„Und morgen die ganze Welt“: Über das Recht zum Widerstand

„Und morgen die ganze Welt“: Über das Recht zum Widerstand

„Und morgen die ganze Welt“ läuft zuerst beim Filmfest in Venedig und hat nun sogar die Chance auf einen Oscar. Es ist die authentische Darstellung emotionaler Zerrissenheit junger Menschen mit politischem Bewusstsein.

Autorin, Produzentin und Regisseurin Julia von Heinz war einst Mitglied der Antifa. Das liegt zwar schon 20 Jahre zurück, doch so ganz losgelassen hat sie die Zerrissenheit einer Anfang-20-Jährigen zwischen Gut und Böse, Recht und Unrecht bis heute nicht. Daraus entstanden ist ein brandaktuelles Polit-Drama, das nicht nur im Wettbewerb der 77. Internationalen Filmfestspiele in Venedig lief, bei dem die Hauptdarstellerin Maria Emde als beste Darstellerin ausgezeichnet wurde. Jetzt steht „Und morgen die ganze Welt“ außerdem als deutscher Beitrag auf der Liste für einen Oscar als „Bester nicht-englischsprachiger Film“.

Jura-Studentin Luisa (Mala Emde) stammt aus einem reichen, extrem konservativen Elternhaus. Doch sich auf den Lorbeeren und dem Vermögen ihrer Erzeuger auszuruhen, kommt für die 20-Jährige nicht infrage. Lieber möchte sie etwas verändern in Deutschland, das gerade mal wieder einen Rechtsruck und das Erstarken einer neuen populistischen Partei erlebt. Gemeinsam mit Leuten aus ihrer neuen, linken Studenten-WG positioniert sich Luisa mit verschiedenen Anitfa-Aktionen klar gegen die neue Rechte, Neonazis und „besorgte Bürger“.

Gewalt erzeugt Gegengewalt

Der gutaussehende und charismatische Alfa (Noah Saavedra) und sein Kumpel Lenor (Tonio Schneider) schrecken für die Sache auch nicht vor Gewalt zurück. Vor allem für Alfa ist sie erstmal ein legitimes Mittel, um den Rechten einen einzuschenken. Gewalt erzeugt aber auch Gegengewalt, das weiß Luisa, die vor allem an Alfa Gefallen gefunden hat. Irgendwann muss sie selbst entscheiden, was zu tun ist und welche Konsequenzen auf unterschiedlichsten Ebenen ihr Handeln für sie und ihre Freunde haben wird.

Der Film startet mit Artikel 20 des Grundgesetzes: „Gegen jeden, der es unternimmt, die demokratische, rechtsstaatliche Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand! Wenn andere Abhilfe nicht möglich ist. Also der Staat dagegen nichts mehr unternimmt oder unternehmen kann.“ Doch wie weit darf man dabei gehen? Das ist die Frage, die „Und morgen die ganze Welt“ über 111 Minuten stellt. Ein Titel, der sich übrigens auf die Textzeile des nationalsozialistischen Propagandaliedes „Es zittern die morschen Knochen“ von Hans Baumann bezieht, in dem es „Heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt“ heißt.

Frage ohne Antwort

„Und morgen die ganze Welt“ konfrontiere das Publikum mit Konflikten und Entscheidungsprozessen, denen sich niemand entziehen könne, so die Oscar-Jury zur Nominierung des Films. Die Protagonisten spalten sich in eine gewaltfreie und eine gewaltbereite Gruppe, und so geht es auch darum, Freundschaften zu überdenken, weil sich die zunächst gemeinsamen Ziele immer weiter verschieben. Die für alle geltenden Antagonisten – brüllende und prügelnde Bomberjacken-Neonazis sowie Anzug tragende Politiker-Stereotypen – bleiben dabei blass und ohne Tiefe. Sie erscheinen mehr als feindliche Masse, der sich die Aktivisten entgegenstellen, denn als konkretes Feindbild. Diese Chance wird leider liegengelassen.

Der Film stellt die Frage nach der Rechtfertigung von Gewalt und ihrer grundsätzlichen Notwendigkeit in Zeiten wie diesen, beantwortet sie aber nicht. Wie auch Luisa bleibt der Zuschauer mit seiner Entscheidung allein – wohl weil es nicht immer ein „Richtig“ und ein „Falsch“ gibt. „Und morgen die ganze Welt“ ist ein sehenswerter, weil inhaltlich wie optisch authentischer Film, der das Thema angemessen behandelt und außerdem zum Nachdenken und Diskutieren anregt.

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