Wir befinden uns mitten in der Hochzeit des Grunge Rock, während sich – irgendwo im Untergrund gestartet – die ersten Ausläufer des Techno aus den Clubs heraus ihren Weg in die Öffentlichkeit bahnen. Dies schlägt sich im Dezember in der Austragung der ersten MAYDAY, seinerzeit noch in der Halle Weißensee in Berlin, nieder. Etwas, worüber man sich in Vorderasien in Zeiten des Zweiten Irakkriegs wohl keine Gedanken macht.
Am 16. Januar 1991 beginnt eine Koalition, angeführt von den Vereinigten Staaten und legitimiert durch die Resolution 678 des UN-Sicherheitsrates, mit Kampfhandlungen zur Befreiung Kuwaits. Wenig später bricht der Irak die diplomatischen Beziehungen zu den USA, Großbritannien, Frankreich, Italien, Ägypten und Saudi-Arabien wegen „ungerechter militärischer Aggression“ ab, ehe es Ende Februar zum Waffenstillstand kommt. In den Alpen wird die bis heute berühmteste und älteste bekannte Gletschermumie Ötzi gefunden. Ein Putschversuch im August gegen Russlands Oberhaupt Michail Gorbatschow missglückt. Wegen seiner Verwicklung in dieses Unterfangen wird wenig später der sowjetische Geheimdienst KGB aufgelöst. Dennoch tritt Michail Gorbatschow im Dezember von seinem Amt als Präsident der Sowjetunion zurück, die dann bald auch nur noch Geschichte ist. Am 31. Dezember beendet der Deutsche Fernsehfunk und damit das frühere DDR-Fernsehen seinen Sendebetrieb, während in Großbritannien die BBC mit der Arbeit beginnt. AC/DC und Metallica spielen bei einem Konzert der Monsters-of-Rock-Tour in Moskau vor rund 500.000 Zuschauern, und die Bands Oasis, Incubus und Rage Against The Machine werden gegründet.
Massive Attack – Blue Lines
Es ist das erste und bis heute wohl wichtigste Album des Trios Robert „3D“ Del Naja, Grantley „Daddy G“ Marshall und Andrew „Mushroom“ Vowles aus Bristol, auf dem auch Kollege Tricky sowie Sängerin Shara Nelson mitwirken. Die Single „Unfinished Sympathy“ mit ihrer Stimme wird zu einem Symbol für den groovigen, zurückgelehnten Mix aus HipHop, Soul, Electronica und Reggae, den man in der Folge als TripHop bezeichnet. In Großbritannien wird „Blue Lines“ direkt zu einem kommerziellen Erfolg und erreicht Platz 13 der Albumcharts. Während Verkäufe in anderen Ländern zunächst so gut wie nicht vorhanden sind, gilt „Blue Lines“ heute als eines der innovativsten und besten Alben der Musikgeschichte und als erstes TripHop-Album überhaupt. Neben „Unfinished Symphathy“, das ebenfalls auf Platz 13 der UK-Charts landet, werden noch „Daydreaming“ und „Safe From Harm“ ausgekoppelt.
Nirvana – Nevermind
Wenn eine Platte den Durchbruch einer Band markiert, dann ist es diese. Machten sich Nirvana mit ihrem Debüt „Bleach“ zuvor noch in einem kleineren, verschworenen Kreis einen Namen, gelingt ihnen mit „Nevermind“ ein kommerzieller Erfolg auf ganzer Linie, was sie zu DEN Grunge-Göttern schlechthin avancieren lässt. „Bleach“ war noch ein rotziges Punkrockalbum, auf „Nevermind“ nun vermischt sich die Wut des Punk mit der Eingängigkeit des Pop, was das Ganze weitaus massenkompatibler macht. Ein Umstand, der Frontmann Kurt Cobain nicht gut bekommt, ist es doch vermutlich am Ende der durch diesen Erfolg entstandene Druck, der ihn dazu veranlasste, sich – zwei weitere Alben später – am 8. April 1994 mit einem Schrotgewehr das 27-jährige Leben zu nehmen. „Nevermind“, mit Singles wie „Smells Like Teen Spirit“, „In Bloom“, „Come As You Are“, „Polly“ und „Lithium“ gesegnet, hat sich weltweit mehr als 30 Millionen Mal verkauft und gilt ebenfalls als eines der wichtigsten Alben der jüngeren Musikgeschichte.
