Anke Engelke: „Ich bin eine große Freundin des Lernens“

Anke Engelke: „Ich bin eine große Freundin des Lernens“

Die Serie „Deutsches Haus“ behandelt den Frankfurter Auschwitz-Prozess, der viele dazu zwang, ihr Schweigen zu brechen. Unter ihnen Edith Bruhns, gespielt von Anke Engelke. Im Interview erklärt die 57-Jährige, warum Geschichten wie diese wichtig sind, ganz anders als die Meinungen Prominenter.

Die fünfteilige Serie „Deutsches Haus“ behandelt den Frankfurter Auschwitz-Prozess, der einige Menschen dazu zwang, ihr beinahe 20-jähriges Schweigen zu brechen. Unter ihnen auch Edith Bruhns, gespielt von Anke Engelke. Im Interview erklärt die 57-Jährige unter anderem, warum Geschichten wie diese zu erzählen immer wieder wichtig ist, und welche Probleme sie damit hat, wenn zu viel Wert auf die Meinung Prominenter gelegt wird.

ntv.de: Kanntest du das Buch von Annette Hess, bevor man mit dem Projekt an dich herangetreten ist?

Anke Engelke: Nein. Ich wusste, dass es das Buch gibt, weil ich ein bisschen Annette-Hess-Fan bin. Ich denke, man hat sie durch die Serien „Weissensee“ und „Ku’damm“ auf dem Schirm, das haben ja viele gesehen. Aber ich habe das Buch sofort gelesen, nachdem ich mich von dem Schock erholt hatte, dass ich für „Deutsches Haus“ tatsächlich angefragt worden bin.

Hat es dir dabei geholfen, ein Gefühl für die Rolle der Edith Bruhns zu bekommen, oder ist da am Ende doch das Drehbuch entscheidender?

Annette Hess hat mir nicht davon abgeraten, den Roman zu lesen. Sie hat gesagt, Edith sei eine der wenigen Figuren, die im Roman nicht viel anders sind als in der Serie. Aber natürlich kommt die Figur noch mal anders zum Leben, wenn sie in einem Drehbuch mit Regieanweisungen versehen wird. Selbst wenn dort nicht steht, was Edith fühlt, so ist so eine Regieanweisung doch immer eine Hilfestellung. Insofern war das noch mal ein anderer Vorgang, mich mit Edith auseinanderzusetzen.

Was ist es, was dich im Allgemeinen bei deinen – zuletzt vermehrt ernsten – Rollen reizt und was war es im Speziellen bei Edith Bruhns?

Ach, das kann ich in einem Aufwasch beantworten, ich würde das gar nicht reduzieren auf das ernste Fach, es ist eigentlich bei allen Figuren so, dass ich daran interessiert bin, eine Wahrhaftigkeit zu finden, eine Figur zu verstehen, auch wenn Edith zu denen gehört, die ich nicht komplett verstanden habe, bis heute nicht. Genreübergreifend oder vielmehr genreunabhängig interessiert es mich, Figuren zu erkunden und zum Leben zu bringen. Und ob da hinterher gelacht oder es tragisch und dramatisch wird, das spielt für mich in dem Entwicklungsprozess keine Rolle. Ich werde geschminkt und werde angezogen … und selbst wenn dem nicht so ist, wie beim Film „Mutter“ beispielsweise. Da sah ich aus wie ich. Die Regisseurin Carolin Schmitz hat mich auch gar nicht anders haben wollen. Aber auch das war ja trotzdem nicht ich, sondern eine Rolle, nicht meine Gefühle, nicht meine Worte.

Ist es schwieriger, eine Rolle zu spielen, deren Verhalten man so gar nicht nachvollziehen kann – wie eben bei Edith, ohne an der Stelle spoilern zu wollen?

Nee, das ist doch toll. Ich fand es ganz im Gegenteil sehr interessant und geradezu herausfordernd, jemanden zu spielen, den ich in Teilen überhaupt nicht verstehen kann. Man sieht Edith an, dass sie überfordert ist und mit sich ringt. Das musste ich also gar nicht herstellen, das war schon immanent. Das Nicht-Verstehen einer Figur ist übrigens nicht reduziert auf das sogenannte dramatische Spiel. Ich habe auch schon Figuren gespielt, die scheinbar lustig waren oder humoresk, die ich nicht verstanden habe. Ich dachte, die ist mir so fern, so fremd und so schwer nachvollziehbar. Ich kann das nicht verstehen, aber ich möchte es trotzdem spielen, weil sich das ja nicht ausschließt.

Deutsche Filme und deutsche Serien beschäftigen sich gern mit der unrühmlichen Historie unseres Landes. Mal ist es Ost-West, mal – wie eben auch bei „Deutsches Haus“ – die Nazizeit, das Dritte Reich, der Holocaust. Ist das wichtig, damit all das nicht in Vergessenheit gerät, da es ja immer weniger Zeitzeugen gibt?

