Toby Gad: „Das Musikbusiness ist wie der Wilde Westen“

Toby Gad: „Das Musikbusiness ist wie der Wilde Westen“

Derzeit läuft die 19. Staffel von DSDS, und vieles ist dieses Mal anders. So besteht die Jury nur noch aus drei Mitgliedern, und mit Toby Gad ist ein bei uns völlig neues Gesicht dabei. Wer ist der Mann, der mit Beyoncé und Madonna per Du ist? ntv.de hat bei dem Wahl-Amerikaner in Los Angeles nachgefragt.

Die ersten vier Folgen der aktuellen Staffel von „Deutschland sucht den Superstar“ (DSDS) sind bereits gelaufen, und so konnten sich die Zuschauer schon einen ersten Eindruck von der neuen Jury verschaffen. Während Florian Silbereisen und Ilse DeLange hierzulande keine Unbekannten sind, dürfte das Gesicht von Toby Gad den meisten vollkommen neu gewesen sein.

Dafür ist der in München geborene und in Los Angeles lebende Musikproduzent bei Stars wie Beyoncé, John Legend und Madonna sehr wohlbekannt. Zahlreiche internationale Hits gehen bereits auf sein Konto, darunter „If I Were A Boy“ von Beyoncé und John Legends „All Of Me“. So lautet nun auch der Titel von Toby Gads eben erschienener Autobiografie, in der er von seinem erfolgreichen Leben als musikalischer Auswanderer erzählt.

Die jahrelange Erfahrung im Musikbusiness qualifiziert den 53-Jährigen wie kaum einen anderen für den Job als DSDS-Juror. Mit ntv.de hat er darüber gesprochen, wie es war, nach so vielen Jahren in die Heimat zurückzukehren, was er hier vermisst hat und wie er mit dem ihm eher unbekannten Phänomen Schlager bei DSDS umgeht.

ntv.de: Hallo Toby, wie ist das Leben in Los Angeles im dritten Jahr der Pandemie?

Toby Gad: Ganz okay, denn wir sitzen hier nicht so dicht aufeinander. Ich bin aber sowieso meist im Studio in meinem Haus, treffe hier Musiker und andere Produzenten. Wir haben die Möglichkeit, selbst PCR-Tests durchzuführen. Außerdem sind alle in meinem Umfeld geboostert. Das ist alles schon sehr sicher. Gestern zum Beispiel war James Arthur mal wieder bei mir. Wir machen dann kurz einen Test, nach 20 Minuten liegt das Ergebnis vor, und dann beginnen wir mit der Arbeit.

Habe ich das richtig verstanden? Ihr könnt zu Hause selbst einen PCR-Test durchführen?

Genau. Diese Maschine kostet 1000 Dollar, jeder Test dann noch einmal 50.

Du lebst seit zwei Dekaden in den USA. Warst du zwischendurch öfter hier oder hat dich die Rückkehr in die alte Heimat kalt erwischt?

Es war schon so eine Art Kulturschock, ich war 21 Jahre nicht mehr in Deutschland, höchstens mal für drei oder vier Tage. Ich war zwischendurch nur mal in London und auch in Italien in verschiedenen Städten. Meine Frau und meine Adoptivtochter kommen aus China, deswegen haben wir öfter Reisen in deren Heimat unternommen und diese schon mal mit Abstechern nach Europa verbunden. Aber jetzt länger zurückzukommen, war wirklich eine angenehme Überraschung. Es gibt doch sehr vieles, was ich an Deutschland liebe und auch vermisse.

Was denn zum Beispiel? Das Wetter ist es ja vermutlich nicht.

