Verschwende deine Tugend … nicht

Verschwende deine Tugend … nicht

Ich bin ein echter Glückspilz, denn an mir ist – trotz der Teilnahme zahlreicher Bekannter – der Kelch mit dem Eiswasser vorübergezogen. Das stimmt mich froh. Was mich dagegen gar nicht froh stimmt: Dass eine Sache für einen guten Zweck – und möge sie noch so bescheuert sein – völlig unnötige Diskussionen mit sich bringt. Ja, auch ich neige dazu, Dinge zu beklagen und liege dabei mit meiner Meinung nicht immer im Trend. Doch welche Auswüchse die Kritik an der #ALSIceBucketChallenge angenommen hat, irritiert mich doch sehr.

Da ist von Wasserverschwendung die Rede. Dem gegenübergestellt werden Bilder trauriger Kinder aus Afrika, die unter der dortigen Wassernot leiden. Das ist schlimm, doch offenbar hat hier der eine oder andere verlernt, zu abstrahieren. Nicht nur, dass wir in Mitteleuropa nicht unter Wasserknappheit leiden, auch ist die Menge des Wassers, das sich so ohnehin zu Teilen wieder in den Kreislauf einfügt, überschaubar. Und verschwindend gering im Vergleich zu dem, was der Mensch sonst so täglich ver- und missbraucht, das sind nämlich 140 Liter pro Person und Tag. Jeder ins Klo geworfene Fitzel wird direkt runter gespült, beim Zähneputzen lassen sie das Wasser laufen, es wird mit Vorliebe lange und heiß geduscht oder gar gebadet und der Gin Tonic grundsätzlich mit Eiswürfeln genossen. (Woanders auf der Welt gibt es nicht mal richtige Klos oder Duschen, geschweige denn Gin Tonic – aber das ist ein anderes Thema.) Und wenn sich andere Leute dann Eiswasser über den Kopf kippen, ist die Aufregung plötzlich groß.

Auch die Kritik an der Selbstdarstellung jener, die teilnehmen und womöglich die eigentliche Idee hinter der Aktion vergessen oder gar nicht erst verstanden haben, ist müßig. Wenn auch nur bei einem Bruchteil der Menschen etwas hängenbleibt und diese die Gelegenheit zum Spenden für was auch immer nutzen, sei es drum. Und dagegen sein, um dagegen zu sein und sich damit für verdammt individuell zu halten, ist für mich weit mehr Selbstdarstellerei als jede ausgeführte und veröffentlichte Challenge.

Dann gibt es noch die Verweigerer, die die ALS-Forschung nicht unterstützen möchten, weil dabei an Tieren getestet wird – wie wohl leider noch fast überall in der Medizin. Ich bin ganz sicher gegen Tierversuche – nicht, dass man mich da falsch versteht. Doch würde einer dieser Verweigerer, wäre er dem Tode geweiht oder läge einer seiner liebsten Menschen im Sterben, tatsächlich das einzige rettende Medikament ablehnen, weil es irgendwann mal an Tieren getestet wurde? Ich denke nicht.

Wer sich dann noch darüber beklagt, dass die Leute so zahlreich bei einer Aktion für eine global gesehen nur wenige Menschen betreffende Krankheit mitmachen, wo es doch so viel mehr Not und Elend auf der Welt gibt, hat echt nichts verstanden. Wie viel haben jene Kritiker denn wohl selbst gegen den Krieg in Gaza, die Irak-Krise, den Ukraine-Russland-Konflikt oder die Ebola-Epidemie unternommen? Ich würde mal schätzen: Gar nichts.

Also kriegt doch einfach mal selbst euren Arsch hoch, und sei es mit einer auf den ersten Blick schwachsinnigen Internetaktion, die auf den zweiten Blick aber weit weniger schwachsinnig ist als alles, was sonst so tagtäglich gepostet wird. Denn im Grunde zeigt sie vor allem eins: Dass der Mensch in der Masse auch auf digitalem Wege was bewegen kann, wenn er nur will. Das macht doch wirklich Hoffnung und kann ein Anfang sein.

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