Brighton gilt nicht nur als eines der schönsten Seebäder Englands, auch Sprachschüler aus aller Welt bereisen die nur eine Zugstunde von der Hektik Londons entfernte Stadt an der Südküste Jahr für Jahr, um hier ihre Englischkentnisse aufzubessern. Der Ort, der mittlerweile als zentraler Anlaufpunkt für trendige Briten gilt, war noch vor rund 200 Jahren ein kleines Fischerdorf, das erst Ende des 18. Jahrhunderts von dem Prince Of Wales als mondänes Seebad erschlossen wurde.
Mittlerweile ist Brighton eine Universitätsstadt, in der es vor Studenten, Künstlern und Schriftstellern nur so wimmelt. So sollen auch diverse Größen des Musikbiz wie Paul McCartney oder Ex-Spice-Girl Emma Bunton sich hier niedergelassen bzw. ihr Feriendomizil aufgeschlagen haben. Einer, der hier schon sein Leben lang für die Musik lebt und arbeitet ist Norman Cook aka Fatboy Slim. In seiner Heimatstadt ist der 42-Jährige spätestens seit dem von ihm veranstalteten Megaevent Big Beach Boutique, bei dem vor zwei Jahren 250.000 verrückte Fans das 154.000-Einwohner-Städtchen überfielen und das Strandstück zwischen den zwei Piers in eine alle Erwartungen übertreffende Partyzone verwandelten, bekannt wie ein bunter Hund. Am westlichen Ende der Stadt, dort wo sich nur wenig weiter ein Industriegebiet erstreckt, hat sich der Funksoul Brother gleich zwei Häuser mit direktem Zugang zum Kiesstrand zugelegt, eines zum Leben und Wohnen und direkt daneben ein Arbeitsdomizil.
Hier empfängt uns der Mann, der mit Tracks wie „Sunset (Bird Of Prey)“, „Star 69“ oder „The Rockafeller Skank“ Musikgeschichte schrieb und den Dance salonfähig machte, zum Interview. Der Zeitplan ist eng gestrickt, denn auch andere Journalisten sind daran interessiert, sich mit dem Ausnahmekünstler über sein am 4. Oktober auf Skint erscheinendes Album „Palookaville“ zu unterhalten. Der neue Longplayer wirft schließlich einige Fragen auf, denn hierauf sind kaum mehr gewohnt clubkompatible Nummern zu hören. Vielmehr hat sich Mr. Cook auf ‚echte’ Instrumente, organische Sounds, viele Vocals und Elemente aus Rock und HipHop konzentriert. Mitgearbeitet an dem Werk haben Freund und Blur-Frontman Damon Albarn, Bootsy Collins, Rapper Lateef, DJ Justin Robertson und die Brightoner Rockband Johnny Quality. Schon im Vorfeld war mehr als einmal zu lesen, dass Fatboy Slim genervt und gelangweilt von der derzeitigen Danceszene sei und sich in Zukunft zumindest in seinen Produktionen anderen Dingen widmen wolle.
Der Sache wollte Raveline auf den Grund gehen und bekam dafür gerade einmal eine knappe halbe Stunde Zeit. Als wir Norman Cook treffen, wirkt er ein wenig unsicher, und ihm ist deutlich anzumerken, dass Medienrummel nicht so sein Ding ist. Zwar dürfte ihm klar sein, dass ohne Promotion nichts läuft, doch so richtig wohl fühlt er sich in der Situation nicht. Als nach einigen Minuten das Eis zumindest ein wenig geschmolzen ist, dürfen wir erstmal einen Blick in sein im ersten Stock gelegenes Studio werfen. Hier jedoch finden wir nicht etwa ein großes High-Tech-Universum vor, sondern eher ein vom Chaos regiertes Ein-Mann-Studio mit nur dem nötigsten Equipment. An der Wand hängen Fotos von seiner Frau Zoe Ball, einer in England bekannten Fernsehmoderatorin, ihrem gemeinsamen Sohn und Meg Ryan. Eine gewisse Ähnlichkeit zwischen Meg und Zoe ist nicht von der Hand zu weisen, doch dürfte Normans Aussage, er habe Zoe nur geheiratet, weil Meg gerade nicht zur Verfügung stand, sicher nicht ganz ernst gemeint gewesen sein.