Nein. (lacht) Los Angeles ist schon meine Wahlheimat, und ich will hier auch alt werden. Aber in Deutschland kann man oft vieles zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichen. In Amerika ist wirklich alles fürs Auto gebaut. Die Menschen in Deutschland gehen bewusster mit der Umwelt um. Auch das Essen ist organischer und seltener gentechnisch behandelt. Es ist günstiger bei euch, sich gesund zu ernähren. Und ich wünschte, wir hätten Züge. Hier streitet man sich seit 20 Jahren um den Bau einer schnellen Verbindung zwischen San Francisco und Los Angeles. Die hätten die Strecke längst fertig haben können. (lacht)

Das sind jetzt viele praktische Gründe …

Nun, ich schätze aber auch die Kultur in Deutschland viel mehr, seit ich in Amerika lebe, wo es ja noch nicht so viel Kultur gibt. Wir haben für DSDS zum Beispiel in Wernigerode und in Burghausen gedreht, und da sind Burgen, die gut 1000 Jahre alt sind. Das finde ich schon toll.

Du magst also eher alte Dinge?ANZEIGE

Schon. (lacht) Viele meiner Instrumente zum Beispiel sind 50 Jahre alt, Gitarren und auch das Klavier. Die Dinge werden besser mit der Zeit und bekommen eine Seele, eine Geschichte. Ich mag neue Sachen tatsächlich nicht so gern wie alte. Selbst Autos kaufen wir meistens gebraucht. Meine Frau ist sehr hinterher wegen der Nachhaltigkeit und achtet auch auf die Vermeidung von Müll. Das ist ja gerade in der Pandemie wieder ein Thema, weil so viel Plastik anfällt. Dabei ist die Umwelt das Wichtigste. Wir müssen uns doch darum kümmern, dass auch zukünftige Generationen noch einen schönen Planeten haben

Wie optimistisch bist du, dass wir das Ruder diesbezüglich noch rumreißen?

Ich glaube schon, dass die Vernunft am Ende siegt, aber ich denke auch, es wird ein harter Kampf. Das mit den fossilen Brennstoffen beispielsweise, das muss so schnell wie möglich beendet werden. Wir selbst fahren schon seit Jahren elektrisch und haben Solar-Panels auf dem Dach. Was man eben selbst so machen kann.

Hat die Pandemie dein Leben in irgendeiner Form beeinflusst? Deine Arbeit, dein Reiseverhalten?

Meinen Arbeitsrhythmus habe ich kaum verändert. Im ersten Jahr haben wir noch viele Zoom-Sessions abgehalten. Seit wir hier aber testen, geht das alles wieder vor Ort. Sobald sich die Lage entspannt hatte, haben wir wieder Sessions gemacht, für die die Künstler ins Studio gekommen sind. Aber ich habe auf jeden Fall weniger im Flugzeug gesessen als sonst. Eigentlich nur für DSDS.

Du kennst dich auf dem US-Musikmarkt bestens aus. Musstest du für deinen DSDS-Job umdenken? Funktioniert der deutsche Markt anders?

Ein bisschen schon, vor allem in Sachen Stilrichtungen, denn es gibt bei euch den Schlager, deutschen Pop, deutschen Rap. Doch im Prinzip geht es bei Musik immer um Gefühl. Man hört sich etwas an, und entweder man mag es oder man mag es nicht, das entscheidet sich aus dem Bauch heraus. Manchmal ist es besser, wenn ein Kandidat in seiner Muttersprache als auf Englisch singt, weil es authentischer ist und kräftiger rüberkommt. Ich bin auf jeden Fall von dem vielen Talent angenehm überrascht, das sich uns geboten hat.

Den weniger talentierten Kandidaten und Kandidatinnen muss man dann sagen, dass sie das Singen besser lassen sollten. Fällt dir das schwer? Oft zerplatzt da ja ein Traum.

Aber den Leuten mit viel Talent gegenüber wäre es doch unfair, auch denen mit wenig Talent eine Chance zu geben. Am Ende gibt es nun mal nur einen Gewinner. Da muss man schon ehrlich sein.

Kanntest du deine Mit-Juroren vorher? Gerade Schlager und Volksmusik und damit Florian Silbereisen müssten in den USA doch an dir vorbeigegangen sein.

