Blixa Bargeld: „Gebe mir Mühe, verständlich zu sein“

Blixa Bargeld: „Gebe mir Mühe, verständlich zu sein“

Für ihr Album „Rampen“ haben die Einstürzenden Neubauten einige ihrer aus dem Live-Kontext bekannten Improvisationen im Studio eingespielt. Mit ntv.de spricht Blixa Bargeld über die Parallelen zwischen seiner Band und den Beatles sowie sein Ausklinken aus dem biologischen Determinismus.

Mit dem Album „Rampen (amp: alien pop music)“ melden sich die Einstürzenden Neubauten mit einem neuen Album auf dem eigenen Label Potomak zurück. Dafür haben sie sich – wie der Titel bereits verrät – 15 ihrer aus dem Live-Kontext bekannten Improvisationen alias Rampen vorgenommen und diese im Studio live eingespielt. Damit kehren die Berliner stilistisch zurück zu ihren Wurzeln, präsentieren Industrialsounds, wie man sie aus ihrer Frühphase in den 1980er-Jahre nur allzu gut kennt.

Im Interview mit ntv.de sprach Frontmann Blixa Bargeld über die Parallelen zwischen den Neubauten und den Beatles, seine Kritik am biologischen Determinismus und das Ende des Neubauten-Crowdfunding-Projekts.

ntv.de: Die Einstürzenden Neubauten waren gerade mit dem Album „Alles in Allem“ auf Tour, als Corona alles lahmlegte. Hat diese Zeit nachhaltig etwas mit Ihnen gemacht?

Blixa Bargeld: Mich selbst hat die Krankheit erst im November 2023 erwischt. Es war auch nicht weiter wild, denn ich bin gut durchvakziniert. Damit hatte sich das für mich dann erledigt. Vorher war es aber immer noch ziemlich schwierig. Also Taxifahren höchstens mit Maske und offenen Fenstern. Wir haben uns extrem isoliert, und das hat uns natürlich einen kompletten Strich durch die Rechnung gemacht. Wir hatten so viel geplant und mussten alles absagen. Das war heftig. Die Tour wurde zweimal verschoben. Und dann haben wir die größten Vorsichtsmaßnahmen ergriffen. Wir haben Luftfilter im Bus eingebaut und sind nur damit gereist, alle wurden jeden Morgen getestet. Und trotzdem hat es uns in der Mitte der Tour wieder erwischt und wir mussten die restlichen Termine absagen. Das zehrt natürlich auch im Unbewussten.

Sie selbst hat es damals ins Ausland verschlagen?!

Richtig. Ich habe mich mit meiner Familie ein Jahr lang in Portugal versteckt. Auch isoliert. Meine Kinder sind auf eine englische Privatschule gegangen, aber die Engländer durften nicht ins Land. Das heißt, die hatten eine Klassengröße von vier Personen, was das Einfallstor für das Virus klein gehalten hat. So sind wir da durchgekommen. Irgendwann im vergangenen Jahr wurde mir langsam klar, dass ich seit 2019 mit niemandem außerhalb meiner Blase gesprochen habe.

Wann entstand dann die Idee, ein neues Album zu machen?

Das war im Tourbus 2022. Und es war ganz klar die Ansage von Alexander Hacke (Bass), dass er 2023 nicht viel Zeit haben wird, um ein Album zu machen. Und da ist die pragmatische Lösung mit den Rampen entstanden, die wir auf dieser Tour gespielt haben. Wir suchen die Besten davon heraus und spielen die dann im Studio ein. Das heißt, wir sparen uns in diesem Arbeitsprozess die Forschung, das Suchen. Es war also ein kürzerer Zeitraum als normalerweise bei einem Album.

Herrscht bei den Neubauten Demokratie? Wurde also gemeinschaftlich entschieden, welche Rampen aufs Album kommen?

Das war tatsächlich eine demokratische Entscheidung. Alle Rampen wurden mit Sternchen versehen, und dann haben wir als Erstes die aufgenommen, die am meisten Sternchen hatten. Danach haben wir uns immer weiter in ungenaue Gefilde begeben. Da gab es dann auch Sachen, bei denen Rudi (Moser, Perkussion) sagte, wir sollten das unbedingt machen und niemand sonst war davon überzeugt. Aber wir haben es dann eben trotzdem gemacht.

Ist die Improvisation im Studio anderes als in dem Live-Kontext auf der Bühne?

