Für ihre Rolle „Sterben“ ist Corinna Harfouch aktuell für den Deutschen Filmpreis nominiert. In dem Drama wie im Leben spielt der Tod eine große Rolle. Auch die 69-Jährige setzt sich immer wieder mit dem Thema auseinander, wie sie im Interview mit ntv.de erzählt.
In Matthias Glasner Drama „Sterben“ spielt Corinna Harfouch das Oberhaupt einer dysfunktionalen Familie, die sich auf verschiedenen Ebenen mit den Themen Krankheit und Tod auseinandersetzten muss. Eine Rolle, für die die 69-Jährige jetzt für den Deutschen Filmpreis nominiert ist.
Auch privat ist der Tod etwas, mit dem sich die Schauspielerin, die demnächst außerdem als neue Kommissarin im Berliner „Tatort“ zu sehen sein wird, immer wieder beschäftigt. Darüber und über ihre Erwartungen nach so einer Nominierung spricht sie im Interview mit ntv.de.
ntv.de: Frau Harfouch, Sie sind – wieder einmal – für den Deutschen Filmpreis nominiert. Macht das noch etwas mit Ihnen? Ist so eine Nominierung ein wichtiger Gradmesser für Ihre Arbeit?
Corinna Harfouch: Erst einmal ist es ein freudiger Schreck, wenn man davon erfährt. Dann ist plötzlich viel Arbeit damit verbunden. Und dann hofft man einfach, den Preis auch zu kriegen, denn der Moment, wenn man ihn nicht bekommt, ist einfach peinlich. Den habe ich inzwischen auch schon ein paar Mal erlebt. Man fühlt sich plötzlich als Verliererin, obwohl man gar nichts Falsches getan hat. Das ist unangenehm.
Bei den Oscars habe ich oft das Gefühl, die Nominierten wissen alle vorher schon, wer gewinnt. Die sind immer alle so gefasst, wenn sie für die Person applaudieren, gegen die sie das Nachsehen haben.
Die sind darauf einfach nur gut trainiert, und das sollten wir auch lernen, denn man bekommt ja sofort die Kamera ins Gesicht, wenn die andere gewonnen hat. Man muss dann zeigen, dass man sich freut und sich gegenseitig umarmen, das ist nicht einfach in diesem Moment. Nach einer halben Stunde ist das aber überwunden.
Lesen Sie Kritiken zu Produktionen, bei denen Sie mitwirken?
Nein, ich lese keine Kritiken. Weder beim Theater noch bei Filmen, denn es bringt einem nichts. Es kann einen sehr verletzen, aber selbst, wenn es positiv geschrieben ist, macht es was mit dir. Nehmen wir mal an, es ist eine gute Theaterkritik, dann ist das auch gefährlich, weil man dann bei der nächsten Vorstellung komische Sachen im Kopf hat und der guten Kritik unbedingt gerecht werden will. Man möchte es wieder genauso gut hinbekommen, anstatt das alles zu vergessen und ganz bei sich zu sein. Und eine Kritik ist sowieso nie an mich persönlich gerichtet, sondern an die Leute, die das lesen und denen eben empfohlen wird, in einen Film oder ein Stück nicht reinzugehen oder sich etwas anzuschauen. Ich selbst fühle mich nicht gemeint.
Sie sind für Ihre Rolle in Matthias Glasners Film „Sterben“ nominiert, in dem die Geschichte einer dysfunktionalen Familie erzählt wird und in der es viel um Krankheit und den Tod geht. Was war es, was Sie an diesem Stoff gereizt hat?
Es war hauptsächlich die Zusammenarbeit mit Matthias Glasner. Ich würde bei ihm jede Rolle spielen. Es gibt einfach ein solches Grundvertrauen in die Qualität von Matthias und immer ein Interesse bei mir, mit ihm zusammenzuarbeiten, weil das wahnsinnig angenehm ist. Ich empfinde es nicht als Arbeit, mit ihm zu drehen. Man ist einfach hellwach. Das ist ein schöner Zustand. Weil man sich so gebettet fühlt in ein großes, großes Vertrauen. Und dieses Vertrauen schenkt einem wirklich alle Möglichkeiten zum Spielen. Das war so bei allen Sachen, die ich mit Matthias jemals gemacht habe – sieben oder acht Filme sind es inzwischen. Es ist so, dass ich nicht mehr das Gefühl von Spielen habe, sondern das Gefühl von Sein. Das macht natürlich Spaß.
Ihre Rolle als Lissy Lunies hat es aber auch in sich. Viele Passagen tun beim Zuschauen weh, aus unterschiedlichen Gründen. Unter anderem Ihre erste Szene, die Lilly in einer ihrer Krankheit geschuldeten, äußerst unangenehmen Situation zeigt. Ging Ihnen das beim Lesen des Drehbuchs auch so?
