Die deutsch-polnische Musikerin Balbina verarbeitet auf ihrem neuen Album „Punkt.“unter anderem eine große künstlerische wie persönliche Krise. Mit n-tv.de spricht die 36-Jährige über Selbstzweifel und Selbstinszenierung.
Seit Balbina Monika Jaielska 2011 auf ihrem ersten Album „Bina“ noch rappte, hat sich musikalisch viel getan bei der Berlinerin mit Wurzeln in Polen. Schon bald setzte sie lieber auf einen eigenwilligen Mix aus Elektronik-, Pop- und Symphonica-Elementen, kombinierte das Ganze mit lyrischen Texten und einer außergewöhnlichen Bühnenperformance.
2015 erschien mit „Über das Grübeln“ also ihr zweites, ungewöhnlich außergewöhnliches Album, durch das Herbert Grönemeyer auf sie aufmerksam wurde. Der nahm sie kurzerhand als Support mit auf seine „Dauernd Jetzt“-Tournee. Dem folgte 2017 der Longplayer „Fragen über Fragen“. Das Feuilleton feierte Balbina jetzt als eine deutsche Version von Björk. Das mag auf den ersten Blick Sinn ergeben, doch ist Balbina zu eigen, um sich mit anderen in eine Schublade stecken zu lassen. Nicht einmal mit Björk.
Die Songs auf ihrem neuem Album „Punkt.“ tragen Titel wie „Augenblick“, „Langeweile“ und „Wanderlust“ und markieren so etwas wie einen Neuanfang. Mal düster, mal hoffnungsfroh, mal bombastisch, mal zurückgenommen ist der Sound, untermalt von persönlichen Texten, die mancher Sinnkrise ihrer Schreiberin entstammen.
Uraufgeführt wurde das Material gemeinsam mit dem Deutschen Filmorchester Babelsberg in der Hamburger Elbphilharmonie. Und die vorab ausgekoppelte Coverversion von Rammsteins „Sonne“ lenkte noch mehr Aufmerksamkeit auf die 36-Jährige. Im Interview mit n-tv.de spricht Balbina über Selbstinszenierung und Selbstzweifel sowie über ihre spezielle Verbindung zu Grönemeyer.
n-tv.de: Balbina, was hat deine ja doch beachtliche musikalische Entwicklung seit deinen Anfangstagen am meisten beeinflusst?
Balbina: Die Sozialisierung über die urbane Musikschiene. Die Tatsache, dass ich mit Royal Bunker und all den anderen, mit denen ich gearbeitet habe, autodidaktisch anfangen habe, Musik zu machen. Das ging nur in dem Umfeld, denn ich hätte sonst ja nirgendwo hingehen können. Alles, was ich jetzt tue, ist darauf zurückzuführen, dass ich dort war und unterstützt wurde.
War der Wunsch, Musik zu machen, denn schon immer da?
Ja, der hat mich schon immer begleitet. Meine Mutter hat mir neulich erzählt, dass wir, als ich klein war, mal in einem Elektronikmarkt waren, um einen neuen Staubsauger zu kaufen. Ich bin dann am CD-Regal vorbeigegangen und habe gesagt: „Da werde ich mal drin sein.“ Ich wollte schon immer Lieder schreiben, nur konnte ich das halt damals noch nicht. Ich konnte schon singen und schreiben, aber das Produzieren, wie man was aufnimmt, ist über das Lernen mit Kumpels entstanden. Das sind meine Wurzeln und es sind wichtige Wurzeln.
Du kommst mit Royal Bunker, einem Indie-Hip-Hop-Label aus Berlin, ja eher aus dem Rap. Wie ist der Wechsel in die symphonisch-elektronische Popmusik passiert?
Das hat sich dahin entwickelt. „Bina“ war ein Potpourri aus allem, was ich im Hip-Hop-Bereich gemacht habe. Es war eine Art Best-of aller meiner Lieder, die ich auf Konzerten mit Rappern auf die Bühne gebracht habe. Danach habe ich mich dann mehr mit dem Musikmachen und Komponieren befasst, vorher kannte ich ja nur Beats und Loops. Ich wollte musikalischer arbeiten, Instrumente benutzen und habe erst gelernt, wie man so arbeitet. An das Album jetzt bin ich wieder viel intuitiver herangegangen. Die Beats und die Vorproduktion habe ich wieder komplett alleine gemacht und bin nach meinem Bauchgefühl gegangen. Die erste Prämisse war, zu machen, was mir gefällt und mir den Augenblick am besten illustriert.