Die Improvisation gehört live bei uns einfach immer dazu. Früher haben wir sogar viel mehr improvisiert, aber der Platz innerhalb des Sets für eine sogenannte Rampe, der ist und war immer da. Was wir jetzt vielleicht anders gemacht haben ist, dass wir minimale Absprachen getroffen haben, zum Beispiel: „Jochen (Arbeit, Gitarre) fängt an“, „Wir fangen schnell an“ oder „Du spielst Einkaufswagen“ oder was weiß ich. Und ich habe mir in meinem Teleprompter ein kleines Set Fragmente aus meinen Notizen geladen. Sachen, die ich mal irgendwann geschrieben, dann aber nicht weiterverfolgt habe. Und wenn sich dann diese Rampe so langsam entfaltet, habe ich durchgeklickt und geguckt, ob mich irgendwas anspringt. Fragmente von ein, zwei Zeilen, an die ich Fleisch drangehängt habe, sodass es ein ganzer Körper wird.

Auf der Bühne improvisiert man eine Rampe am Abend einmal, das war’s. Gab es im Studio mehrere Anläufe?

Die Art und Weise, wie wir arbeiten, ist sehr traditionell in dem Sinne, dass wir tatsächlich alle im selben Raum gleichzeitig spielen. Wir haben diese Live-Situation ins Studio übertragen. Und natürlich ist das dann Take eins, zwei oder drei – irgendwann sagt man dann, wir nehmen den Anfang von Take zwei und das Ende von Take fünf oder so. Aber ansonsten ist es komplett die traditionelle Live-Situation Die Beatles haben auch nicht anders gearbeitet. Früher haben alle so gearbeitet, aber das ist ja leider ein bisschen verschwunden, denn es ist inzwischen unbezahlbar. Du brauchst erstens ein großes Studio und zweitens viel Zeit, bis du den Take hast, in dem das alles funktioniert. Can sind sicherlich in dieser ganzen Improvisation-Sache vergleichbar.

… die aber auch viel editiert haben.

Ja, später schon. Ich habe Can dreimal live gesehen, zweimal mit Damo Suzuki und einmal ohne. Aber wenn Can gut waren und live spielten, dann waren sie wie eine telepathische Einheit, die in der Lage war, zu improvisieren und sich irgendwie auf eine überirdische Art und Weise dabei zu verständigen. Das war toll. Das ist immer sehr beeindruckend, und ich denke, die Neubauten können es durchaus damit aufnehmen. Wenn wir gut sind, schaffen wir das auch.

Sie haben eben schon die Beatles genannt. Das Coverartwork von „Rampen“ ist eine Hommage an deren „White Album“. Laut Infotext, weil die Neubauten in einem Paralleluniversum so bekannt sind wie die Beatles in dieser Welt. Gibt es noch weitere Gemeinsamkeiten?

Andrew (alias N. U. Unruh, Perkussion) ist der größte Beatles-Fan unter der Sonne. Er ist geboren in New York, hat zwei ältere Schwestern, die komplett in dieser Beatlemania drin waren. Und der hat alle in Amerika veröffentlichten Alben und Singles im Original von damals, also auch die „England Number One Vocal Group“. Und die Beatles haben ihn auch nie losgelassen. Es gibt es das Stück „Aus den Zeiten“, da heißt es: „Sing für mich in Gelb“ und „Singe mir die wahre Farbe“. Daraus hat Andrew den Vorschlag abgeleitet, wir sollten das Album doch „Gelb“ nennen, das habe ich dann umgewandelt in „Yellow Album“. Deswegen haben wir jetzt ein konsequentes gelbes Cover mit nichts drauf, und die fünf Dimensionen sind als Fotos drin. Genau dieselben Beilagen wie im originalen „White Album“ der Beatles.

Wie ist denn Ihre persönliche Beziehung zu den Beatles?

Das erste Stück, das ich jemals gesungen habe, war „All You Need Is Love“, damals beim Müll rausbringen für Mama. Ich kann das auch immer noch. Ich kann den Text heute sogar viel besser als damals mit sieben.

Vielleicht als Zugabe beim nächsten Neubauten-Konzert?

Dann lieber „Tomorrow Never Knows“. Das wär’s. Für mich ist auch nicht „Sergeant Pepper“ das beste Beatles-Album, sondern „Revolver“. „Tomorrow Never Knows“ ist eine der besten Ringo-Schlagzeugnummern überhaupt.

Ebenfalls im Infotext steht, dass Sie mit dem neuen Album Lösungen gefunden und Dinge formuliert haben, wie noch nie zuvor. Haben Sie danach aktiv gesucht?

Es geht mir immer so. Die Musik entsteht bei uns immer zuerst, also vor dem Text. Es gibt wenige Musiker, bei denen es umgekehrt ist. Und ich erwarte eigentlich immer etwas, suche in der Musik, was ich nun darauf singen soll. Was steckt da drin? Ich weiß, dass das natürlich in meiner persönlichen Imagination, meiner persönlichen Reflexion liegt. Aber es ist dennoch so, dass ich erwarte, in diesem musikalischen Geflecht Erkenntnisse zu gewinnen, also etwas zu sehen und zu finden, was ich vorher nicht kannte, nicht hatte und nicht wusste.

