Die Fantastischen Vier: „‚Long Player‘ ist ein sehr egozentrisches Album“

Die Fantastischen Vier: „‚Long Player‘ ist ein sehr egozentrisches Album“

Mit „Long Player“ unternehmen Die Fantastischen Vier eine Reise in ihre musikalische Vergangenheit, gewähren aber auch einen Blick in ihre Gegenwart und schauen in die Zukunft. Im Interview spricht Michi Beck mit ntv.de unter anderem über das Älterwerden an sich und das Leben als „alter weißer Mann“.

Sechs Jahre sind seit „Captain Fantastic“ vergangen, nun steht mit „Long Player“ das neue und damit elfte Studioalbum der Fantastischen Vier in den Plattenregalen. In ganzen 16 Songs nehmen Michi Beck, Smudo, Thomas D und Andy Ypsilon ihre Zuhörer mit auf eine Reise durch ihre inzwischen 35 Jahre währende Vergangenheit zwischen Hip Hop, Pop und Soul, gewähren einen Blick in ihre ganz persönliche Gegenwart und werfen einen weiteren in die Zukunft. Vorgestellt haben sie diese kürzlich auch live bei einer RTL+ Session, die ab sofort abrufbar ist.

Im Interview mit ntv.de spricht Michi Beck über den egozentrischen Ansatz des neuen Albums, das Älterwerden und die neuen Themen, die damit einhergehen, sowie das Leben als „alter weißer Mann“ mit zwei Töchtern.

ntv.de: Euer Album ist seit Freitag auf dem Markt und damit auch die ersten Kritiken und Kommentare. Lest ihr die überhaupt noch oder habt ihr das drangegeben?

Michi Beck: Ich glaube, ich habe so 15 Kritiken gelesen, 14 davon waren gut, eine richtig schlecht. Und diese eine schlechte Kritik bleibt dann auch hängen. Die ganzen Guten zählen irgendwie nichts, nur die eine Schlechte bleibt im Kopf.

Ich ahne, welche das ist. Für mich klang es fast so, als wäre es was Persönliches … eine Art Abrechnung.

Ja, irgendwie schon. (lacht) Ich habe mich dann damit gerettet, dass wir immerhin vier von zehn Punkten bekommen haben und Coldplay nur einen. Also immer noch besser als Coldplay! Damit habe ich mir gesagt, es ist womöglich einfach nicht sein Stil. Ich habe mir dann die Charts des Kritikers angesehen, die sind ziemlich undergroundig. Vielleicht ist er jemand, der an seinem Klientel vorbeischreibt. Und wenn jemand so anders denkt und unser Album schlecht bewertet, dann ist das vielleicht ein kleiner Erfolgsgarant. So habe ich mir das schöngeredet. (lacht)

Ein anderer Journalist hat über das neue Coldplay-Album geschrieben, es sei „beste Musik für Leute, die sich nicht für Musik interessieren“.

Ja, genau, das ist nachvollziehbar. Coldplay stören ja auch nicht wirklich. Ich wollte mir ihr neues Album komplett anhören, als es rauskam. Ich war morgens im Gym, auf dem Stepper, und habe die ersten zwei Songs geschafft. Aber dann fand ich es echt langweilig und hab stattdessen unser eigenes Album gehört. Das fühlt sich anders an, wenn du es öffentlich hörst, auch wenn es genau das Gleiche ist. Es ist komisch, es klingt zwar gleich, aber es hat sich irgendwie anders angefühlt, es aus dieser öffentlichen Perspektive zu streamen.

Sechs Jahre sind vergangen seit „Captain Fantastic“. Dazwischen war Corona, okay, aber das kann nicht der einzige Grund für die lange Pause sein, oder? Denn auch ohne Pandemie sind es gut vier Jahre.