Ich bin gelernte Krankenschwester und habe gar keine Probleme mit Situationen dieser Art. Und ich finde es sehr gut, dass gezeigt wird, in was für einer Art von Elend man landen kann im Alter. Ich hoffe aber auch, dass man in seinem Leben dafür sorgen kann, dass man eben nicht da landet. Ich möchte zumindest denken, dass ich einiges dafür tue. Aber vielleicht muss man am Ende doch ganz allein da durch, und dann werden wir sehen, wer wir sind, weil wir das nicht wissen, jetzt, wo wir noch ein bisschen Kraft haben.
Ebenfalls schwer auszuhalten, ist die Szene zwischen Mutter Lissy und Sohn Tom, die sich am Esstisch im Elternwohnzimmer ungeschönt die Wahrheit sagen …
Das fühlt sich so an, weil zumindest die Mutter in diesem Gespräch ein gut gehütetes Geheimnis erzählt, das wie die Kröte unter dem Stein ist, die den Brunnen vergiftet. So ist auch das Erlebnis, von dem sie ihrem Sohn erzählt und wegen dem sie sich selbst nicht mehr vertraut hat. Nicht darauf vertraut hat, dass sie imstande ist, ihr Kind zu lieben. Es ist auch für sie ein großes Leid. Mutter und Sohn haben deswegen nie zusammengefunden, und es ist diese Fremdheit, die so wehtut.
Hat die Arbeit an dem Film und die Auseinandersetzung mit den Themen Alter und Tod noch mal neue Erkenntnisse in Ihnen hervorgebracht?
Ich glaube, dass ich zum Sterben ohnehin kein fremdelndes Verhältnis habe. Ich fürchte den Gedanken nicht, dass ich sterben werde. Das sage ich auch meinen Kindern, und ich sorge vor. Ich will meine Verhältnisse in Ordnung haben, das ist für mich wichtig. Wer was bekommt und so, damit kein Streit entsteht und alles vorher geklärt ist. Das ist mein großer Wunsch.
Was macht das mit Ihnen und mit dem Gedanken an Ihre eigene Endlichkeit? Welche Pläne haben Sie sonst noch – außer Älterwerden natürlich?
Ich will auf jeden Fall bis zum Schluss arbeiten. Das wäre das Beste. Das wäre mein großer Wunsch. Aber da gibt es keine konkreten Pläne. Ich möchte noch bestimmte Sachen mit meinen Kindern klären. Und ich möchte eben gerne klären, was mit mir wird. Ich möchte dafür Verantwortung übernehmen und das selbst regeln. Darüber denke ich viel nach. Woher weiß man, wann es so weit ist? Das ist sehr schwer einzuschätzen. Du verpasst vielleicht diesen Zeitpunkt. Plötzlich bist du nicht mehr in der Lage, selbst zu entscheiden, was mit deinem Leben passiert. Ich wünsche mir zutiefst, dass ich diesen Punkt nicht verpasse.
Sie sind in der glücklichen Position, beruflich gute Entscheidungen getroffen zu haben und so schon lange zu den renommiertesten Schauspielerinnen Deutschlands zu gehören. Hat sich das Filmbusiness über die Jahre für Frauen verbessert? Zum Beispiel hinsichtlich der Rollenangebote, die ja oft von Schauspielerinnen über 40 kritisiert werden?!
Ich habe wirklich das große Glück, dass ich immer arbeiten kann. Wenn ich kein Filmangebot habe, mache ich halt Theater. Wenn das nicht ist, mache ich Lesungen. Wenn ich das alles nicht hätte, dann … dann könnte ich auch ins Altersheim gehen und dort vorlesen. Man kann so viel machen.
Also gibt es genug gute Rollen für Frauen, die ein gewisses Alter schon überschritten haben?
Nun, ich wünsche mir – und das gilt jetzt hauptsächlich fürs Fernsehen -, dass man aufhört, ein gewisses Frauenbild immer weiter zu reproduzieren. Da sind ältere Frauen immer Großmütter. Sie sind lieb und fürsorglich oder aber böse. Also mir erzählt das Leben ganz andere Geschichten. Was kenne ich für tolle Frauen in meinem Alter und darüber. Tatkräftige, großartige Frauen, die etwas gestalten. Ich lebe auf dem Dorf und sehe dort eine Menge starke Frauen, die kein Problem damit haben, älter zu werden und tolle Sachen zu machen. Die sich organisieren, gemeinsam wegfahren … Und natürlich wünsche ich mir, dass die Lebenswirklichkeit von Frauen anders abgebildet wird. Ich habe aber schon vor Jahren zu meiner Agentur gesagt, dass ich keine Frau mehr spiele, die traurig und verlassen ist und nicht mehr weiß, was der Sinn des Lebens ist.