis heute ist er nicht auf mich zugekommen, bis heute hat er sich nicht entschuldigt.“ Mit Blick auf seine damals bevorstehende Wahl Steinmeiers ins Schloss Bellevue sagte er: „Herr Steinmeier mag ein guter und bedächtiger Außenminister sein und sich diverse Verdienste erworben haben. Doch es gibt einen dunklen Fleck in seiner politischen Biografie, und diesen Makel sollte er bereinigen, bevor er das höchste Staatsamt übernimmt.“ Passiert ist das allerdings nicht.

Es wäre interessant zu wissen, ob sich Frank-Walter Steinmeier „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ anschauen wird. Denn wenn er es tut, kommt er eigentlich nicht umhin, sich nicht nur bei Murat Kurnaz zu entschuldigen, sondern auch dessen Mutter Rabiye Kurnaz für ihren Einsatz Respekt zu zollen und seine Rolle in diesem Fall doch noch mal ernsthaft zu reflektieren.

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