Schön, dass du diese Jahre abziehst. Viele Leute meinen, dass Corona doch die beste Zeit gewesen sei, um Musik zu machen. Man konnte sich einschließen und wurde nicht gestört. Aber es war das genaue Gegenteil! Es war Horror. Ich kenne zwar ein paar Produzenten, die das genutzt haben, aber für uns war das nichts. Wir hatten unsere „30 Jahre“-Stadiontour geplant, und während der Tour hätten wir auch nicht produzieren können. Wir können weder im Lockdown noch auf Tour ein Album machen.

Das heißt, ihr habt vor der Pandemie angefangen und dann kam Corona dazwischen?

Es gab ein paar Entwürfe und auch Ideen vom letzten Album. Im Lockdown habe ich tatsächlich zwei Songs geschrieben. Ich war in unserem Ferienhaus in Spanien eingeschlossen, da durfte man ja gar nicht raus. Einer der Songs handelt von Angst und wurde zu „Wiedersehen“. Auch „Weekendfeeling“ und „44.000“ entstanden in der Zeit. Es war also nicht völlig unproduktiv, aber es war definitiv nicht die beste Zeit.

Am Ende sind es 16 Songs geworden. In einer Kritik, ich glaube, es war die bereits erwähnte, stand, das Album sei zu lang. Wie undankbar ist das denn?

Das fand ich eigentlich ganz süß, weil es ja für uns das Schönste ist, wenn sich jemand das Album komplett anhört. Wir stellen es so zusammen, dass es wie eine Reise wirkt: Am Anfang kommen die Banger, dann gibt es eine Zäsur, und zum Schluss geht es mehr in die psychedelische Richtung. Dieser Kritiker hat es sich offenbar ganz angehört, aber war wohl auch etwas gelangweilt. Interessanterweise hat er die Sachen, die in der zweiten Hälfte des Albums kommen, besser bewertet. Da dachte ich mir: Vielleicht fand er es gar nicht so schlecht, wie er geschrieben hat. Genau das wollten wir doch erreichen – ein Album, das man von vorne bis hinten durchhört. Und es ist gar nicht so lang, nur etwa 48 Minuten. Früher hatten wir Alben mit 12 oder 13 Tracks, die über eine Stunde gingen. Wir haben die Songs einfach kürzer gemacht. Es gibt heute meistens nur noch zwei Strophen statt drei.

Heute haben die Leute eben keine Zeit mehr …

… vor allem beim Musikhören. Alles muss sofort passieren, und viele Songs fangen direkt mit dem Refrain an, weil man sonst die Hörer verliert. Dieses Streaminghören funktioniert einfach komplett anders. Wie du schon sagst, es ist schön, wenn jemand das Album durchhört, aber es ist kein Muss. Man muss es nicht tun, es ist einfach eine Option, die wir anbieten.

Apropos Zeit: Ein großes Thema auf eurem Album ist die Vergänglichkeit. Ihr seid jetzt Mitte 50. Denkt man da öfter darüber nach, was noch kommt?

Völlig richtig, das ist genau das, was uns auf dem Album beschäftigt. Es ist ein sehr reflektiertes Album geworden, das sich mit dem Leben auseinandersetzt. Man könnte sagen, es ist eine Art Altersvorsorge. Es hat viel damit zu tun, dass der Blick zurück inzwischen länger ist als der Blick nach vorn, was ein merkwürdiges Gefühl ist. Dazu kommt die Frage, wie man als Rapper in der heutigen Zeit Musik macht und über was man schreibt, vor allem in einer Welt, die so stark von Krisen und Kriegen geprägt ist.

