YELLO – »Solang wir noch jung sind …«

YELLO – »Solang wir noch jung sind …«

Auch ohne jemals riesiger Fan gewesen zu sein, ist die Aussicht darauf, zwei musikalisch so einflussreiche Menschen wie die Schweizer Dieter Meier und Boris Blank zu treffen, für einen Musikredakteur (m/w) etwas Besonderes. Wie viele solche Acts gibt es heute schon noch, die die elektronische Musik derart beeinflusst haben? Abgesehen von Kraftwerk wohl nicht mehr viele. Yello eben. Und dass diese jetzt Album Nr. 13 veröffentlichen und sich zudem nach 38 gemeinsamen Jahren zu dem sensationellen Schritt entschlossen haben, die ersten Yello-Konzerte überhaupt auf die Beine zu stellen, sind wohl Gründe genug für ein Interview. Dass man in Sachen Zeit vor Ort und Zeichen im Heft leider stark eingeschränkt ist und auf keinen Fall all die Dinge, die die Herren Meier und Blank aus ihrem bewegten Leben zu berichten hätten, abhandeln kann, macht die Sache nicht gerade einfach. Am Ende verlässt man ein solches Gespräch mit dem Gefühl, nur einen Bruchteil erfasst zu haben.

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Ich treffe an einem Mittwoch Anfang August in der dem bekannten Café Einstein Stammhaus in Berlins Kurfürstenstraße angeschlossenen Bar Lebensstern auf zwei perfekt gekleidete Herren, die offenbar nicht nur musikalisch den meisten etwas voraushaben, sondern auch in Sachen Stilsicherheit. Beiden haftet ein Mix aus Schweizer Charme und Verschrobenheit an, doch das direkt angebotene Du – ich wäre gern beim Sie geblieben, aus Gründen des Respekts ihrem Lebenswerk gegenüber – lässt den Altersunterschied schnell vergessen. Nach kurzem Vorgeplänkel, das zwar nett ist, mich aufgrund der fortschreitenden Zeit aber dann doch etwas nervös macht, kommen wir bald auf das neue Album „Toy“ zu sprechen. Ein Longplayer, der musikalisch schon nach wenigen Takten als typisches Yello-Werk auszumachen ist, mit der 13 aber vielleicht einen besonderen Stellenwert genießt. „Ich bin nicht abergläubisch“, sagt Boris Blank. „Dieter schon. Ich finde, die 13 ist eine ganz wunderbare Zahl. Und Aberglaube hat ja immer mit Glauben zu tun, und ich bin nicht gläubig.“ – „Gläubig bin ich auch nicht. Ich halte es mit einem Satz meines Vaters, der hat immer gesagt: ,Entweder es gibt Gott nicht oder es gibt ihn und er hat seine Nummer extrem nicht im Griff.’ Ich bin aber dennoch ein bisschen abergläubisch. Ich habe so meine Rituale und wenn die nicht so ablaufen, wie ich sie geplant habe, dann habe ich das Gefühl, es könnte etwas passieren. Ein Numerologe bin ich hingegen nicht, die Zahl ist mir also egal.“ Nicht egal ist auch nach 38 Jahren Yello die Aufnahme des Albums in der Welt außerhalb der eigenen, bei den Fans, die auf diesen Moment immerhin sieben Jahre warten mussten. So lange liegt die Veröffentlichung des letzten Yello-Albums „Touch Yello“ bereits zurück. „Es gibt zwei Arten von Vorgehen in der Kunst und der Musik. Das eine ist ein radikal opportunistisches: Man passt sich dem Zuhörer, dem Trend an und hofft, damit Erfolg zu haben. Bei Boris ist das umgekehrt. Das Album heißt ja auch ,Toy’, für ihn ist das Studio ein Sauerstoffzelt, in dem er erst richtig lebt, und das macht er wirklich ohne irgendeine Absicht, irgendjemanden zu begeistern. Das ist die Eroberung seiner selbst, das Ausgraben des Kindes, der Fantasie in sich selbst, die bestimmt die Musik. Wenn das fertig ist, hofft man natürlich, dass es den Leuten gefällt. Jeder Künstler hat eine Freude daran, wenn die Leute die Bilder ansehen, die Texte lesen und die Musik hören. Sogar Franz Kafka, der zwar zu Max Brod gesagt hat, er solle seine Manuskripte vernichten, hat am Ende doch gehofft, dass sein Mentor genau das nicht tut. Jeder Künstler ist auch ein Exhibitionist.“ Dieter Meier sagt auch, Boris Blank gehe täglich ins Studio wie andere Leute ins Büro. Entsprechend groß ist der Output, der sich in der Vergangenheit immer wieder in Projekten abseits von Yello niederschlug. „Wie Dieter schon erwähnt hat, bin ich ein einsamer Mensch, wenn ich arbeite, wie ein Mönch, der in Klausur ganz allein da oben auf dem Berg in Zürich arbeitet. Ich habe unzählige Ordner, derer ich mich bediene, die bestückt sind mit Versatzstücken, Patterns, Klangfarben – irgendwelchen vorbereiteten Sachen. Wie ein Patchwork arbeite ich mit ihnen und kreiere ein Klangbild, das mich selbst überrascht. Es ist wie im Atelier eines Malers, bei dem im Nebenraum sehr viele Bilder stehen, die darauf warten, weiterbearbeitet zu werden. Einige sind weitgehend fertig, andere sind in Versatzstücken so weit, dass man eine Struktur erkennen kann. Dann wird Dieter eingeladen und man schaut, was passt. Es gibt Charakteristiken, die ihm behagen, andere tun das wieder nicht. Und so ist die Auswahl an sich gar nicht so schwierig.“ Trotz der vielen Jahre der Zusammenarbeit verlassen sich Meier und Blank allerdings keinesfalls nur auf Althergebrachtes. Auch bringen andere Projekte – wie bei Dieter Meier das 2014 veröffentlichte Soloalbum „Out Of Chaos“, eine bluesige Hommage an die Nacht und ihre Gestalten – neue Impulse. Und Boris Blank ist im Studio grundsätzlich so modern aufgestellt, wie es eben geht. „Mich inspiriert die neue Technologie in der Musikwelt. Ich höre viel Musik, die meine 19-jährige Tochter mag. Auch wenn ich nichts kopieren könnte, bleibt dennoch immer etwas hängen, das mir gefällt. Die neue Technik bietet eine bequemere Arbeitsweise als früher, als man viel länger gebraucht hat, um etwas herzustellen. Das eigentliche musikalische Gesicht von Yello hat sich in dieser Zeit dennoch nicht verändert, etwas Signifikantes ist geblieben, das die Leute sehr schnell erkennen lässt, dass es sich um Yello handelt.“

