Sozialautismus 2.0

Sozialautismus 2.0

Ich mutiere zur Sozialautistin. Früher war ich wahnsinnig viel unterwegs, habe wahnsinnig viel telefoniert und wahnsinnig viel geredet, mit allem und jedem. Worüber? Das weiß ich nicht mehr. Vieles davon hätte vermutlich nie gesagt werden müssen. Wirklich Wichtiges ist dafür auf der Strecke geblieben. Reden um zu Reden eben. Heute ist mir all das viel zu viel Aktion. Nach der Arbeit bin ich froh, nicht mehr reden, nicht mehr telefonieren zu müssen, so dass sich zwangsläufig viele meiner alten Freunde bald nicht einmal mehr an meinen Namen erinnern werden. Wer sich nicht meldet, ist raus und auch noch selbst schuld. Noch schlimmer aber ist, dass es so schier unmöglich scheint, in einer neuen Stadt überhaupt erst soziale Kontakte aufzubauen, ganz zu schweigen davon, diese dann anschließend auch noch so zu pflegen, dass sie länger als eine durchzechte Nacht halten. Bei Facebook adden und regelmäßig irgendeine Grütze posten, reicht am Ende eben nicht.

Stellt sich die Frage: Was tun? Wie wendet man das so unausweichliche Eremitendasein ab, besiegt seinen inneren, manchmal fast kontaktscheuen Schweinehund und verschenkt vor allem nicht Monat für Monat unfassbar viel Kohle für die lediglich für den obligatorischen 10-Minuten-Anruf bei Vater und Mutter genutzte Handyflatrate an seinen Mobilfunkanbieter, der sich darüber vermutlich längst ins goldklunkerbestückte Fäustchen lacht? Liegt es am Alter und ich werde langsam wunderlich? Oder liegt es schlicht an der fiesen Jahreszeit, dass ich den Hintern am Abend nicht mehr so recht hochbekomme? Wird all das im Sommer besser, wenn die Tage erst mal wieder länger werden?

Bis dahin aber sind vermutlich sämtliche Bekannten und Freunde abtrünnig und ich fange bei Null an. Der nächste Winter ist dann auch schon wieder nicht mehr fern, und das Spiel beginnt von vorn. Was ich eigentlich sagen will: Nur, weil ich manchmal einfach zu müde/faul/beschäftigt bin, um mich bei gewissen Leuten zu melden, heißt das nicht, dass sie mir nicht wichtig sind. Ich hoffe, dass echte Freundschaft auch eine längere Phase des Nichtkontakts überlebt und wir spätestens im Sommer wieder fröhlich und gut gelaunt zusammenfinden. Ja, das ist als eine Entschuldigung zu verstehen – und als ein Appell an mich und all die anderen faulen Schweine, die sich bei Dunkelheit und Kälte gern in ihr wärmendes Kämmerchen verziehen.

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