Bela B Felsenheimer: „Manchmal war es auch frustrierend.“

Bela B Felsenheimer: „Manchmal war es auch frustrierend.“

Musiker, Schauspieler, Hörbuchsprecher und nun auch noch Autor. Die-Ärzte-Drummer und -Sänger Bela B veröffentlicht mit „Scharnow“ seinen ersten Roman. n-tv.de verrät er sein Mittel gegen Schreibblockaden und wie man loszulassen lernt.

Ein bisschen lief diese Meldung Gefahr, aufgrund der Gerüchte um die Auflösung von Die Ärzte unterzugehen: Bela B hat einen Roman geschrieben. Seinen ersten, und der hat es gleich in sich. Wer sich nur schwer Namen merken kann, wird sich Notizen machen müssen.

„Scharnow“ heißt das Lang-Debüt des Ärzte-Drummers, das er unter dem Namen Bela B Felsenheimer veröffentlicht. Die Geschichte spielt eben genau dort, in Scharnow – einem fiktiven Ort in Brandenburg, an dem normalerweise der Hund begraben ist, sich plötzlich aber allerlei Kurioses zuträgt. Hier treffen schießwütige Verschwörungstheoretiker mit einem großen Plan auf eine ambitionslose Supermarktverkäuferin und ein mutiges Mangamädchen, das wiederum sein Herz an einen syrischen Praktikanten verliert. Gruselige Bücher führen ein Eigenleben und der Pakt der Glücklichen scheint alles zu sein, nur nicht so richtig glücklich. „Scharnow“ ist ein so komplexes wie kurzweiliges Werk, das episodenhaft einen schonungslosen Blick auf die wenig schillernden Leben seiner Protagonisten wirft. Deren Wege kreuzen sich ein ums andere Mal, ver- und entknoten sich wieder, sodass es fast ein kleines Wunder ist, wenn am Ende doch alles irgendwie Sinn ergibt.

Vielleicht war es nur eine Frage der Zeit, dass Bela B endlich mit einem eigenen Roman um die Ecke kommt. Möglicherweise bereitet er sich damit schon mal auf die Zeit nach der Trennung der besten Band der Welt vor. Auch wenn der vierte Buchstabe des Rätsels auf der Ärzte-Internetseite nicht wie befürchtet ein C wie in „Abschied“ war. Oder aber Bela B zollt doch nur seinem Faible für bizarre Geschichten Tribut. Ausflüge in die Literatur gab es schließlich schon früher, als er die Hörbücher anderer einlas, Vorworte schrieb, Comic-Bücher verlegte, Kurzgeschichten verfasste und mit „Sartana“ ein Hörspiel auf die Bühne brachte. Nun also der erste – und womöglich nicht der letzte – Roman.

n-tv.de: Die meisten Autoren fühlen sich schon früh berufen, ein Buch zu schreiben. Dich hat erst ein Verlag auf diese Option aufmerksam gemacht. Warst du sofort Feuer und Flamme?

Bela B Felsenheimer: Es war ein Verlag aus Österreich, der eine Reihe hat, in der Quereinsteiger relativ kurze Bücher von etwa 100 Seiten schreiben. Das habe ich mir zugetraut und fand es eine super Sache. Mein Management meinte aber, es wäre womöglich das einzige Buch in meinem Leben und ich solle es dann doch richtig machen. Tatsächlich waren daran dann ein paar Verlage interessiert. Entschieden habe ich mich für den Heyne Hardcore, weil sie am meisten um mich gerungen haben. Für Heyne hatte ich bereits Vorwörter geschrieben und Lesereisen gemacht. Ich vermute allerdings, die hatten eher was Autobiografisches im Sinn.

Geworden ist es aber ein Roman, die Geschichte um einen fiktiven Ort im Berliner Umland, in dem sich allerlei schräge Gestalten mit ganz unterschiedlichen Lebensentwürfen, Zielen, Wünschen und Hoffnungen tummeln.