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Echte Fans erkennen Yello schon nach den ersten zwei Takten, was aber auch für sie ein Novum darstellt, ist die Live-Umsetzung auf der Bühne. Ende Oktober stehen die ersten Konzerte in der Yello-Geschichte überhaupt an, und zwar an vier aufeinanderfolgenden Tagen im Berliner Kraftwerk. Alle Abende sind natürlich schon lange ausverkauft. Eine echte Sensation, mit der wohl niemand jemals wirklich gerechnet hätte – womöglich nicht mal Meier und Blank selbst. „Wenn wir mit unserer Release-Politik so weitermachen würden wie bisher, wäre Dieter beim nächsten Album schon fast 80. Mit 80 noch auf die Bühne, ich weiß nicht. Es gab die Idee, zu Dieters 90. Geburtstag in Las Vegas aufzutreten, samt Rollator und Rollstuhl. Ich glaube – so traurig es klingt –, die letzte Möglichkeit, so etwas auf die Beine zu stellen, haben wir, so lange wir noch jung sind.“ Das ausgerechnet von Boris Blank zu hören, verwundert, war doch er all die Jahre derjenige, der die große Bühne lieber gemieden hat. „Dieter wollte immer auf die Bühne. Als wir das Album in London vorgespielt haben, fragten ein guter Bekannter von uns und die Plattenfirma, ob wir uns vorstellen könnten, diese Musik mit anderen live zu teilen. Da hat es einen initialen Funken gegeben. Ich habe Dieter dann überrascht und ihm gesagt, ich sei jetzt bereit.“ Dieter selbst bleibt bei aller Euphorie pragmatisch: „Wir sind jetzt am ,point of no return’. Wir hatten schon in der Vergangenheit öfter mal Welttourneen zugesagt und Boris hat doch immer wieder einen Rückzieher gemacht. Die Idee, auf einer Bühne zu stehen, hat ihm aus guten Gründen nicht behagt. Ich selbst habe ich mich daran längst gewöhnt, ich bin mit meiner ,Out Of Chaos’-Band ja zuletzt oft aufgetreten. Ich habe es lieben gelernt, für jemanden zu singen und zu spüren, dass es auch jemand gern hört. Das ist ein wunderbares Gefühl, du bist in direkter Kommunikation mit deinem Publikum. Es ist für Boris als Komponisten, als dem, der die Musiker wie ein Dirigent bestimmt, eine andere Herausforderung. Unsere ersten Ideen, live aufzutreten, waren nicht so opernhaft, wie jetzt dieser Auftritt geplant ist. Boris wäre an seinen Maschinen gestanden, alles wäre vorprogrammiert gewesen und im Grunde bräuchte er ja nur auf einen Knopf zu drücken – wie auch diese berühmten DJs, die quasi nebenan an der Bar ein Bier trinken gehen könnten währenddessen. Die Idee, nicht auf einer Guckkastenbühne aufzutreten, sondern in diesem wunderbaren Kraftwerk, das wir als Ganzes bespielen, auch mit vielen visuellen Ideen, um dort das Gesamtwerk Yello zu zeigen, hat Boris auch inspiriert. Dazu kommt noch, dass Boris eine wunderbare Erfindung gemacht hat, den ,Yellofier’, ein App-Studio für die Hosentasche. Das haben wir bei der ECHO-Verleihung auf der Bühne präsentiert. Da hast du in einer Minute einen Song aus Samples zusammen und kannst dazu singen. Den ,Yellofier’ hat Boris oft vorgeführt, er musste allein auf einer Bühne stehen, den Leuten die App erklären, Musik machen … und so hat er auch diese Angst abgebaut.“ – „Und sogar Gefallen daran gefunden“, ergänzt Boris lächelnd.

