Vier Lehrer wollen der Theorie auf den Grund gehen, dass der Mensch mit zu wenig Alkohol im Blut geboren wird. Um diesen Mangel auszugleichen, greifen die Männer zur Flasche – mit sehr unterschiedlichen Folgen. Vinterbergs Satire schwankt zwischen Dramatik und Frohsinn.
Schlagzeilen machte Thomas Vinterbergs „Der Rausch“ unter anderem bereits als ausländischer Beitrag bei den diesjährigen Oscars. Und tatsächlich konnte der Regisseur, der schon solch fantastische Filme wie „Das Fest“ und „Die Jagd“ hervorbrachte, den Goldjungen mit nach Dänemark nehmen. Dass auch „Der Rausch“ ein großartiger Film geworden ist, hat er unter anderem seinem Lieblingsdarsteller und Allzweckwaffe Mads Mikkelsen zu verdanken, dem für diese Rolle – so unpassend das jetzt gerade auch scheinen mag – sogar seine Tanzausbildung zugutekam. Dazu später mehr.
In den 1990er-Jahren stellte der norwegische Philosoph Finn Skarderund angeblich die Theorie auf, der Mensch sei mit 0,5 Promille Blutalkohol zu wenig geboren worden und am leistungsfähigsten, wenn er diesen – dauerhaft – ausgleiche. Er wollte beobachtet haben, dass Politiker und Künstler in ihren besten und erfolgreichsten Stunden meist angetrunken waren. Einen Selbstversuch unternahm er allerdings nie. Natürlich nicht, denn eigentlich hatte ihm nur ein Journalist die Worte im Mund herumgedreht. Und so mangelte es dieser vermeintlichen These an Untermauerung. Eben dies wollen vier dänische Gymnasiallehrer in der Midlife-Crisis in „Der Rausch“ nachholen.
Wer trinken kann, der kann auch arbeiten
Es gab wohl mal Zeiten, in denen Martin (Mads Mikkelsen) seinem Job als Geschichtslehrer mit Leidenschaft nachging, doch die sind schon länger vorbei. Und nicht nur in der Schule mangelt es ihm an Begeisterungsfähigkeit, auch in seiner Ehe herrscht nahezu tote Hose. Als einer seiner drei Freunde und Arbeitskollegen bei einer feucht-fröhlichen Geburtstagsrunde von Skarderunds Theorie erzählt, ist die Idee, dessen ausgelassenes Experiment an sich selbst zu vollziehen, rasch geboren. Vom folgenden Tag an verlässt keiner der vier mehr ohne eine Flasche Wodka und ein Alkoholmessgerät in der Aktentasche sein Zuhause. Ziel ist es, morgendlich einen Pegel von 0,5 Promille zu erreichen und diesen während der Arbeitszeit zu halten. Am Abend und an den Wochenenden darf pausiert werden. Muss aber nicht. Die Wirkung des Alkohols lässt nicht lange auf sich warten und treibt die unterschiedlichsten Blüten …
Vinterberg erzählt die Geschichte vom kontrollierten Trinken mit aller Radikalität, doch auch mit jeder Menge Leichtigkeit, feinfühligem Humor sowie in rauschhaften Bildern vom norwegischen Kameramann Sturla Brandth Grøvlen. In „Der Rausch“ wird der Exzess zelebriert, ohne dass man sich das selbst schön trinken muss. Wer dem Alkohol nicht vollkommen entsagt hat, der kennt diese leicht angeduselten Momente, in denen alles ein bisschen bunter, freier und witziger erscheint. Aber er kennt auch die, in denen der – hier angestrebte – Grundpegel überschritten wird und welche Folgen das schon mal haben kann.
Der Kater nach dem Rausch
Beobachtet man Martins Verwandlung, die ihn über sich selbst und seinen Frust hinauswachsen und im Ansehen seiner Schüler steigen lässt, stellt sich schnell die Frage, ob ein bisschen Alkohol nicht auch im eigenen Wirken tatsächlich eine Lösung sein könnte. Doch lässt Vinterberg auch den Kater nach dem Rausch nicht gänzlich links liegen, ebenso wenig wie die langfristigen Folgen des regelmäßigen Alkoholkonsums jenseits der 0,5 Promille. Vinterberg und sein Co-Autor Tobias Lindholm wollten ursprünglich nur den Rausch feiern, entschieden sich aber, – vielleicht aus Verantwortungsbewusstsein – seine dunklen Seiten nicht auszusparen.
Am Ende macht der Alkohol keinen der vier Männer langfristig zu einem besseren oder zufriedeneren Menschen. Jedoch verschafft Thomas Vinterberg seinem betrunkenen Hauptprotagonisten und dem – womöglich nüchternen – Zuschauer zum Finale einen absoluten Höhenflug mit beeindruckender Tanzeinlage und spült so jeden aufkeimenden Zweifel an den Vorzügen eines gepflegten Alkoholkonsums die Kehle hinunter.