Ja, da war ich dann von geplanten 100 Seiten plötzlich bei einem Buch mit geplanten 260 bis 300 Seiten.

Jetzt sind es 416 Seiten …

Tja! (lacht) Bis vor einem Jahr habe ich selbst noch nicht gedacht, dass es so viele werden. Die Figuren haben sich entwickelt, wurden immer plastischer und führten irgendwann ein Eigenleben. Es klingt wie ein Klischee, war aber so. Ich musste ihnen allen Beachtung schenken, sie lernten sich kennen, hatten plötzlich gemeinsame Geschichten …

Und es sind ziemlich viele Figuren … Nami, Hamid, Sylvia, Senger, Wassmann, Jan-Uwe, der Pakt der Glücklichen. Alles in allem ist es ziemlich komplex. Das schüttelt man doch nicht mal eben so aus dem Ärmel?

Ich habe mit einer Lektorin gearbeitet, die selbst Autorin und Dramaturgin ist. Sie hat mir Handwerkszeug mit auf den Weg gegeben und mich begleitet. Irgendwann hatte ich entschieden, aus den vielen Kurzgeschichten, die ich mal geplant hatte, eine einzige Geschichte zu machen, die in Scharnow spielt – als verbindendes Element.

Wie hast du den Überblick über die Protagonisten und Ereignisse behalten?

Als ich etwa 100 bis 120 Seiten zusammen hatte, habe ich begonnen, Struktur reinzubekommen, die Figuren aufgeschrieben mit allen Verbindungen, einen Zeitplan erstellt. Ich hatte schon irgendwann alle im Kopf, bin aber schon auch mal durcheinandergekommen. Beim „Pakt der Glücklichen“ zum Beispiel, weil sich die vier Figuren erst nacheinander entwickelten. Und sie sind immer zusammen unterwegs, da habe ich anfänglich schon auch mal die Namen vertauscht.

Klingt insgesamt nach einer spannenden Reise …

Auf jeden Fall, manchmal war es aber auch frustrierend. Meine Lektorin hatte mir ein Buch empfohlen, das mir sehr geholfen hat. „Das Leben und das Schreiben“ von Stephen King ist eine Art autobiografischer Ratgeber für Autoren. Darin stellt er verschiedene Schreibregeln auf. Eine davon ist „Kill your darlings“, also loslassen und Dinge verwerfen, wenn sie nicht funktionieren. Oder auch: „Benutze so wenige Adjektive wie möglich, am besten gar keine.“ Und: „Höre immer auf deinen Lektor.“ Das fand ich alles sehr hilfreich. Vielleicht hat meine Lektorin mir dieses Buch auch nur wegen des letzten Punkts ans Herz gelegt. (lacht) Das Werk ist übrigens vergriffen. Wenn das jetzt jemand haben möchte, muss er im Antiquariat gucken.

Wie sind die einzelnen Charaktere deines Buchs entstanden? Alltagsbeobachtungen, gespeist aus dem Freundeskreis, viel Fantasie – oder gibt es auch versteckte Bela-Momente in „Scharnow“?

Das meiste sind wirklich Beobachtungen aus dem Leben, die ich weitergesponnen habe. Zum Beispiel gibt es einen Überfall auf einen Supermarkt, von einem ganz ähnlichen Überfall hat mir mal jemand erzählt. Vieles habe ich so erlebt oder mitbekommen, es sind Dinge, die jeder kennt, Mobbing zum Beispiel. Und in jeder einzelnen Figur steckt immer auch ein bisschen was von mir selbst. Es war ein Prozess. Ich habe quasi während des Schreibens zu schreiben gelernt.

Du schreibst recht filmisch, hat sich auch das erst während des Prozesses entwickelt?