Demnach hat dich deine Intuition schon in die Elbphilharmonie gebracht …
Die haben mich angefragt, bevor ich das Album fertig hatte. Das kam also eher auf Grundlage der beiden Alben davor. Damit war ich einmal mitten im Herzen des Establishments. Einmal rein und sofort wieder raus. Es war schon schön, dort zu spielen und die Menschen zu vereinen, aber ich glaube nicht, dass das das Terrain ist, auf dem ich mich in Zukunft hauptsächlich bewege. (lacht)
Wie muss man sich das Publikum vorstellen? Hauptsächlich Fans von dir oder eher ältere Herrschaften mit einem Elbphilharmonie-Abo?
Mein Konzert war schon ein Jahr vorher im Vorverkauf und viele Fans haben die Tickets gekauft. Ich habe mehrere Zugaben gespielt und es gab sogar Standing Ovations. Ich glaube nicht, dass es dazu gekommen wäre, wenn nicht meine Fans dagesessen hätten. (lacht) Es war eine schöne Erfahrung und es war ein wunderschönes Konzert, aber es ist nicht meine Welt.
Dann sprechen wir mal über deine Welt, die du in deinen Texten oft recht kryptisch zum Ausdruck bringst …
Das kommt hauptsächlich aus dem Rap. Auch die primitivsten Rap-Texte sind einfach gut gereimt. Sogar einfache Punch Lines reimen sich mehrfach und haben eine geile Struktur. Das fand ich immer gut, denn auch Dinge, die inhaltlich nicht so bedeutungsschwanger waren, hatten immer einen geilen Flow. Das gehört zur Kunst dazu. Disziplin und Lernen. Immer wieder schauen, ob das jetzt wirklich das tollste Wort oder das tollste Bild ist, das ich dazu finde. Oder ist es nicht vielleicht doch schon tausendfach benutzt worden? In der aktuellen Populärmusik sind die Phrasen immer dieselben. Die Leute wollen auch nichts anderes hören. Im Rap feiern es die Leute, wenn du ein neues Bild etablierst.
Funktioniert das im Deutschen besser als im Englischen?
Voll. Du baust anders Sätze und sie wirken anders. Ich habe ein paar Passagen auf Englisch und ich habe gemerkt: Du kannst auf Englisch schneller und kürzer einen Zusammenhang formulieren. Für etwas, für das du im Deutschen vier Zeilen brauchst, brauchst du im Englischen eine. Das ist das Geile am Deutschen, deswegen klingt es für Ausländer auch so speziell. Es gibt dem Content mehr Platz, um sich zu entfalten.
Deine Texte behandeln Identität, Liebe, Alltägliches. Funktieren sie für dich als eine Art Selbsttherapie?
Ich glaube, dass alle Künstler, die schreiben und Lieder machen, sich über dieses Ventil Luft verschaffen. Entweder sind wir alle psychisch gestört oder keiner, nur der Grad an psychischer Störung variiert. Ich denke, wir Künstler haben ein Ventil gefunden, wie wir unsere psychischen Störungen kanalisieren und analysieren können. Das ist gut, wenn man das hat, darüber kannst du wahnsinnig viel reflektieren und verarbeiten, indem du es formulierst. In Worten, aber auch musikalisch. Oftmals kommen die Emotionen zu kurz. Wenn du einen Erfolg im Job hast, wirst du gelobt. Und was kommt danach? Nichts. Und ich kann einen Erfolg oder eine Niederlage, die Emotion dazu in einen fünfminütigen Song packen und durchlebe sie komplett mit allen Höhen und Tiefen. Das ist ein wahnsinniges Privileg. Und man macht sich – rein egoistisch gesehen – unsterblich dadurch.
Einer, dem das mit der Unsterblichkeit quasi schon gelungen ist, ist Herbert Grönemeyer. Mit ihm warst du auf Tour und er ist auch beim neuen Albumsong „Machen“ zu hören. Wie würdest du dein Verhältnis zu ihm beschreiben?
Es ist eine distanzierte Freundschaft. Herbert ist jetzt nicht mein Buddy. Mit ihm befreundet zu sein, macht aber sicher richtig Bock, denn er ist einer der humorvollsten Menschen, den ich je kennengelernt habe. Aber wir haben eine Freundschaft auf Distanz, weil wir uns auf musikalischer Ebene kennengelernt haben und er mit als Förderer mit auf Tour genommen hat. Wenn ich ihn mal sehe, ist es eher auf dieser Ebene. Er ist für mich ein Vorbild, jemand, zu dem ich aufschaue. Er ist jemand, der mich immer in dem bestärkt hat, was ich tue.
Wie muss man sich dieses Bestärken vorstellen?