Die ihr aber nicht thematisiert …

Wir hätten natürlich Antikriegssongs oder politische Texte schreiben können, aber das hätte sich für uns zu sehr wie eine Verpflichtung angefühlt. Wir wollten nicht das Gefühl haben, dass wir das tun müssen, nur weil die Welt gerade so schlecht aussieht. Das hätte uns noch mehr gelähmt, wo es uns ohnehin manchmal schwerfällt, Texte zu schreiben. Also haben wir einfach drauflos geschrieben, und das Ergebnis ist ein Album, das sich thematisch mit Zeit, Vergänglichkeit, Erinnerungen, Beziehungen und persönlichen Erfahrungen beschäftigt. Es ist ein sehr egozentrisches Album – aber das passt auch, denn Rap ist von Natur aus egozentrisch. Nur eben mit einem etwas anderen, vielleicht Anti-Poser-Ansatz, als man ihn heute von Rap erwartet.

Das Gute ist, dass eure Fans sich in den Texten wiederfinden, weil sie in der gleichen Phase ihres Lebens sind. Und die Jüngeren können sich mit euch auf das vorbereiten, was noch kommt.

Ich weiß gar nicht, ob das bei den Kids so ankommt. Es ist ja so: In unserem Alter nimmt man solche Themen ganz anders wahr als mit 13. Für die Jüngeren ist das, worüber wir sprechen, wahrscheinlich kaum greifbar, sie fragen sich vielleicht: „Worüber reden die eigentlich?“ Aber gerade das könnte auch faszinierend für sie sein. Was dabei wichtig ist, ist die Authentizität. Es muss echt wirken, nicht verstellt, und darf nicht in platte Phrasen abdriften. Dass die „Realness“ rüberkommt, ist das, was zählt.

Und dann habt ihr ausgerechnet den Titeltrack zum Film „Alter weißer Mann“ von Simon Verhoeven und mit Jan Josef Liefers gemacht. Wie kam es dazu?

Es war so, dass sie bei uns angefragt haben, wie es mit Musik aussieht, weil sie diesen Film hatten. Ich denke, es hat auch mitgespielt, dass wir eben vier „alte weiße Männer“ sind, was zum Thema passt. Sie haben dann unser ganzes Album bekommen und sich den Track „Weekendfeeling“ ausgesucht. Simon Verhoeven, der Regisseur, kam vorbei und hat uns total begeistert erzählt, wie gut der Song zum Film passt. Alles, was ich bisher gesehen habe, waren die Trailer. Das Lustige ist, dass der Song ursprünglich während Corona entstanden ist. Damals ging es uns einfach darum, wieder Leute treffen zu können, auf Partys zu gehen und auszugehen. Das waren noch sehr „Corona-mäßige“ Zeilen, aber in diesem Filmkontext bekommt der Song plötzlich eine ganz andere Bedeutung.

In „Fliegen“ erwähnst du deine beiden Töchter. Helfen sie dir dabei, eben kein klassischer „alter weißer Mann“ zu werden, sondern am Puls der Zeit und für alles offen zu bleiben?

Du läufst da ja direkt in die Coolness-Polizei rein – meine Töchter sind tatsächlich ein guter Schutz davor, zu einem bornierten Typen zu werden, der auf cool macht. Es gibt beispielsweise Sachen, die man ab einem gewissen Alter einfach nicht mehr sagen sollte. Aber ich mache mir da keine Sorgen. In unserem Frauenhaushalt unterliege ich gewissen Restriktionen, die definitiv gut für mich sind.

Hören sich die zwei die neuen Songs an?

Sie sind gesund desinteressiert an der neuen Platte. Früher lief unsere Musik bei ihnen noch öfter, aber jetzt nicht mehr. Sie hören sich das einmal an und dann war’s das. Sie haben einfach ihren eigenen Musikgeschmack.

Ihr habt den Weg bereitet für das, was heute gemeinhin als Deutschrap bezeichnet wird. Habt ihr ein Auge darauf, was in dem Genre so passiert?