Wir nehmen in dem an das Studio grenzenden Wohnraum Platz, und während hinter uns das Meer rauscht, starten wir mit unserem Verhör. Vier Jahre sind seit der Veröffentlichung von „Halfway Between The Gutters And The Stars“ vergangen, und eigentlich hätte so mancher schon im vergangenen Jahr mit dem Nachfolger gerechnet. Doch dass die ganze Geschichte so lange gedauert hat, hat auch seine Gründe, erklärt uns der Chef des Dancelabels Southern Fried recht schlüssig. „Im Grunde habe ich es gar nicht großartig anders geplant, allerdings sind auch einige Dinge passiert, die das Ganze verzögert haben. Nach dem letzten Album war ich ja erstmal eine Weile unterwegs, um es zu promoten, das ist ja so üblich. Also brauchte ich anschließend erstmal einen Break. Vor zwei Jahren war ich dann soweit, mich wieder an die Arbeit zu machen. Zu dieser Zeit brach jedoch dieses ganze Dance-Ding um mich herum zusammen. Viele britische Clubs mussten schließen, und vielerorts hieß es, Dancemusic sei tot. Sie ist nicht wirklich tot, aber es muss dringend etwas geschehen, das sie aus ihrem Schlaf erweckt. Auch privat tat sich einiges, das die Produktion verzögerte, denn ich hatte mit einigen Eheproblemen zu kämpfen. Zu diesem Zeitpunkt musste ich mir überlegen, was ich wollte, produzieren oder meine Ehe retten. Ich habe mich für Letzteres entschieden. So wurde die mir selbst auferlegte Pause länger als geplant. Normalerweise sollten etwa drei Jahre zwischen zwei Alben liegen, ein Jahr Promotour, ein Jahr Pause zur Ideenfindung und ein Jahr für die Produktion des Nachfolgers.“
Dabei heraus gekommen ist ein Album, das sich ganz klar vom Dance entfernt hat. Stellt sich die Frage, ob sich das einfach so ergeben hat oder ob Norman damit ein klares Statement gegen die ganze Szene abgeben wollte. „In den vergangenen Jahren haben in England sämtliche Superclubs geschlossen, im Rest der Welt ist es teilweise auch schon so oder wird sich dahin entwickeln. Es gab hier ohnhin nur einige große Clubs, immer wieder die selben Top-DJs, die eine Menge Geld verlangten, das am Ende keiner mehr bezahlen konnte. Auch die großen britischen Dancemagzine wie Ministry oder Muzik gibt es mittlerweile nicht mehr. Dance ist nicht tot sondern entwickelt sich vielmehr wieder zurück in den Underground. Heute gibt es doch kaum noch große Hymnen wie einst, es müsste mal wieder etwas wie Daft Punk damals geben, die der ganzen Szene einen riesen Sprung nach vorne verschafft haben. Bis es soweit ist bin ich froh darüber, dass ich auch noch eine andere musikalische Seite habe, die sich mit Rock und Pop beschäftigt. ‚Palookaville’ basiert immer noch auf Dance, aber es ist keine Clubscheibe. Das Album kannst du besser beim Autofahren oder beim BBQ hören. Aus einigen Tracks kann man sicher auch Dancenummern machen, aber eben nicht aus allen. Vor zwei oder drei Jahren wollte noch jeder Teenager ein Paar Technics zu Weihnachten haben. In diesem Jahr wollen sie lieber eine E-Gitarre. Ein paar Jahre war es in, ein DJ zu sein, jetzt möchten alle lieber bei den White Stripes spielen.“
Neben seiner Arbeit mit Blur, für die er ihr letztes Album produzierte, was ihn, wie er zugibt, nachhaltig auch für seinen eigenen Longplayer beeinflusste, verschafften ihm noch einige weniger dance-affine Sounds Inspiration. „Stark orientiert habe ich mich an Rockmusik und schrammligen Gitarren wie einst bei Nirvana.“ Und auch HipHop-Elemente prägen das musikalische Bild des Albums. Konkrete Angabe zu Acts oder Bands, die ihn beeinflusst haben, kann er allerdings nicht abgeben. „Ich höre gar nicht so viel aktuelle Musik. Im Grunde erkenne ich selbst erst nach Fertigstellung einer Scheibe, was mich da beeinflusst haben könnte, was ein wenig irritierend ist, denn wenn ich dort in meinem Studio sitze und ernsthaft ein Jahr an einem Album arbeite, bin ich von der Außenwelt so gut wie abgeschnitten.