Man wird in dieser Branche schnell bewertet und in eine Kategorie gesteckt. Da hat er mir oft gesagt: „Ich finde das alles gut, wie du das machst. Du arbeitest so hart und so viel an dir selbst, du musst dich nicht immer so hinterfragen. Du kannst selbstbewusst hinter dem stehen, was du tust. Es kann nicht immer allen gefallen. Lass dich nicht verbiegen.“ Das war in Momenten, in denen ich echt down war. Als ich mal wieder die 50. Absage bekommen habe, dass ich zu speziell sei, um in irgendeiner Show meine Single zu präsentieren oder im Streaming gut platziert zu werden. Oder dass ich zu kunstvoll bin, um eine gute Verkaufsfläche im Saturn zu bekommen. Da zweifelst du an deinem Können und dann hat er mir immer gesagt, ich solle weiter das machen, woran ich glaube.
Und nicht nur zu Grönemeyer hast du eine spezielle Verbindung. Was hat es mit dem Rammstein-Cover auf sich?
Ich mache immer gern Sachen, die auf den ersten Blick nicht zu mir zu passen scheinen. „Sonne“ ist eins meiner Lieblingslieder, weil es immer Kraft gegeben hat, wenn ich dabei war, zu resignieren. Ich habe mir lange nicht vorstellen können, das zu covern, bis ich die Idee hatte, dieses harte, metallene E-Gitarren-Riff durch einen Frauenchor zu ersetzen, der mich symbolisiert. Ich hatte eine Version, die ich selbst echt gut fand und habe mich getraut, die Band zu fragen, wie sie es finden. Ich wollte die Erlaubnis. Hätten sie es scheiße gefunden, hätte ich es nicht rausgebracht.
Dann hätte dich Herbert Grönemeyer wieder aufbauen müssen. Aber sie fanden es ja nicht scheiße?!
(lacht) Der Künstler selbst kann immer am besten sehen, ob das Lied gut repräsentiert ist. Die fanden das so anders, glaube ich, und dadurch passend. Es macht mir auch wahnsinnig Spaß, es aufzuführen.
Wenn du jetzt Kraft brauchst, hörst du dann deine eigene Version oder noch immer das Original von Rammstein?
Nee, dann höre ich schon immer noch den von Rammstein. (lacht) Ich kenne auch keine Künstler, die ihre eigene Musik hören.
Neben der Musik legst du ja auch sehr viel Wert auf deine Außenwirkung. Klamotten, Performance, Videos – alles ist aufeinander abgestimmt. Warum ist es dir so wichtig, als Gesamtkunstwerk zu funktionieren?
Ich kann das nicht unterdrücken. Wenn ich auf die Bühne gehe, sehe ich das ganzheitlich. Es gibt Leute, die kommen in Jeans und mit ihrer Gitarre und legen los. Ich kann das nicht. Ich muss alles immer inszenieren, das macht mir krassen Spaß. Wenn mir jemand sagt, dass irgendwas nicht inszenieren darf, dann kriege ich Gänsepickel, weil ich etwas nicht beeinflussen kann. Ich möchte mit allem spielen und sehe das eher wie eine Theateraufführung.
Macht dich das auf der Bühne zur Kunstfigur und weniger angreifbar?
Eigentlich umgekehrt. Wenn ich auf die Bühne gehe, bin ich die ehrlichste Essenz meines Selbst. Ich kotze meine Gefühle förmlich aus, gerade wenn ich live spiele. Die Gigs sind so intensiv, ich bin wie in Trance. Ich verliere mich komplett in der Emotion und es ist die ehrlichste Art der Kommunikation, die man von mir kennt.
Bist du also im realen Leben unehrlicher in manchen Situationen?
Vieles im Alltag nehme ich mit Humor und lasse es von mir abprallen. Ich zeige den Menschen eher nicht meine traurige Seele, weil ich es von der Musikindustrie gewohnt bin, dass die Leute einen bewerten, dass sie einen aussaugen. Ich habe gelernt, ein Pokerface aufzusetzen. Auf der Bühne streife ich das komplett ab. Denn da sind die Leute, die kommen wegen mir, die wollen mich haben, die finden mich cool, so wie ich bin. Und deswegen erlaube ich mir das. Ich würde auf einem Branchen-Event, selbst wenn ich in einer tiefen Depression stecke, niemals sagen, dass es mir scheiße geht. Nur in meinen Songs und auf der Bühne erlaube ich mir das. Dort sind die Menschen, die das verstehen. In der Branche machst du dich nur angreifbar. Die respektieren eher Leute, die die Musik aus der Distanz sehen und als reines Verkaufstool. Es gibt so viele Künstler, die ganz oben in den Charts sind und denen es egal ist, was sie da eigentlich performen. So will ich halt nicht sein.
Am 24. April spielst du einen Gig im Admiralspalast in Berlin. Bis dahin ist ja noch ein bisschen. Brauchst du so lange, um dafür zu proben?
Nein, es ist nur das weiterentwickeltes Set aus der Elbphilharmonie. Dort haben wir nur das Album präsentiert. Im Admiralspalast spiele ich es so wie dort, nur mit mehr Liedern. Das Programm dauert zwei Stunden.