Absolut. Auch wenn niemand gezwungen wird, etwas zu schauen, ist es aber ganz, ganz wichtig, es zu drehen. Ich glaube, dass es gut ist, diese historischen Themen noch mal aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Ich mag es sehr gerne, dass wir hier mit einer jungen Frau mitgehen, die nichts weiß, obwohl sie davon betroffen ist. Je mehr Geschichten wir erzählen, die in Vergessenheit zu geraten drohen, und je mehr wir uns mit Dingen auseinandersetzen, aus denen wir lernen können, desto besser. Ich bin eine große Freundin des Lernens und des Perspektivwechsels. Ich fange da bei mir an. Bevor ich andere beurteile, gucke ich erst mal, ob ich genau hinschaue und ob ich neutral genug bin. Ob ich mich mit Fakten auseinandergesetzt habe oder nur eine Meinung vertrete. Und ob ich geduldig, empathisch und zugewandt genug bin.

Für wie notwendig hältst du es, als Person des öffentlichen Lebens auch öffentlich Stellung zu gesellschaftsrelevanten Themen zu beziehen? Beispielsweise wurde hinsichtlich der Ereignisse in Israel und Gaza von Prominenten mehr Haltung gefordert …

Gute Frage. Ich bin ja grundsätzlich sehr skeptisch oder misstrauisch, was die Überfokussierung auf Prominenz angeht, weil Prominenz ja nicht automatisch Klugheit und Wissen inkludiert. Warum sollte die Meinung prominenter Menschen wichtiger sein als die aller anderen und vor allem als die von Experten und Expertinnen? Ich bin von Beruf Schauspielerin und wüsste jetzt keine Veranlassung, meine Meinung kundzutun. Glücklicherweise können das alle für sich selbst entscheiden, auch sogenannte Prominente. Mir persönlich ist Abrufen von Promi-Statements etwas unangenehm.

Wie geht man damit dann am besten um beziehungsweise, wie bist du damit umgegangen?

Ich möchte in erster Linie spielen und Geschichten erzählen. Wobei meine Wahl bei Rollen und Projekten ja schon viel erzählt über meine Sicht auf Themen, meine Haltung. Ich denke, wenn viele Menschen zuschauen, zuhören und nicht nur wahrnehmen, was man macht, sondern es vielleicht auch mögen, dann hat man eine gewisse Verantwortung. Das klingt jetzt wie eine Phrase, aber da ist wirklich was dran. Zum Beispiel beim Thema Wohltätigkeitsengagement. Ich engagiere mich seit 20 Jahren für ein Medikamentenhilfswerk. Mit dem Geld, das ich bei „Wer wird Millionär? “ oder „L.O.L.“ erspiele, reise ich nach Afrika, um mir dort Projekte anzugucken und diese Organisation zu unterstützen.

Da hilft es vermutlich, sich von sozialen Medien fernzuhalten und nicht emotional irgendwas in die Tastatur zu hauen, weil es einem gerade in den Sinn kommt. Du warst ja noch nie bei Instagram, Facebook und Co.?!

Es ist schon verrückt: Wenn ich bei Dreharbeiten in einer Szene ein Smartphone bedienen muss, soziale Medien generell, dann brauche ich immer einen Crashkurs, weil ich die Handhabung, den Umgang und die Sprache nicht kenne. Man muss mir immer zeigen, wie man da was wischt. Für mich ist Social Media nichts, weil ich Begleiterscheinungen wie Cyber-Mobbing, Hass-Kommentare beängstigend und alarmierend finde.

Und es frisst Zeit. Jede Menge sogar. Wenn man sich also fragt, wo du die Zeit für all deine Projekte hernimmst, steht schon mal fest, dass du sie nicht für Social Media verschwendest.

Ich habe Zeit und ich habe keinen Druck. Ich habe viel mehr Freude an schönen Sachen. Blicke und Ansichten teilen. Andere Leute in meine Welt einladen und auch andere Blickrichtungen erfragen und fordern. Ich möchte gerne mehr wissen. Das macht mich nicht schlauer, macht mich nicht klüger und macht mich schon gar nicht zu einer Expertin. Aber mehr zu wissen, kann mich vielleicht davor schützen, vorschnell zu urteilen. Und dadurch, dass ich weiß, wie sich das anfühlt, beurteilt zu werden, hüte ich mich davor.

Eine solche Ablehnung hast du aber lediglich einem Smartphone und den entsprechenden Social-Media-Apps gegenüber, nicht neuen Technologien allgemein, oder?

Ich habe einen Laptop und bin auch ähnlich abhängig von der Technologie wie alle anderen. Bis zu einem gewissen Punkt. Ich wäre ja auch schön blöd, wenn ich das Internet nicht nutzen würde. Die Serie hier wird ja zum Beispiel gestreamt. Wenn ich das verdammen und ablehnen würde, wäre das total unmodern. Ich finde es herrlich, dass jede und jeder für sich entscheiden darf, wie sie oder er das Leben bestreiten möchte. Ich möchte mein Leben jedenfalls nicht mit einem Gerät in der Hand leben.

Previous post „Deutsches Haus“Das laute Schweigen der Generation Krieg
Next post Nathan & Jäger: Über das „gruselige“ Geschäft mit der Stimme