Als die Gespräche mit der UFA liefen, habe ich mich damit beschäftigt, mir Youtube-Videos angesehen und gegoogelt, wer der Schlager-Juror werden könnte. So bin ich auf Flori gestoßen. Da hat ihn die UFA sicher schon längst auf dem Schirm gehabt, aber für mich war er eine neue Entdeckung. Vor allem die Videos, in denen er als Teenager Ziehharmonika gespielt hat, haben mir gut gefallen. Wenn jetzt Kandidaten dabei waren, die Schlager gesungen haben, war Flori übrigens deutlich kritischer als ich.

Du erzählst bei DSDS auch immer mal wieder Anekdoten aus deinem Joballtag. Wie es zum Beispiel im Studio mit Madonna war. Welche deiner Eigenschaften haben dir diesen Erfolg wohl beschert?

Es war ein sehr, sehr langer Weg, den ich auch in meinem Buch beschreibe. Es waren teils harte Zeiten zu Beginn in New York, in denen ich kein Geld verdiente. Am Anfang gab es nur Absagen, das Musikgeschäft ist brutal. Ich würde es echt niemandem empfehlen. Irgendwann klappt mal was, aber im Prinzip geht fast alles schief. Es gibt keine Gesetze oder Regeln. Das Musikbusiness ist wie der Wilde Westen. Man kann nur hoffen, dass man irgendein ein Lied schreibt, das die Fähigkeit hat, viral zu gehen. Bis zur Veröffentlichung von „Big Girls Don’t Cry“ (Fergie) hat es zum Beispiel fünf bis sechs Jahre gedauert.

Also sind vor allem Ausdauer und Optimismus gefragt. Gab es Phasen, in denen du schon fast aufgegeben hattest?

Man bekommt so viele Absagen von wichtigen Menschen, die man alle verkraften und nach denen man weiterkämpfen muss, bis man die eine Person findet, die perfekt für den Song ist. Es gab so viele Zeiten in meinem Leben, in denen ich kein Geld mehr hatte, und irgendwie war da dann doch wieder ein Song, der mich gerettet hat. Und ich mache auch Musik, weil es mir persönlich wahnsinnig viel Spaß macht. Die Session gestern mit James Arthur zum Beispiel. Ich versuche immer, mit Künstlern Lieder aus ihrem Leben zu schreiben. James Arthur hat viel durchgemacht. Das ist für einen Songschreiber eine Goldgrube, weil man so viel Material hat, über das man schreiben kann.

Mehr darüber kann man dann in deinem Buch lesen. Da schöpfst du ja auch aus dem Vollen …

Ich habe mit 17 Jahren begonnen, Tagebuch zu schreiben. Das hat mir sehr geholfen.

Was steht sonst noch für dich an in diesem Jahr?

Ich arbeite seit drei Jahren an einem Film über Birulté Galdikas, eine der bekanntesten Zoologinnen. Sie hat zu Orang-Utans in Borneo geforscht – wie einst Jane Goodall zu Schimpansen. Mit Birulté war ich öfter dort im Lebensraum der Orang-Utans. So etwas ist einfach unvergesslich. Irgendwann habe ich beschlossen, das alles zu dokumentieren. Ich bin mit Schauspielern dorthin geflogen, um die 1970er-Jahre zu inszenieren, in denen Birulté 25 Jahre alt war und für die Forschung in den tropischen Regenwald ging.

Und dieser Film ist nun bald fertig?

Genau. Wegen der Pandemie konnten wir zwar nicht mehr nach Borneo reisen, aber Birulté hat viele Archivaufnahmen ausgegraben, die noch nie veröffentlicht wurden. Der Film kommt langsam zusammen, und das ist ein Non-Profit-Projekt. Das ist alles für Birulté Galdikas Organisation orangutan.org. Mit dem Geld soll Lebensraum für die Orang-Utans zurückgewonnen werden.

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