Ich bin sehr filmaffin, habe etliche Drehbücher gelesen und auch schon ein eigenes geschrieben, es kann also durchaus sein, dass daher der Hang zum filmischen Schreiben kommt. Und ich habe Spaß an Dialogen, vor allem ungewöhnlichen Dialogen, und an Cliffhangern, die einen erstmal in der Schwebe lassen. Man muss dann erst durch ein paar andere Kapitel durch, ehe man erfährt, wie es weitergeht.

Du sagst es selbst: Kurzfilme, Kurzgeschichten – und natürlich Songs. Ein Roman benötigt einen ganz anderen Zeitaufwand und fordert mehr Geduld. Oder ist das gar nicht so ein großer Unterschied?

Jein! Ich habe zum Beispiel schon lange einen Song so gut wie fertig, dessen Text mir allerdings sehr wichtig ist. Den schiebe ich seit zwei Jahren immer wieder hin und her. Sicherlich habe ich mich in der Vergangenheit ein paar Mal mit Plattitüden zufriedengegeben, wenn ein Stück fertig werden musste, aber das ist längst nicht immer so.

Wie fühlt es sich nun an, wo du die Langstrecke hinter dich gebracht hast?

Ich würde es mit meinem ersten Marathon vergleichen. Damals dachte ich auch vorher, dass ich das niemals schaffe. Warum soll ich das überhaupt machen, es gibt doch gar keinen Grund?! Als das Buch dann wirklich fertig war, fühlte ich mich fast genauso wie nach diesen 42 Kilometern. Zwischendurch gab es allerdings durchaus Momente, in denen ich darüber nachgedacht habe, dem Verlag einfach den Vorschuss zurückzuzahlen und alles hinzuschmeißen. (lacht)

In welchen Momenten war das?

Ich habe zwei Jahre an dem Buch gearbeitet, gezählt ab dem Moment, als ich konkret mit dem Schreiben begonnen habe. Die ganze Zeit der ersten Ideen, als ich mir erst klarmachen musste, auf was ich mich da eingelassen hatte, zähle ich nicht dazu. Dann hatte ich auch mal ein Loch, in dem drei Wochen lang nichts passierte. Also hab ich meine bisherigen Seiten immer und immer wieder gelesen. Plötzlich begann ich sogar, von meinen Figuren zu träumen, was sie tun, wie sie sich unterhalten. Und so haben sie mir schließlich den Weg gewiesen. Viele Handlungsstränge haben es allerdings dann doch nicht mehr ins Buch geschafft. „Kill your darlings“ musste ich häufig anwenden.

Schaffst du dir zum Schreiben einen bestimmten Rahmen? Haruki Murakami steht beispielsweise um fünf Uhr auf, geht erstmal laufen und setzt sich dann für eine festgelegte Zeit an seinen Schreibtisch. Tagein, tagaus.

So was habe ich auch versucht. Eine gewisse Regelmäßigkeit hereinzubekommen ist mir aber nicht gelungen. Man sagt, dass drei bis vier konzentrierte Stunden reichen, mehr sei eh nicht drin. Aber nicht mal das klappt immer. Lautes Musikhören hat mir ein paar Mal geholfen und ich habe meist vor Fenstern sitzend mit Blick nach draußen geschrieben. Einen weiteren Tipp meiner Lektorin habe ich umgesetzt: Immer wenn ich einen Termin hatte, sollte ich mich zehn Minuten vorher kurz an den Schreibtisch setzen. Womöglich passiere unter Druck etwas, meinte sie. Und tatsächlich kamen da immer mal wieder richtig gute Ideen bei rum. Das stand übrigens nicht bei Stephen King. (lacht)

Für Lesefaule gibt es „Scharnow“ natürlich auch als Hörbuch, eingesprochen von einem Profi, nämlich dir selbst.

400 Seiten, aufgenommen in nur vier Tagen. Das ist mein Rekord, danach war ich auch erstmal drei Tage heiser.

Ist es einfacher oder schwieriger, einen eigenen Text zu lesen und zu interpretieren als den eines anderen? Stolpert man dabei nicht immer mal wieder über Dinge, die man jetzt – wenige Wochen später – schon wieder ganz anders machen würde?

