Charlotte Roche: „Monogamie ist ausgedachte Christen-Scheiße“

Charlotte Roche: „Monogamie ist ausgedachte Christen-Scheiße“

Charlotte Roche gehört zu den polarisierendsten Persönlichkeiten, die die deutsche Medienlandschaft zu bieten hat. Das liegt vor allem daran, dass sie kein Blatt vor den Mund nimmt und Tabus ihr fremd sind. Ihre Bücher „Feuchtgebiete“ und „Stoßgebete“ sorgten vor allem durch die meist derbe Beschreibung intimster Details aus dem Leben der halbautobiografischen Protagonistinnen bei vielen für Ekel und Entsetzen.

Beste Voraussetzungen also für einen Podcast über die Hochs und Tiefs der nun schon 15 Jahre andauernden Beziehung zwischen der 41-Jährigen und ihrem Ehemann Martin Keß. Der hat sich bislang lieber aus der Öffentlichkeit herausgehalten, während die Frau an seiner Seite mit Vorliebe genau das Gegenteil tut. Nun zerrt sie ihn immerhin vor das in den eigenen vier Wänden im Umland von Köln aufgestellte Mikrofon. Mit schonungsloser Offenheit wollen die zwei die Hörer ihrer „Paardiologie“ bei Spotify immer wieder freitags an ihren ganz alltäglichen Paarproblemen und -diskussionen rund um Themen wie Sex, Geld und Kindererziehung teilhaben lassen.

Warum die zwei das tun und was Charlotte Roche selbst für den größten Beziehungskiller hält, hat sie n-tv.de in einem erfrischend ehrlichen Interview erklärt.

n-tv.de: Charlotte, warum war es dir ein Bedürfnis, deine Erfahrungen aus 15 Jahren Beziehung zum Thema eines Podcasts zu machen?

Charlotte Roche: Mich haben in den letzten Monaten immer mal wieder Leute gefragt, ob ich mit ihnen einen Podcast machen möchte. Irgendwann habe ich zu einem Freund gesagt, dass im Grunde der einzige Mensch, mit dem ich mir vorstellen kann, so viele Stunden und Wochen hintereinander einen solchen Podcast aufzunehmen, mein Mann ist. Da macht man also einen Gag, alle lachen und dann merkt man, dass es eigentlich kein Gag war. Es war ein Fünkchen Wahrheit drin.

Es hat allerdings einige Überredungskunst gebraucht, bis du deinen sonst so medienscheuen Mann so weit hattest.

Er findet zwar, dieser Podcast war die beste Idee meines Lebens, aber er findet es scheiße, dass er ihn mit mir machen muss, weil ja schließlich er mein Mann ist.

Überhaupt findest du viel im Außen statt, er liebt den Rückzug. Entstehen eure Konflikte oft aus genau diesem Unterschied heraus? Oder ist das das, was eure Beziehung schon so lange am Leben hält?

Es ist etwas ermüdend, dass immer ich der soziale Mensch bin, der Euphoriker, der Plapperheini, der ständig aufgeregt ist. Und dass er immer nur seine Ruhe will. Ich fände es auch mal cool, wenn er total euphorisch wäre und ich ihm sagen müsste, er solle mal den Ball flach halten. Aber so ist es einfach nicht. Nie. Aber ja, ich glaube, genau deswegen sind wir noch zusammen.

Wie groß ist die Gefahr (für euch), die Chance (für den Zuhörer), dass ihr in echte Streitgespräche geratet?

Ich hoffe sogar, dass wir uns auch wirklich streiten. (lacht)

Damit der Zuhörer merkt, dass er mit seinen Beziehungsproblemen und -diskussionen nicht allein auf weiter Flur ist?

Bei allen Sachen, die ich mache, möchte ich eine Verbindung herstellen und nicht etwa aufzeigen, wie toll wir sind. Ich will zeigen, wie gleich wir alle sind. Die meisten Paare denken, nur sie haben diese Probleme. Keinen Sex mehr, Machtkämpfe, Veränderungen … Früher dachte ich auch immer, wir seien etwas ganz Besonderes, das beste Paar der Weltgeschichte. Nach 15 Jahren Beziehung merke ich immer mehr: Wir sind wie alle. Ich bin wie jede Frau, er ist wie jeder Mann. Und alle Probleme, die wir haben, haben auch alle anderen, nur die reden nicht darüber.

Hoffst du, dass ihr mit euren offenen Gesprächen andere dazu anregt, ebenfalls mehr in die Kommunikation miteinander zu treten?

Wir sagen nicht, dass wir wissen, wie es geht. Das wäre eine arrogante Haltung. Ich habe noch nicht mal Abitur, ich habe also auch nicht Psychologie studiert. Wir können niemanden therapieren. Was wir haben, ist sehr viel Paartherapie-Erfahrung. Das hat uns richtig oft gerettet. Wenn man in einer Krise steckt, ist das echt eine Sensation. Und wenn es nur einmal zwei Stunden sind. Auch Online-Therapie, Paartherapie-Bücher können helfen. Gerade beim Thema Sex. Wenn man nicht akzeptieren will, dass man gar keinen Sex mehr hat, muss man sich was überlegen …

Eine offene Beziehung zum Beispiel? Die werdet ihr laut Teaser im Podcast ja auch ansprechen …

(lacht) Nur als eine Idee, es ist jetzt die naheliegendste. Denn wer setzt sich schon nackt ins Bett und fragt ganz offen: „Was gefällt dir eigentlich von dem, was wir machen? Sag doch mal.“ Wenn man sich so gut kennt und so lange zusammen ist, ist es doch schwer, eine neue Fantasie zu formulieren und umzusetzen.