Dieser Umschwung ist der beste Beweis dafür, dass sich der Mensch Zeit seines Lebens noch ändern, Dinge neu bewerten und seine eigene Einstellung komplett umkrempeln kann. Zumindest wenn er so gestrickt ist wie Meier und Blank, die im Kopf immer kleine Buben mit einem ganz besonderen Entdeckergeist geblieben sind. So ist es auch nicht verwunderlich, dass sie der heute üblichen Rezeption von Musik per Streaming durchaus offen gegenüberstehen, wie Dieter erklärt: „Als Musiker macht es für uns überhaupt keinen Unterschied, wie unsere Musik gehört wird. Das ist ja nur der Lastwagen, der das, was man produziert hat, ans Ziel fährt. Und dieser Transport hat sich immer geändert: Erst war da nur live, dann erste Schellack-Platten, nach Vinyl kam die CD. Ich habe schon vor zehn Jahren mit Plattenchefs Diskussionen gehabt und gesagt, Streaming sei die absolute Zukunft. Das ist die ,Space Jukebox’, der Zugang zur gesamten Musikbibliothek der Welt. Und wenn es mal so weit ist, dass das Geld gerecht verteilt wird … – das ist ja völlig intransparent im Augenblick und Musikern gegenüber eine Schande. Ich glaube aber, es wird so etwas geben wie ,United Artists’, wo die Spotifys ihr Besteck wieder einpacken können. Wir wissen nicht, wie viel Werbeeinnahmen sie haben, wir kennen das Engagement der Plattenfirmen nicht, die sind ja scheinbar beteiligt. Alle tun so, als wäre es ein schwieriger Abrechnungsmodus, dabei ist es eigentlich ganz einfach. Die haben ihre Einnahmen aus Werbung und aus den Leuten, die monatlich bezahlen, und nachdem sie ihre 20 Prozent abgezogen haben, sollen sie das Geld so verteilen wie früher, als Platten verkauft wurden.“ – „Es ist zur Zeit schwierig für Leute, die im Untergrund Musik machen und ans Tageslicht wollen“, weiß Boris und Dieter fügt an: „Doch das war auch schon zu Zeiten der CD. Es gab ganz wenige, die ein mittelständisches Leben führen konnten, und noch weniger, die wirklich wohlhabend wurden.“ Ähnlich verhält es sich auch auf dem Literaturmarkt. „Da ist es sogar noch viel schlimmer. Ein Erfolgsautor verkauft 35.000 Bücher und bekommt 2,50 EUR, arbeitet aber vier Jahre daran. Rechne dir das mal aus. Kunst war immer ungerecht.“ – „Und es gibt viel, viel mehr Künstler als noch in den 70er- und 80er-Jahren“, schaltet sich auch Boris wieder dazu. „Es gibt Tausende von Neuerscheinungen jeden Tag, jeder hat zu Hause einen Laptop und kann auch Musik machen. Es gibt ein Meer von Musikern. Selbst wenn du Tag und Nacht Zeit hättest für News, Neuerscheinungen, Bücher – ein Leben würde dafür nicht reichen. Du verpasst immer ganz viel.“

Wer sich nicht um Tickets für eines der vier Yello-Konzerte gekümmert hat, verpasst die auf jeden Fall. Yello im Kraftwerk – namentliches Kuriosum an sich und ganz sicher ein Fest für all jene, die schlau und schnell genug waren. Doch träumt man im Hause Yello bereits von weiteren Terminen, womöglich sogar einer Welttournee. Und ansonsten bleiben ja noch all die anderen Dinge, um die sich schon allein ein Dieter Meier kümmern muss, während Boris Blank wieder einsam vor sich hin produzierend in seinem Studio in Zürich sitzt. Da wären eine der größten Rinderfarmen Argentiniens, eine Nussplantage, der eigene Wein, diverse Restaurants u. a. in Buenos Aires und Berlin, die Kunst in unterschiedlichsten Facetten inklusive etwaiger Ausstellungen und – ganz neu – eine eigene Schokoladenfabrik.

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