Eine Zeit lang fand ich Luciano richtig cool, weil er es geschafft hat, mit seiner Art zu rappen und den fetten Beats diesen Schritt in die Internationalität zu machen. Ich habe dann auch kurz gedacht: „Hey, mach doch auch mal so einen Bass oder so einen Beat.“ Aber schnell gemerkt, dass es sich total falsch anfühlen würde. Es wäre nur nachgemacht. So haben wir ja vor 35 Jahren auch angefangen, indem wir amerikanischen Hip Hop kopiert haben, bis wir uns dann selbst gefunden haben. Ab da sind wir eher parallel zum Hip-Hop-Geschehen gelaufen, haben immer unser eigenes Ding gemacht und uns nie so richtig als Teil der Hip-Hop-Szene verstanden – eher als Alternative- oder Pop-Rap-Act.

Also findet keine bewusste oder unbewusste Beeinflussung aus der Richtung statt?

Vielleicht hat es uns beim letzten Album noch ein bisschen beeinflusst, da gab es ja diese Doubletime-Rap-Beats und die Trap-Nummer, wie sie in den letzten sechs bis acht Jahren groß wurden. Aber jetzt wissen wir, dass die anderen das einfach besser können als wir. Es wäre verstellt, wenn wir das jetzt ausprobieren würden. Deshalb ist das neue Album oldschooliger geworden. Wir haben uns gesagt: Wir müssen weder musikalisch noch inhaltlich irgendetwas erfüllen. Wir müssen nicht über Krieg oder Ungerechtigkeit rappen, auch wenn uns diese Themen persönlich beschäftigen. Wir machen einfach das, was uns am besten von der Hand geht – musikalisch und textlich. So ist die Platte geworden, wie sie ist.

Ihr habt für drei Songs auf dem Album mit den Berliner Psychedelic-Rockband Kadavar zusammengearbeitet. Das ist jetzt erstmal überraschend. Wie kam denn diese Zusammenarbeit zustande?

Unser gemeinsamer Fotograf hat uns vorgestellt. Wir haben Kadavar dann einfach mal getroffen, weil Psychedelic – ob elektronisch oder Rock – schon seit unserer dritten Platte „Die Vierte Dimension“ eine unserer favorisierten Musikrichtungen ist. Das spiegelt auch uns wider. Also haben wir zusammen ein bisschen rumgedaddelt und waren zweimal bei ihnen im Studio in Neukölln. Dabei sind die ersten Layouts entstanden, die dann allerdings zwei oder drei Jahre liegen geblieben sind. Ursprünglich dachten wir sogar darüber nach, ein ganzes Konzeptalbum mit Kadaver zu machen, weil wir die so geil fanden. Wir haben uns schon gefreut, dass wir so richtig rocken können.

Klingt ziemlich ambitioniert …

Allerdings. Wir haben dann auch gemerkt, dass das doch zu viel verlangt wäre – sowohl von uns als auch von ihnen. Das Konzept hätte sich wahrscheinlich irgendwann totgelaufen. Wir haben sowieso nie ein Konzeptalbum hinbekommen, obwohl wir es öfter versucht haben. Es gibt einfach zu viele verschiedene Einflüsse, die auf ein Album müssen, und nur Kadavar als Produzenten hätten das nicht alles abdecken können. Deswegen gibt es jetzt quasi eine „Kadavar-Seite“ auf dem Album. Wenn du die Vinyls anschaust, ist die letzte Seite fast komplett von Kadavar.

Und wie ist es, nach so langer Zeit nun wieder auf Tour zu gehen?

Ein neues Programm zu spielen, das ist es! Endlich, nach verdammten fünf Jahren. Es war zwar immer schön, aber nach so einer langen Zeit – und das letzte Album liegt ja auch schon sechs Jahre zurück – will man einfach wieder etwas Neues machen. Darauf freuen wir uns natürlich: neue Bühnenshow, neues Konzept, neues Album. Mit der Zeit schleicht sich so ein Automatismus in die Setlist ein, wenn man kein neues Material hat. Jetzt aber alles neu zusammenzustellen und alte Songs wieder aufzufrischen, das macht richtig Spaß. Wir haben so viele Hits, dass wie wieder einige neue Mash-ups machen müssen, um alles unterzubringen.

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