Example – Inhalt statt Plattitüde

Example – Inhalt statt Plattitüde

Example wer? Was bei uns in Deutschland noch Fragen aufwirft, ist bei den Nachbarn im Vereinigten Königreich längst das neue Musikphänomen schlechthin. Elliot John Gleave ist so britisch, wie sein Name vermuten lässt. Und auch mit seiner Mischung aus HipHop, Rave, Electro, Dubstep, Pop und Rock rennt er aktuell in seinem Heimatland offene Türen ein.

Dort ist er unlängst so etwas wie ein Superstar. Dass dies nicht nur eine lahme Behauptung seines neuen Labels Universal ist, um uns diesen Künstler für ein Interview unterzujubeln, wird bereits beim Blick auf Elliots bisherigen Werdegang klar. Immerhin konnte er schon mit seinem 2010 erschienenen zweiten Album „Won’t Go Quietly“ Musikfans in Großbritannien von sich überzeugen, gelang ihm der ganz große Coup auch erst diesen Sommer mit der Single „Changed The Way You Kiss Me“, die es im Juni auf Platz eins der britischen Sales Charts schaffte. Nun legt Elliot aka Example im Oktober mit „Playing In The Shadows“ das dazugehörige neue Album vor und möchte spätestens hiermit auch die deutsche Musiklandschaft und den Rest Europas erobern.

Wie angesagt Example gerade wirklich ist, können wir an einem Mittwochabend im August auf Ibiza erleben. Hier spielt der Londoner zum dritten Mal seit 2009 im Rahmen der Live-Reihe Ibiza Rocks. Während er die letzten zwei Jahre das Vorprogramm von Dizzie Rascal und Calvin Harris bestritt, ist er 2011 nun erstmalig als Headliner gebucht. Und die Fans strömen in Scharen ins Ibiza Rocks Hotel in San Antonio, um für 40 Euro dabei zu sein, wenn Elliot eine Stunde lang die Hits des alten, aber auch fünf Songs des kommenden Albums performt. Durchweg britische Fans sind es, das ist unverkennbar. Hier mag man mich der Voreingenommenheit schelten, aber den auf Ibiza urlaubenden Briten an sich erkennt man schon auf einige Meter Entfernung, neigt er in der Sonne Spaniens doch dazu, schnell die Farbe eines Granatapfels anzunehmen, nichtsdestotrotz aber auch im Rahmen der hipperen Abendgestsaltung mit freiem Oberkörper durch die Gassen San Antonios zu torkeln. Natürlich hat er doch wie an jedem Tag seines Jahresurlaubs jenseits britischer Sperrstunden einen über den Durst getrunken. Das überwiegend recht junge, weibliche Publikum hingegen gibt sich alle erdenkliche Mühe, in Sachen Styling gehörig etwas her zu machen, was allerdings aufgrund körperlicher Unzulänglichkeiten und/oder nur geringer Stilsicherheit gelegentlich misslingt. Auch hier ist man dem Alkohol nicht abgeneigt. Und so ist die Menge nach dem vorangegangenen und gefeierten Auftritt von Sub Focus feat. DJ Yasmin und dem DJ-Set von Doorly bereits in bester Stimmung, als um 22:45 Uhr Example samt Band ins Scheinwerferlicht tritt. Was sich dann dort vor der Bühne abspielt, ist für jemanden, dem der Künstler zuvor nicht wirklich ein Begriff war, nahezu unglaublich. Hunderte junger Menschen hüpfen die vollen 60 Minuten auf und ab, nehmen die Arme lediglich zwischendurch mal runter, um an ihrem inzwischen ohnehin leeren Plastikbecher zu nippen und können jeden, wirklich jeden Song zumindest im Refrain mitsingen. Das gilt übrigens auch für die neuen Stücke des kommenden Albums, die es bisher nur als kurzes Preview bei iTunes zu hören gibt. Elliot selbst steht – wenig glamourös für einen „Popstar“ – in Sneakers, Jeans und Adidas-Shirt ebenfalls nicht eine Sekunde lang still, nutzt die Bühne von vorne nach hinten wie von rechts nach links aus und gibt den Takt vor. Die Masse folgt ihm. Ein bisschen fragt man sich schon was es ist, dass ausgerechnet ihn zum neuen Publikumsmagneten macht, denn wie ein solcher sieht er erst einmal nicht aus. Am Ende ist es tatsächlich in erster Instanz dann doch die Musik, die die Leute begeistert. Seine Art, kritische Texte mit tanzbaren Beats zu kombinieren und sich so von den üblichen club- und chartaffinen Acts abzuheben. Anders zu sein heißt nicht immer automatisch, auch besonders oder gar gut zu sein, im Falle von Example trifft es aber durchaus zu. Er ist einer von ihnen, versteht sie, nimmt sich in einen Lyrics ihrer Probleme an, betrachtet die Welt aus einem recht kritischen Blickwinkel, setzt dies aber musikalisch um, ohne auf die Tränendrüse zu drücken oder andere Sentimentalitätsgaranten einzusetzen.