Smashing Pumpkins – Gish
Es ist das erste Album der Band um Mastermind Billy Corgan und gleich ein echtes Statement. Gefeiert von der Musikjournalie, freudig aufgenommen von Musikliebhabern. Dass allerdings beinahe gleichzeitig Nirvanas „Nevermind“ erscheint, schmälert die Aufmerksamkeit leider ein wenig. Paradox daran: Beide Alben wurden von Butch Vig produziert. Kein Grund allerdings, die Smashing Pumpkins in die Grunge-Ecke zu verfrachten. Ihr 70er-inspirierter, psychedelischer bis progressiver Alternative Rock passt so gar nicht in dieses Korsett. Die Stücke „I Am One“, „Rhinoceros“, „Daydream“ und „Bury Me“ gab es vor 1991 schon als Demoversionen, sie wurden für „Gish“ allerdings noch mal völlig neu und anders eingespielt. Namenspatronin für das Album war übrigens die Stummfilmdarstellerin Lilian Gish.
Soundgarden – Badmotorfinger
Wie Nirvana stammen auch Soundgarden aus Seattle und können damit ohne Einschränkungen unter dem Label Grunge-Rock geführt werden. „Badmotorfinger“ ist ihr bereits drittes Album und folgt auf das 1988er „Ultramega OK“ sowie „Louder Than Love“ von 1989. Nachdem sich Frontmann Chris Cornell eine Weile mit den späteren Kollegen von Pearl Jam und dem gemeinsamen Projekt Temple Of The Dog beschäftigt hat, erschien im Herbst dieses Werk, das bis heute als härteste Platte Soundgardens gehandelt wird. Soundtechnisch erinnern Soundgarden hier an Vorbilder wie Led Zeppelin und Black Sabbath. Allein die Single „Jesus Christ Post“ sorgt für maximale Aufmerksamkeit, aber auch die Singles „Outshined“ und „Rusty Cage“ tragen sicherlich Verantwortung dafür, dass das Album im Folgejahr in der Kategorie „Best Metal Performance“ für einen Grammy nominiert wird.
U2 – Achtung Baby
1991 sind U2 eigentlich schon ziemlich alte Hasen im Rockbusiness, was die Tatsache, dass sie auch heute noch immer am Start sind, noch besonderer macht. Gegründet 1976 veröffentlichen sie mit „Achtung Baby“ ihr siebtes Album und landen auch mit diesem mehr als nur einen Achtungserfolg. Wieder einmal probiert sich die Band um Bono Vox neu aus und wirft Industrial, Alternative und elektronische Programmierung äußerst gelungen in einen Topf, was eine stilistische Kehrtwende der Band markiert. Kritiker und Fans sind sich ob der Qualität und Wichtigkeit von „Achtung Baby“ einig. Gerade die balladeske Single „One“ sorgt für emotionale Begeisterung und hohe Absatzzahlen. Dem Longplayer folgt die multimedial phänomenale und mit voller Absicht total übertriebene „Zoo TV Tour“, für die die Band ebenfalls neue Wege beschreitet. Allen voran nutzt Bono diese Neufindung zum Aufbau eines ebenfalls frischen Images, das ihn als coolen Rockstar mit scheinbar aufzementierter Sonnenbrille darstellt.
Pearl Jam – Ten
Die Entstehungsgeschichte Pearl Jams hat so manch interessante Wendung zu verzeichnen. Zunächst gründen Stone Gossard und Jeff Ament die Band Green River, aus der sich nach der Trennung Mudhoney und Mother Love Bone ergeben. Als MLB-Sänger Andy Wood nach einer Heroinüberdosis stirbt, veröffentlicht sein Mitbewohner Chris Cornell gemeinsam mit einigen weiteren Musikern das Temple Of The Dog-Album. Während Chris Cornell anschließend weiter mit seiner eigenen Band Soundgarden musiziert, gründen die übrigen TOTD-Männer eben Pearl Jam, zu denen u.a. auch der aus San Diego stammende Sänger Eddie Vedder gehört. Alles klar soweit? „Ten“ ist somit Pearl Jams erstes Album, das sie gleich zu wahren Göttern der Grunge-Geschichte hochstilisiert, ist es doch eines der meist verkaufte Rockalbum aller Zeiten. Zwölf Mal Platin konnten sich Vedder und Co. so an die Wand hängen. Depressionen, Selbstmord und Einsamkeit bilden die inhaltlichen Grundpfeiler dieses emotionalen Werks, aus dem mit „Alive“, „Even Flow“, „Jeremy“ und „Oceans“ gleich vier Erfolgssingles ausgekoppelt werden. Pearl Jam sind übrigens die einzige Band vergangener Grunge-Zeiten, die heute noch aktiv ist.