“ Werden die Leute, denen Fatboy Slim all die Jahre in Sachen Dance als Idol diente, seinen ‚neuen’ Sound verstehen? „Das hoffe ich. ‚Rockafeller Skank’ war ja auch eher eine Pop- und keine wirklich coole Danceplatte. Ich möchte so zusätzlich ein ganz neues Publikum ansprechen. Es hieß schon immer, Fatboy Slim mache Dancemusic für Leute, die eigentlich keine Dancemusic mögen. Und das finde ich gut. Darauf bin ich stolz, das ist ja nichts Schlechtes.“ Allerdings räumt Norman nach dieser Aussage auch direkt ein, dass es bezüglich seiner DJ-Sets schon bei „the same old shit“ bleiben wird. „Es gibt einen Bootlegmix von ‚Slash Dot Dash’, und es gibt auch noch ein zwei andere Songs vom Album, die ich in meine Sets einbaue.“ Warum er sich für „Slash Dot Dash“ als erste Singleauskopplung entschieden hat, fasst er recht deutlich in nur einem Satz zusammen: „It says: Fuck you, I’m back!“
Ist das nicht vielleicht die Aussage des gesamten Albums, oder was bedeutet „Palookaville“ für Norman ganz persönlich? „Es ist einfach ein Job. Ich mache das nicht fürs Geld, davon habe ich mittlerweile genug. Ein Album zu machen bringt aber auch eine Menge Spaß, und doch ist es nur ein Job. Und den nehme ich sehr ernst.“ Dass private Probleme häufig auch die Arbeit beeinflussen, dürfte jeder schon einmal am eigenen Leib erfahren haben. So auch Norman: „Als ich gerade mitten in den Eheproblemen steckte und kurzzeitig von meiner Frau getrennt war, habe ich schon etwas seltsame Sachen produziert, irgendwie sehr depressiv. Privat- und Berufsleben gehen immer irgendwie ineinander über. Viele halten ‚Palookaville’ für ein sehr persönliches Album, aber das ist es gar nicht. Ich habe nicht versucht, damit irgendwelche Dämonen zu verscheuchen. Ich mache Musik, um anderen Leuten eine Freude zu machen.“ Und doch war vermehrt zu lesen, dass „Put It Back Together“ feat. Damon Albarn Normans Eheprobleme und deren Lösung thematisiert. „Ja, aber nicht ich habe die Lyrics geschrieben, sondern Damon. Sie handeln zwar von mir, aber wenn ich produziere, mache ich mir über die Texte keine Gedanken und bin viel zu sehr mit der Musik beschäftigt. Erst beim Mixen höre ich, worum es überhaupt geht.“ Laut Infosheet gibt es mit „Wonderful Night“ feat. Lateef aber doch einen Song für Zoe. „Stimmt, nach unserer Versöhnung hat sie mich damit gefragt, warum ich eigentlich nie einen Song für sie geschrieben habe. Ich sagte: ‚Darling, ich schreibe ja gar keine Songs in dem Sinne.’ Also habe ich ‚Wonderful Night’ für sie produziert und ihr gesagt: ‚Darling, ich habe da einen Song für dich, nicht geschrieben, aber zusammengebastelt.’“
Mit „The Joker“ befindet sich eine Fatboy-Slim-untypische Coverversion des Steve-Miller-Band-Klassikers auf dem Album, der gemeinsam mit Bootsy Collins entstand. „Ich habe ja zuvor mit Bootsy schon einige Tracks aufgenommen. Dieser sollte für eine Levi’s-Compilation voller Coverversionen aus Levi’s-Spots sein. Und zu wem passte die Zeile ‚people call me the space cowboy’ besser als zu Bootsy? Levi’s änderte schließlich seine Meinung und die Compilation erschien nie. Ich fand den Song aber einfach zu gut, um ihn einfach weg zu werfen, und so ist er als letzter Track auf dem Album gelandet.“ Bootsy ist nur einer von vielen namhaften Acts, mit denen Norman in all den Jahren seiner Produzententätigkeit zusammen gearbeitet hat. Ist die Vorgehensweise bei Kollaborationen für das eigene Album eine andere als bei Kollaborationen für andere? „Nein, da mache ich keinen Unterschied. Ich sage den Leuten, wenn sie für mich arbeiten, nicht, was sie tun sollen. Es ist immer ein Geben und Nehmen.“ Draußen zieht sich gerade der Himmel zu und Norman sinniert, ob das wohl das Ende des Sommers sei.