Und deswegen brechen viele aus ihren Beziehungen aus – ganz offiziell oder auch heimlich?

Ja, vielleicht, weil der Körper nicht für die Monogamie gemacht ist. Das ist einfach so. Monogamie ist ausgedachte Christen-Scheiße und wir leben nun mal in einer christlichen Gesellschaft. Es gibt total viele lockere, offene, liberale Menschen, die trotzdem finden, dass Fremdgehen mit dem Tod bestraft werden muss. Ganz viele denken: „Wenn ich erfahre, dass mein Partner Sex mit jemand anderem hat, dann bin ich weg.“ Dann schmeißen die für einen einzigen Fremd-Fick die große Liebe und alles drum herum weg, Haushalt, Kinder, Hund …

Oder der, der fremdgegangen ist, wirft alles hin, weil er glaubt, dass in der nächsten Beziehung mit der neuen Person alles besser wird. Ein Irrglaube?

Heute ist immer alles verfügbar. Alles neu, neu, neu. Alles hype, hype, hype. Ich will jetzt nicht über Ehen reden, in denen es Gewalt, Co-Abhängigkeiten oder so was gibt. Diese Menschen müssen sich trennen. Aber um mal meine Therapeutin zu zitieren, auch wenn es ein wenig unromantisch klingt: Es ist egal, mit wem man zusammen ist, man kaspert an dem anderen eh nur seine eigenen Probleme ab. Wenn man aber ständig weggeht, weil es Probleme gibt, hat man diese Probleme eben immer mit neuen Partnern. Sie sagt: Bleib doch einfach bei dem, den du hast, wenn du grundsätzlich alles gut findest, kaspere einmal alles durch und dann ist gut.

Also sollten die Leute besser ihr Konzept der Monogamie über Bord werfen als die Beziehung?

Ich glaube, wenn man sich in einer Beziehung nicht damit beschäftigt, dass Monogamie keine Lösung ist, weil wir biologische Wesen sind, und ob das so eine gute Idee ist, Verliebtsein und Sex moralisch zu deckeln und zu einem Tabu zu machen, dann kann man viel länger und besser zusammenbleiben. Das ist besser, als wenn man immer nur „wir, wir, wir“ sagt und nach einem Ausrutscher alles kaputt ist. Und wenn es so ein Tabu ist, wird es garantiert passieren. Dann kann man dem Partner gegenüber nämlich nicht äußern: „Es ist total krass, ich bin gerade in jemand anders verliebt, ich weiß nicht, was ich machen soll.“ Oder: „Dürfte ich eventuell mit jemand anderem schlafen, weil ich es nicht mehr aushalten kann? Und dann komme ich wieder zurück.“ Wenn man das aber aushält, bleibt man zusammen.

Weil es in einer langjährigen Beziehung um mehr beziehungsweise um andere Dinge als nur um Sex und hormonelle Verwirrung geht?

Ja, dabei geht es um alles, was man sich aufgebaut hat. Um Vertrauen, Liebe, den Schutzwall, die Ruhe, die Entspannung. Das positiv Langweilige zu Hause braucht man, um Kraft zu tanken. Das kriegt man bei einem One Night Stand ja nicht. Der ist eher kraftraubend. (lacht)

Ich ahne, dass es in eurem Podcast wenige Tabus geben wird …

Eines gibt es und das sind die Kinder. Nicht, dass sie nicht vorkommen. Aber wir sind dankbar, dass sie uns das überhaupt erlaubt haben, sie sind beide gerade 17. Wir kehren schließlich in diesem Podcast das Privateste nach außen. Wir wollen das so. Aber ich will beispielsweise nicht Badezimmergespräche mit meiner Tochter veröffentlichen. Wenn wir aber zum Beispiel über Geld sprechen, die Finanzen innerhalb der Familie, und es geht um Taschengeld, dann würde ich meine Tochter fragen, ob es okay für sie wäre, wenn wir über diesen Erziehungspunkt reden.

Aber die Kinder werden sich den Podcast nicht anhören?

Sie dürfen prinzipiell alles, aber bis jetzt ist es immer so gewesen, dass es eine krasse Ablehnung aller meiner Arbeitsthemen zu Hause gibt, weil es immer sehr sexuell ist. Ich finde es gut so. Ich bin total froh, dass ich für meine Tochter zu Hause einfach ihre langweilige Mutter bin, die den Laden zusammenhält. Die fragt sich: „Wieso schreibt die solche Bücher? Was ist los mit der? Warum lesen die Leute so was von meiner Mutter?“ Das ist mir lieber, als wenn mein Kind mein größter Fan wäre. (lacht)

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