Ich habe mich tierisch darauf gefreut, endlich mal einen eigenen Text einzulesen. Aber sicher wäre es auch spannend gewesen, wenn es jemand anders gemacht hätte, eine Frau vielleicht. Die Chance habe ich dadurch natürlich vertan. Aber du hast recht: Ich habe das Buch zum achten Mal in einem recht kurzen Zeitraum gelesen und es fallen einem schon immer mal wieder Sachen auf. Da kommen wir wieder zu dem Punkt mit dem Loslassen. (lacht)

Du schreibst das Wort „Votze“ konsequent mit V …

Das wurde auch im Lektorat angemerkt, ich habe aber auf das V bestanden. Übrigens fällt das irgendwie nur Frauen auf.

Bei Männern reicht es in dem Moment vielleicht nur für die Verbindung von V wie Votze zu Vagina und Vulva.

Möglich. Wir als Die Ärzte haben innerhalb der Band irgendwann mal beschlossen, dass Votze mit V geschrieben wird, obwohl das Wort überhaupt nicht in unseren Texten vorkommt. Wir stehen eher mit Inhalten auf dem Index. Wir fanden jedenfalls, dass das so besser passt. Darüber haben wir mal mit Harald Schmidt eine Diskussion geführt, der uns in dem Punkt recht gab.

„Wegen euch“ wird das noch im Duden geändert. Oder heißt es „euretwegen“?

Tatsächlich hat uns nach dem Song „Wegen dir“ von 1985 die „Gesellschaft zur Rettung der deutschen Sprache“ einen Brief geschrieben, in dem man uns darauf hinwies, dass es „deinetwegen“ heißt. Inzwischen gibt es aber sehr viele Songs, in denen „wegen dir“ gesungen wird und der Duden genehmigt „wegen dir“ wohl jetzt ebenfalls, genau wie Votze mit V. Wir als Die Ärzte sind Sprachfreunde. Je umfangreicher, desto besser. Die grassierende Verflachung bei Jugendlichen oder wie sie im Hip-Hop um sich greift, erfüllt uns mit Sorge.(lacht)

*Datenschutz

Dann tue etwas dagegen. „Scharnow“ muss ja nicht dein einziger Roman bleiben. Jetzt geht es allerdings erstmal auf Lesereise, anschließend auf Europatour mit den Ärzten. Viel Zeit bleibt da nicht …

Mal sehen, wie es weitergeht. Ich habe in der Zeit des Schreibens auch noch viel anderes gemacht. Ich habe in Filmen mitgespielt, war mit dem Hörspiel „Sartana“ auf Tour. Während der Zeit der Proben dafür habe ich sehr viel geschrieben. Als wir „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ (Mini-Serie mit Moritz Bleibtreu, Lars Eidinger, Sophie Rois u.a., seit 23.02. bei TV-Now; Anm. d. Red.) in Wien gedreht haben, bin ich oft schon einen Tag früher angereist und habe mich in ein Café gesetzt, um zu schreiben. Ich kann mir also schon vorstellen, trotz der Arbeit an einem Album oder auf Tour etwas zu Papier zu bringen.

Apropos Tour. Die Ärzte sind in Europa unterwegs, in Deutschland muss man aber schon zu „Rock am Ring“, um euch live zu sehen …

Wenn wir auf einem solchen Festival gebucht sind, gibt es eine territoriale Exklusivität. Das ist der Grund dafür, dass wir jetzt stattdessen in Prag, Warschau, Mailand, Zagreb, Ljubljana, Straßburg und so weiter spielen.

Und alle Konzerte sind ausverkauft. Aber ich hoffe mal, dass das nicht die letzte Ärzte-Tour ist?

Das hoffe ich auch!

Also arbeitet ihr an einem neuen Album?

Kein Kommentar. (lacht)

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