Und damit auch das Ende der Openair-Saison, was uns zum Thema Big Beach Boutique bringt. Nach dem enormen Erfolg 2002, bei dem statt der erwarteten 60.000 Fans ganze 250.000 den Strand von Brighton bevölkerten und eine Frau unglücklicherweise ums Leben kam, musste die Partygemeinde schon 2003 auf eine Wiederholung des Events verzichten und wird es auch in Zukunft müssen. „Es wird in ganz England nie wieder stattfinden, und wir planen derzeit stattdessen Veranstaltungen auf der ganzen Welt. Es kamen viel zu viele Menschen nach Brighton, das hätte ein echtes Desaster werden können. Hunderte von Menschen hätten dabei sterben können, wäre etwas schief gegangen. Der damalige Polizeichef hat so seinen Job verloren, und der neue tut nun natürlich alles, um eine Wiederholung zu verhindern. Eigentlich war auch für dieses Jahr eine Veranstaltung geplant, und diese hatten wir bereits zwei Monate vorbereitet, doch die Polizei legte uns immer wieder Steine in den Weg. Hatten wir das eine Problem gelöst, fanden sie ein neues. Sie haben uns gleich gesagt, dass sie uns nicht davon abhalten können, aber dass sie alles tun würden, um es uns schwer zu machen. Auch in anderen englischen Städten begannen wir zu planen, doch dort bekamen wir die gleichen Probleme. Anfang des Jahres gab es eine Big Beach Boutique in Rio mit 350.000 Menschen, dort gab es gar keinen Stress. Jetzt möchten wir das Konzept auf Australien, Kolumbien, Argentinien und weitere Länder ausweiten. Auch Europa ist im Gespräch, doch wissen wir noch nicht wo. 350.000 Menschen sind leider für die meisten Strände doch ein paar zuviel.“ All diese Pläne trösten ihn sicherlich über den Verlust der Veranstaltung in Brighton hinweg, doch ist dies immerhin seine Wahlheimatstadt, die er gegen keinen anderen Platz in der Welt – und davon hat er schon so einige gesehen – eintauschen möchte.
„Ich zog hierher mit 18 und ging aufs College. Ich habe ein Jahr in London gelebt, als meine Frau dort eine Breakfast Show moderiert hat. Sobald sie damit aufhörte, sind wir wieder hierher gezogen. Brighton ist kosmopolit, liberal, jung, hedonstisch, und es gibt eine große schwule Bevölkerung. Wenn die Sprachbarriere nicht wäre, gäbe es sicher einige interessante Länder. Aber nur, weil irgendwo oder auch fast überall das Wetter besser ist als hier, würde ich nicht fort ziehen.“ Zum Ende der halben Stunde, die wie im Flug verging, möchte Norman noch mit einigen Gerüchten aufräumen. So erklärt er uns, dass beinahe alles, was beim britischen Online-Musiknachrichtendienst NME.com geschrieben wird, schlicht und einfach nicht nur schlecht, sondern meist gar nicht recherchiert ist. So konnte man dort vor einigen Monaten lesen, Fatboy Slim mache gemeinsame Sache mit der altgedienten Rock’n’Roll-Kombo Showaddywaddy. „Das war schlichtweg gelogen. 60 Prozent dessen, was NME.com schreibt, ist Fiktion. Leider gehen diese News um die Welt, weil sich viele Magazine und Onlinedienste daran orientieren. Aber das mit Showaddywaddy war zum Beispiel totaler Müll. Ich habe die Typen 1985 getroffen, als ich noch Bass bei den Housemartins spielte und gemeinsam mit ihnen einen getrunken. Danach habe ich sie nie wieder gesehen. Das ist nun 19 Jahre her. Ich weiß nicht mal, ob die überhaupt noch leben. Ich habe mit NME.com mittlerweile echte Schwierigkeiten und ihnen gesagt, dass sie mich gefälligst fragen sollen, ehe sie irgendeinen Müll schreiben. Die haben auch schon vor sechs Monaten berichtet, dass mein Album erscheinen würde und es ein reines HipHop-Album sei. Da war es noch nicht einmal annähernd fertig. Noch ein solche Story, und die lernen mich richtig kennen.“ Wer sich im Übrigen fragt, woher der Albumtitel „Palookaville“ stammt – das ist eine Frage, die man Mr. Cook besser nicht stellen sollte, da er sie nicht mehr hören kann. Wir wissen nur soviel: Erstmalig tauchte ein Ort namens Palookaville in einem alten Marlon-Brando-Streifen auf, ehe 1996 auch ein Gangsterfilm gleichen Titels in die Kinos kam. Der Rest ist dann wohl Geschichte.