2006 feiert Chris Kraus mit „Vier Minuten“ einen Arthouse-Erfolg, in dem er die Geschichte der musikalisch hochtalentierten Jenny von Loeben erzählt. Nun kehrt die von Hannah Herzsprung verkörperte Figur zurück und mit ihr die Wut sowie ein altes Trauma, das gerächt werden will.
Gut 17 Jahre liegt es zurück, dass Chris Kraus mit seinem Gefängnisdrama „Vier Minuten“ beim Deutschen Filmpreis eine Goldene Lola gewann. Und auch die herausragende Arbeit von Hauptdarstellerin Hannah Herzsprung, damals 25 Jahre jung, wurde mit einer Nominierung bedacht. Dennoch gingen sowohl sie als auch ihre ebenfalls in der Kategorie „Beste Hauptdarstellerin“ aufgestellte Kollegin Monika Bleibtreu seinerzeit leer aus. Bei der Berlinale fand der Film gleich gar nicht statt und wurde überhaupt erst durch seinen Erfolg in China eine große Sache. Für Herzsprung war „Vier Minuten“ dennoch der finale Durchbruch.
In Kraus‘ Fortsetzung „15 Jahre“ kehrt sie jetzt – mit 42 Jahren – in der Rolle der Jenny von Loeben auf die Leinwand zurück. In „Vier Jahre“ saß die noch unschuldig wegen Mordes im Gefängnis und schützte damit den wahren Täter. Ihn trifft sie nun 15 Jahre später wieder und sinnt auf Rache. Doch von vorn.
Jennys Traumata sitzen tief
Erst als großes Talent gefeiert, dann im Gefängnis fast versauert, ist Jenny von Loeben (Hannah Herzsprung) inzwischen wieder auf freiem Fuß. Sie ist erwachsen geworden, doch die Wut brodelt noch immer in ihr. Ihren Schmerz und ihre Traumata trägt sie permanent mit sich herum. Nicht nur, dass sie sich von ihrem Freund, dem sie einst das Gefängnis ersparte, verraten fühlt. Auch den Verlust ihres gemeinsamen Babys hat sie nie verwunden. Heute lebt Hannah in einer therapeutischen WG, die von der gläubigen Psychologin Frau Markowski (Adele Neuhauser) geleitet wird.
Hannah arbeitet als Reinigungskraft, und dieser Job führt sie eines Tages zurück an ausgerechnet den Ort, an dem alles begann: das Konservatorium. Hier wurde sie einst am Piano unterrichtet und als Wunderkind gefeiert. Mit Harry (Christian Friedel) ist heute einer ihrer früheren Bewunderer als Musiklehrer am Konservatorium tätig, der nicht akzeptieren will, dass Hannah nicht mehr spielt und ihr Talent vergeudet. Und so bringt er sie mit dem syrischen Geflüchteten Omar (Hassan Akkouch) zusammen. Er hat in der Heimat einen Arm verloren, kann das Klavier nicht mehr selbst spielen und singt nur noch dazu. Gemeinsam sollen die zwei bei der vor Zynismus nur so triefenden Castingshow „Unicorn“ für Menschen mit körperlichen und geistigen Einschränkungen auftreten, bei der Popstar Gimmemore (Albrecht Schuch) in der Jury sitzt. Als Jenny erkennt, dass er ihr einstiger Freund ist, für den sie die Strafe damals auf sich nahm, schmiedet sie einen Racheplan.
Wer „Vier Minuten“ nicht gesehen hat, muss das vor dem Kinobesuch nicht zwingend nachholen, auch wenn er es beispielsweise dank Netflix tun kann. Vielmehr hat Chris Kraus mit „15 Jahre“ ein Drama geschaffen, das mit all seinen Wendungen, Verstrickungen und Figurenkonstellationen für sich steht. Jenny ist eine Antiheldin, die mit ihrem Verhalten nicht auf die Sympathien der Zuschauer aus ist. Diese gewinnt sie dagegen immer dann, wenn sie einen Blick in ihre Seele gewährt und sich nach und nach zeigt, wie tief welche Traumata sitzen.
Intensität und Überfrachtung
Hannah Herzsprung gelingt es, all die Emotionen, die in dieser Figur stecken, in jeden ihrer Schritte und jeden ihrer Blicke zu legen – und das nicht nur dann, wenn sie zur Eisenstange greift. Sie spielt die Rolle mit einer Intensität, als hätte sie die vergangenen 17 Jahre nur auf diese Gelegenheit gewartet. Dabei hat sie laut eigener Aussage nie damit gerechnet hat, dass es jemals eine Fortsetzung zu „Vier Minuten“ geben würde.
Hassan Akouch, bekannt aus Serien wie „4 Blocks“ und Filmen wie „Contra“ oder „JGA: Jasmin. Gina. Anna“, funktioniert als Gegenpol zur dauernd mies gelaunten Hannah. Trotz seiner ebenfalls dramatische Vergangenheit als Kriegsflüchtling, in der er neben seinem Arm auch seine große Liebe verlor, steht er dem Leben positiv und hoffnungsvoll gegenüber. Und auch Albrecht Schuch hat man so bislang noch nicht gesehen. Der blondierte Popstar-Klon sieht aus wie eine sehr günstige Kopie von Harry Styles, doch auch er trägt ein tragisches Geheimnis in sich – von dem durch ihn verübten Mord in der Vergangenheit mal ganz abgesehen.
Obwohl die oft besonderen Kameraeinstellungen und die atmosphärischen Bilder von Daniela Knapp in Kombination mit dem emotionalen Soundtrack von Annette Focks und Max Prosa das Potenzial haben, beim Zuschauer die eine oder andere Träne zu provozieren, wird es nie rührselig, aber schon mal melodramatisch. Vorwerfen kann man dem Film noch eine gewisse Überfrachtung an angeblichen Zufällen, die die Story bestimmen und Jenny zur impulsgetriebenen Nemesis werden lassen. Das mag oft überladen und konstruiert wirken, deswegen ist es aber im Ganzen nicht weniger sehenswert.