Red Hot Chili Peppers – Blood Sugar Sex Magik
Crossover kennt in den 90er-Jahren vor allem einen Namen: Red Hot Chili Peppers. Mit ihrem Mix aus Alternative Rock und Funk-Elementen beschreiten die Kalifornier seit ihrer Gründung 1983 neue Wege im sonst eher straighten Rockbusiness und vermögen ein ums andere Mal zu überraschen. „Blood Sugar Sex Magik“ ist das bereits fünfte RHCP-Album in den USA, das Frontman Anthony Kiedis, Bassist Flea und Co. endlich auch in Europa den verdienten Durchbruch verschafft. Maßgeblich dafür verantwortlich ist wohl die – für RHCP-Verhältnisse – recht gefällige Single „Under The Bridge“, die recht hohe Chartplatzierungen erlangt. Damit sind die Red Hot Chili Peppers im Mainstream angekommen, aus dem sie sich seither als auch heute noch aktive Band nicht mehr wegbewegten. Insgesamt gesehen kann man „Blood Sugar Sex Magik“ aber auch heute noch als das beste Album der Band bezeichnen, ohne rot zu werden. Verantwortlich für den reduzierteren, präziseren und damit massentauglicheren Sound ist Produzent Rick Rubin, dem die Band bis heute treu geblieben ist.
Michael Jackson – Dangerous
Das erste, nicht von Quincy Jones sondern Teddy Riley produzierte Album Michael Jacksons brachte es dennoch oder gerade darum auf rund 30 Millionen verkaufte Exemplare weltweit. Ähnlich pompös wie das Cover gestalten sich die Einflüsse auf diesem Album, war es Jackson doch wichtig, modernen R’n’B, HipHop und New Jack Swing in seinen Sound einfließen zu lassen und so zur kommerziellen „Thriller“-Form zurück zu finden. Das gelingt ihm beinahe, verkauft sich „Dangerous“ nicht nur bereits in der ersten Woche rasend schnell, auch befindet es sich heute in der Top 3 seiner erfolgreichsten Alben. Dass es nicht auch noch 1992 an der Spitze der Charts steht, hat es dem Umstand zu verdanken, dass Nirvana „Nevermind“ veröffentlichen und Jackson damit vom Thron stoßen. In Großbritannien landet Jackson mit gleich sieben Auskopplungen einen Top10-Hit, darunter „Heal The World“, „Remember The Time“ und „Black And White“.
Roxette – Joyride
Roxette kann man mögen, muss man aber nicht, dennoch ist ihr Einfluss auf das Popbusiness der 80er- und 90er-Jahre natürlich nicht zu verkennen. Gerade die Nummer „Joyride“ vom gleichnamigen dritten Album erreicht seinerzeit höchste Chartpositionen – Platz 1 in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Schweden und sogar den USA – und ist bis heute auf jeder Retroparty ein Hit. Per Gessle und Marie Fredriksson können in ihren besten Jahren mehr als 70 Millionen Platten absetzen, was eines gewissen Respekts durchaus gebührt. „Joyride“ ist dabei das erfolgreichste Werk der beiden Schweden. Eingängige Popsongs mit packenden Melodien und Texten zum Mitsingen sind das Rezept, das den Erfolg Roxettes vordergründig ausmacht. 2011 erscheint mit „Charm School“ das aktuellste Album des Duos, das man wohl als Comeback bezeichnen kann.
Queen – Innuendo
1991 ist ein tragisches Jahr für Queen und gleichzeitig das Ende einer Ära nach einer 20 Jahre währenden Rock-Karriere. Im Januar erscheint die Single „Innuendo“, das sechseinhalbminütige Titelstück aus dem gleichnamigen 14. Album, das einen Monat später folgt. Schon als die Band im Vorjahr auf eine Tour zum vorangegangenen Studiolongplayer verzichtet und bei den BRIT Awards ein kränklich wirkender Freddy Mercury auf der Bühne steht, gibt dies ausreichend Anlass zur Sorge und Spekulation. 1991 verdichten sich die Gerüchte um eine mögliche AIDS-Erkrankung des Sängers, bis Mercury selbst am 23. November – nachdem er entsprechende Zeitungsmeldungen diesbezüglich immer wieder dementieren ließ – seine Erkrankung bestätigt und schon am nächsten Tag an den Folgen einer Lungenentzündung stirbt. Mercury wird nur 45 Jahre alt. Einen Monat zuvor erscheint noch mit „Greatest Hits II“ die erfolgreichste Sammlung an Queen-Songs überhaupt.