„791 km“: Ein Sturm, ein Taxi und fünf Schicksale

„791 km“: Ein Sturm, ein Taxi und fünf Schicksale

In Tobi Baumanns „791 km“ müssen fünf Protagonisten notgedrungen mit dem Taxi von München nach Hamburg fahren. Auf wenigen Quadratmetern zusammengepfercht liegen Streit und Menschlichkeit nah beieinander. So ganz zündet die Tragikomödie trotz Starbesetzung aber nicht.

791 Kilometer liegen zwischen München und Hamburg, die man theoretisch per Zug in etwas mehr als sechs Stunden überwinden kann. Anders sieht es aus, wenn der Bahnverkehr mal wieder lahmliegt und die Strecke mit dem Auto bestritten werden muss. Was wie eine Geschichte mitten aus dem Leben von Bahnreisenden zwischen Schneegestöber und GDL-Streik klingt, ist der Stoff, aus dem „Der Wixxer“-Regisseur Tobi Baumann seine Tragikomödie „791 km“ gestrickt hat.

Um seine Protagonisten auf den Weg zu bringen, lässt er die Deutsche Bahn Taxigutscheine an die gestrandeten Fahrgäste verteilen. So weit, so unrealistisch. Dadurch aber treffen zumindest Tiana (Nilam Farooq) und ihr Freund Philipp (Ben Münchnow), Marianne (Iris Berben) und Susi (Lena Urzendowsky) aufeinander, die allesamt unbekannterweise mit dem Taxi von Josef (Joachim Król) auf schnellstem Wege vom Süden in den Norden kommen wollen. Josef ist zwar eigentlich gar nicht im Dienst, lässt sich dann aber doch breitschlagen und ab geht die – leider nicht wirklich wilde – Fahrt. Natürlich geraten die fünf sehr unterschiedlichen Personen, die alle ihr ganz eigenes Päckchen zu tragen haben, immer mal aneinander, raufen sich an anderer Stelle aber auch schnell wieder zusammen und entwickeln schließlich sogar zuvor ungeahnte Gefühle füreinander.

Fünf Menschen, fünf Schicksale

Was schon allein aufgrund der hochkarätigen Besetzung ein unterhaltsamer Roadtrip hätte werden können, krankt an einigen Stellen. Grund dafür sind vor allem die mannigfaltigen Klischees, die Baumann in seinem Drehbuch bedient. Tiana ist eine gestresste Karrieristin, ihr Freund Philipp ein phlegmatischer, aber netter Physiotherapeut. Dass die zwei jemals auf einer Wellenlänge waren, ist kaum vorstellbar. In der ehemaligen Linguistik-Professorin Marianne steckt in Teilen noch ein Öko-Hippie und Susi leidet unter einer geistigen Beeinträchtigung, für die der Zuschauer bald den Grund erfährt, der hier natürlich nicht gespoilert werden soll. Ebenso wenig wie Josefs eigentlicher Beweggrund, sich auf den Weg in die Hansestadt zu machen. Sie alle haben ihre ganz eigene, bisweilen tragische Geschichte zu erzählen. Dennoch gelingt es dem Film nicht, den als Stereotypen gestarteten Figuren die Komplexität zu verleihen, die es braucht, um sich mit ihren Lebensentwürfen, Philosophien und Meinungen ernsthaft auseinandersetzen zu wollen.

Dass die fünf Reisenden schnell über Themen wie Klimawandel und Klimakleber oder Cancel Culture und „Die da oben“ stolpern und sich dabei selten einig sind, versteht sich von selbst, wird aber nur am Rande erwähnt. In die Tiefe geht es zu keiner Zeit, die bröckelnde Harmonie ist meist schnell wieder hergestellt. Dabei würde bei einer derart zusammengewürfelten Zwangsgemeinschaft doch gerade hier das spannende Momentum liegen. Stattdessen kratzt alles sehr an der Oberfläche, wenngleich manch Dialog durchaus gelungen ist und für kurzweilige Unterhaltung und auch einige Lacher sorgt. Jedoch läuft die auf 103 Filmminuten gekürzte Autofahrt derart plump auf ein Happy End zu, dass dem zuliebe alle Kitsch-Register gezogen wurden.

Feel-Good-Movie mit Message

Tobi Baumann stellt die gesellschaftskritischen Aspekte hinter die persönlichen Schicksale seiner Figuren, die sich im Laufe der Zeit immer weiter aufeinander zubewegen und sich so menschlich immer näher kommen. In kalten Zeiten wie diesen natürlich keine falsche Botschaft, doch eben auch nicht gerade subtil dargeboten. Womöglich hätte es der Geschichte besser getan, auf das eine oder andere Thema zu verzichten, anstatt sie damit zu überfrachten, ohne sie auszuspielen. So ist lange unklar, wo die Reise eigentlich hingeht.

Am Ende aber steht fest, dass „791 km“ am ehesten ein Feel-Good-Movie für die (Vor-)Weihnachtszeit ist, der allerdings ein bisschen zu dick aufträgt und statt eines warmen Gefühls ein klebriges hinterlässt. Was der Film die Zuschauer aber auch lehrt: Anderen zuzuhören und ihnen Verständnis entgegenzubringen hilft oft mehr, als sich aneinander abzuarbeiten. Und das ist gerade im Angesicht bevorstehender Weihnachts- und Familienfeiern sicherlich keine falsche Message.

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