Wir treffen Elliot noch zu einem kurzen Kennenlernen an diesem Abend und verabreden uns mit ihm am darauffolgenden Tag zum Interview im At Pikes Hotel, der zweiten und doch weitaus exklusiveren Ibiza Rocks-Unterkunft. Während das Hotel nahe des Zentrums von San Antonio, Austragungsort der Events selbst, eher wie eine billige Absteige für junge, trinkfreudige Briten wirkt, ist das Pikes ein alteingesessenes Haus, das bereits seit vielen Jahrzehnten jeden Sommer so manchen Promi in hippieskem Ambiente begrüßen darf. An der Wand der Rezeption hängen sie in Form von Fotos – von Carl Cox über Erick Morillo und Roger Sanchez bis David Morales. Sicherlich nicht ganz grundlos liegt die Finca etwas versteckt abseits der Stadt im Landesinneren, gesäumt von verdorrten Feldern und über den holprigen Zugangsweg wirklich nur für Eingeweihte zu finden. Und diese Eingeweihten sind in erster Linie besagte Promis oder andere Bessergestellte. Man ist eben gerne unter sich. So einer ist Elliot John Gleave allerdings nicht. Im Gegenteil, sitzt er doch im weißen Unterhemd und Jeanshorts um 14 Uhr beim späten Frühstück, immerhin hat man noch bei der Aftershowparty in der Nacht zuvor im Es Paradis bis acht Uhr morgens das eine oder andere Glas gehoben. Dafür geht’s, aber der Mann ist ja auch erst 29, da kann man das wohl erwarten. Ein wenig gezeichnet von der Nacht, aber immer noch sichtlich begeistert von den Umständen seines Auftritts am Vorabend, meint er: „Es ist schon was ganz anderes, Headliner zu sein, dann bekommst du die volle Lightshow, den kompletten, fetten Sound und eine ganze Stunde Zeit“. Dennoch möchte er die beiden Vorjahre keinesfalls missen: „Viele Leute kommen aus dem Nichts und stehen direkt als Headliner auf der Bühne. Ich dagegen kannte das Event nun schon als Support-Act, und durch die Entwicklung in den drei Jahren fühlt es sicher eher wie ein echter Erfolg, eine echte Leistung an, nun der Main-Act zu sein.“ Dass wirklich jeder Gast nahezu alle Songtexte mitsingen konnte, hat auch Elliot selbst überrascht. „Klar, dass einige Leute einige Songs auswendig kennen, das ist üblich. Aber gestern waren es beinahe alle. Das war schon besonders.“ Auch Ibiza selbst ist für den Briten ein spezieller Ort, und das war er schon vor dem gestrigen Bühnenerlebnis. „Ich mache Dance Music, und Ibiza ist nach wie vor der wichtigste Ort für einen Künstler dieses Genres. Weltweit. Hier werden alle neuen Songs getestet, es spielen die größten DJs der Erde an diesem Ort. Du kannst hier wahnsinnige Kontakte knüpfen. Als ich vor zwei Jahren her kam, hat Tiësto den Remix zu einem meiner Songs gespielt, und er ist nun mal einer bekanntesten DJs überhaupt. Plötzlich machst du dann Songs MIT den DJs, wie in meinem Fall Laidback Luke, Chase & Status oder Faithless, die du zuvor noch bewundert hast. Diese Kontakte stellst du in erster Linie hier her.“ Aber es gab auch eine Zeit, in der Elliot als normaler Urlauber die Insel besuchte. „2005 war ich zum ersten Mal hier und war bei meiner ersten Ibiza Rocks-Veranstaltung. Das war damals noch im Privilege, und Faithless waren Headliner. Ich war seinerzeit ein echter Raver“, lacht er und wundert sich einmal mehr, dass er fünf Jahre später mit seinen einstigen Helden Songs produziert. „Ibiza hat seine ganze eigene, spezielle Energie, die man schon spürt, sobald man mit dem Flugzeug hier landet. Das Wetter, die Klamotten, die Frauen, die Partys, die Musik, die Drogen … All das sind Dinge, wegen denen die Menschen schon so lange hierher kommen, und ich glaube, dass wird sich auch nie ändern. Früher ging es auf Ibiza nur um House, mittlerweile findet hier von Drum’n’Bass bis Dubstep und Live-Musik alles statt. Sogar eine Menge HipHop-Musiker aus England spielen hier.