Können Sie das für „Rampen“ konkretisieren?

Es gibt eine ganze Schicht, die sich hier langsam kenntlich gemacht hat. Und alles endet auf „Gesundbrunnen“, dem letzten Stück auf dem Album, was auch nur als letztes Stück funktioniert. Es geht um Trilobiten, geht aber auch zurück bis auf „Seven Screws“ auf dem letzten Album. Eine längere Beschäftigung mit Identität, Non-Binarität, Geschlechterteilung, Gender … Ich mache eine Tür auf, wo vorher keine war. Wir klinken uns aus dem biologischen Determinismus aus. Diesen Gedanken musste ich erst mal zu Ende denken, weil das eigentliche Fragment von dem Stück nichts weiter war als die Beschreibung der Unterseite eines hässlichen Teppichs.

Sie sagen, es geht um Non-Binarity und Geschlechteridentitäten. Das hat einen persönlichen Hintergrund, richtig?

Es war kurz vor der Pandemie, da hat sich meine Tochter geoutet. Jetzt ist sie ein Transmann. Er ist ganz am Anfang seines Wegs. Aber natürlich hat das meine ganze Beschäftigung mit der Thematik noch mal befeuert. Und ich komme dadurch bei der Anklage gegen den biologischen Determinismus an. Das hört sich hochgestochen an, es ist aber trotzdem immer noch Popmusik für die, die sich vom Populismus frei fühlen.

Populisten hören vermutlich ohnehin weniger die Einstürzenden Neubauten?!

Ja, Helene Fischer dagegen hat viele Fans verloren, weil sie sich gegen die AfD geoutet hat. Und jetzt schreiben alle böse Kommentare. „Du hast schon wieder einen Fan verloren“ und so.

Fans, die Helene Fischer sicher weder braucht, noch will … Wobei sie textlich doch eher harmlos unterwegs ist. Wie sehr beeinflusst das aktuelle Zeitgeschehen Ihren Job als Musiker?

Ich schreibe nicht über irgendetwas, das ist alles eher kryptisch und kodifiziert. Ich gehe aber immer davon aus, irgendjemand wird es schon hören und etwas damit anfangen können. Ich gebe mir Mühe, verständlich zu sein. Aber es hat einen Anker, und der ist nicht nur in meiner Gedankenwelt, sondern hat auch ganz normale familiäre Lebensumstände. Aber ich würde niemals sagen, ich habe jetzt über etwas geschrieben oder über die Transition meiner Tochter oder so.

Sie stellen mit dem ersten Song des Albums die letzte Frage des Interviews: Wie lange noch?

Mit dieser Platte haben wir die fünfte Phase unseres Supporter-Projektes, also der Erfindung des Crowdfunding, abgeschlossen. Wir hören jetzt damit auf. Wir haben fünf Platten auf diese Art und Weise finanziert. Das hat auch wunderbar funktioniert. Aber als wir damit angefangen haben, gab es noch gar keine Social Media. Heute erwartet man von jedem Künstler, dass er sein Frühstück fotografiert oder alles andere, was in seinem Leben so passiert. Und wir laufen Gefahr, wenn wir damit weitermachen, einen immer elitäreren Kreis zu konstruieren und gleichzeitig immer banaler zu werden. Denn diese Art von digitaler Intimität, die gab es nicht, als wir damit angefangen haben. Die gab es in der Internet-Pornografie, aber nicht in diesem Metier. Wir haben das für uns ausgenutzt, ausgeweitet und schließen es jetzt hiermit ab.

Das bedeutet das Ende des Crowdfundings, aber nicht das Ende der Neubauten!?

Solange ich immer etwas immer noch nicht zu Ende gedacht habe, kann ich noch weitermachen. Erst, wenn ich bei allen beim Kopf angekommen bin, ziehe ich mich zurück. Aber es kommt ja auch andauernd irgendwas dazu. Und ich warte immer noch darauf, dass Sie einen Asteroiden nach mir benennen.

Ist das mit 65 Jahren nun das angestrebte Karriereziel?

Genau. Man hat eine Mikroalge nach mir benannt. Ich will aber einen Asteroiden. John, Paul, George und Ringo gibt es schon lange. Frank Zappa gibt es auch. Aber jetzt den Asteroiden nach mir zu benennen … dann kann es passieren, dass eines Tages Blixa auf die Erde stürzt und die Menschheit vernichtet.

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