“ Trotz des Vibes und der Ereignisse des Vorabends hat Elliot auf die Frage nach seinem Festival-Highlight 2011 doch eine ganz andere Antwort parat: „Glastonbury.“ Dies begründet sich nicht ausschließlich auf den legendären Status, den dieses Festival in England inne hat. „Meine Eltern waren dort, um mich zu sehen, und obwohl wir zur selben Zeit wie U2 gespielt haben, war das Zelt voll. Es war natürlich toll für meine Eltern, das zu erleben. Der letzte Gig, den mein Dad gesehen hat – meine Eltern wohnen inzwischen in Australien – liegt zwei Jahre zurück. Damals bin ich vor 200 Leuten aufgetreten. Jetzt waren es 20.000.“ Spätestens jetzt dürften auch Mr. und Mrs. Gleave davon überzeugt sein, dass die Berufswahl ihres Sohnes eine gute war. Dabei hat es eine Weile gedauert, bis bei Elliot die Entscheidung pro Musik überhaupt fiel. „Mein Vater hat mich immer unterstützt. Eigentlich wollte er allerdings, dass ich Banker werde, weil ich immer sehr gut in Mathe war. Ich kann auch heute noch gut mit Zahlen umgehen. Aber ich war auch schon immer sehr kreativ in Sachen Schauspielerei, Musik, Grafik … Daher hat er nur zu mir gesagt: ‚Was auch immer tu tust, versuche stets, der Beste darin zu sein.‘ Als ich mit dem Musikmachen anfing, meinte er, dass ich keine Ahnung hätte, wie schwer dieses Business sei. Und er hatte absolut recht. Die ersten vier oder fünf Jahre habe ich nicht einen Cent verdient. Ich habe noch Geld verloren. Jedes Jahr. Erst die letzten drei Jahre habe ich etwas damit verdient.“ Hoffentlich mehr als er seinerzeit verlor, doch darüber schweigt er sich lieber aus. Dabei waren seine beruflichen Ambitionen einst andere, studierte der Anfang seiner 20er-Jahre noch Film mit dem Ziel, Regisseur zu werden. „Ich habe außerdem als Redakteur für eine MTV-Comedy-Show gearbeitet, und dann habe ich nebenbei angefangen, Musik zu machen. Plötzlich lief einer meiner Songs im Radio, es war also eher ein Unfall. Es war nie mein Plan, Sänger oder Rapper zu werden. Ich bin immer davon ausgegangen, dass mich niemals jemand als ‚Star‘ akzeptieren würde.“ Aus dem einstigen ‚Unfall‘ wurde erst eine Leidenschaft, dann schließlich ein Lebensinhalt. Eine Entwicklung, die sich nun auszuzahlen scheint. Grund hierfür ist sicherlich der Umstand, dass er musikalisch keine Grenzen kennt und äußerst breitgefächert aufgestellt ist. Seine Wurzeln liegen einerseits ganz klar hörbar im HipHop, und so war auch sein erstes Album 2007, „What We Made“, von dem es gerade einmal 10.000 Kopien gab, ein reines Rap-Album. Mit Beats und Samples unterlegte Lyrics des damals 25-Jährigen. Andererseits jedoch hat ihn Grunge in den 90ern maßgeblich geprägt. Im pubertären Alter von 14 etwa entdeckte er Bands wie Nirvana und Pearl Jam für sich. Eines ist aus dieser Zeit hängengeblieben, und das ist die Art, mit den Texten zu seinen Songs umzugehen. Inhalte zu schaffen, anstatt auf sinnlose Partyplattitüden zu setzen, das ist ihm wichtig.

Mehr dazu und zum im Oktober erscheinenden Album „Playing In The Shadows“ erfahrt im zweiten Teil unseres Interviews in der kommenden Ausgabe. Stay tuned …

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