In „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ spielt Felix Kramer einen Bauern, der eine Amour Fou mit einer Teenagerin beginnt. Im Interview mit ntv.de spricht er unter anderem über den Wert eines Intimacy Coachs am Set und erklärt, warum das Ost/West-Thema uns bis heute bewegt.
Nach der deutschen Netflix-Produktion „Dogs of Berlin“, dem Thriller „Freies Land“ und der Serie „Warten auf’n Bus“ kehrt Felix Kramer nun wieder ins Kino zurück. In „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“, der Verfilmung des gleichnamigen Bestsellers von Daniela Krien, spielt er Henner.
Henner ist ein 40-jähriger Bauer auf dem thüringischen Land, der im Sommer nach der Wende eine heimliche und nicht ganz gesunde Liebesbeziehung mit der 19-jährigen Maria beginnt. Im Interview mit ntv.de sprach der Schauspieler unter anderem über explizite Sexszenen und den Wert eines Intimacy Coachs am Set und erklärt, warum das Ost/West-Thema die Menschen in Deutschland bis heute bewegt.
ntv.de: Gestern hat euer Film bei der Berlinale Premiere gefeiert. Wie hast du den Abend erlebt?
Felix Kramer: Es war gestern so schön. Ich konnte so genießen, es ist unglaublich. Man hat bei einer Premiere immer ein bisschen Schiss, dass alles an einem so vorbeifliegt. Es ist schon sehr beeindruckend, in Deutschland gibt es ja nichts Größeres als die Berlinale. Und ich hatte mir vorgenommen, es einfach mal zu genießen, kurz innezuhalten. Den Film hatte ich vorher schon mal klein aufm Beamer gesehen. Aber jetzt war ich echt richtig im Film.
Waren auch überraschende Reaktion seitens des Publikums dabei?
Die Reaktionen waren cool. Da waren ein paar Lacher, mit denen man jetzt nicht so gerechnet hätte, wenn man so tief drinsteckt und die Distanz fehlt. Manchmal war aber auch so eine Stille, eine gute Stille.
Bist du der Typ für den großen Medienrummel oder hast du eigentlich lieber deine Ruhe?
Also sagen wir so: Das hier ist wirklich besonders, weil die Leute, die hierherkommen, sind echte Cineasten und haben da richtig Bock drauf. Und natürlich weiß ich, dass das ein Teil meines Jobs ist. Und wenn du ein Projekt hast, das wasserdicht ist – die Qualität der Arbeitszeit war hoch, es war auch anstrengend – dann ist das nicht so trubelmäßig. Du darfst einfach nicht so viel Schampus trinken, viel schlafen ist wichtig, und du musst ein bisschen diszipliniert sein, dann geht das und macht auch Spaß. Und ich merke, dass ich gern über den Film rede, weil er so kontrovers ist.
Kanntest du den Roman von Daniela Krien vor diesem Projekt?
Ich kannte die Autorin gar nicht, habe jetzt aber alle ihre Bücher da und schon welche davon gelesen. Ich finde sie großartig. Ohne, dass es jetzt machomäßig klingen soll: Mir die Welt so von einer Autorin erklären zu lassen, das hat mich echt etwas lernen lassen. Es ist für mich gerade die Zeit für Autorinnen. Daniela schreibt einfach tolle Bücher.
Im Buch ist Maria 16, im Film 19 Jahre alt. Deine Figur Henner ist 40, obwohl du jetzt 50 wirst. Hut ab. Weißt du mehr über die Entscheidung, Maria älter zu machen? Sollte so die Beziehung zwischen den beiden weniger toxisch wirken?
Einige sagen, das Thema sei radioaktiv, wenn Maria 16 ist. Aber darum ging es uns gar nicht. Wir wollten sie einfach stabiler machen, denn das ist das, was auch die Schauspielerin (Marlene Burow – Anm.d.Red.) mitbringt. Wir wollten keine Opfer-Täter-Geschichte erzählen. Es ist vielmehr eine Amour Fou, eine Liebe, die einen in den Wahnsinn treibt. Klar, kann man auch toxisch sagen …
Zumindest ist das Thema – sehr junge Frau, deutlich älterer Mann – kontrovers. Hast du als Vater von Töchtern darüber vorher nachgedacht und eine Haltung dazu entwickelt?
Ich habe mich damals mit Emily (Atef, Regisseurin des Films – Anm.d.Red.) getroffen, und wir haben ganz viel geredet. Auch über unsere eigenen Unsicherheiten und Unfähigkeiten. Henner ist eine sehr laute Figur, auf die man schnell mit dem Finger zeigt und ihn zum Täter, Vergewaltiger macht. Ich habe mir gewünscht, dass Emily gut auf Henner Acht gibt, und das hat sie toll gemacht. Auch Simone Bär (Castingdirektorin – Anm.d.Red.), die leider viel zu früh verstorben ist, wollte, dass ich das spiele, weil ich scheinbar das Feminine und das Maskuline in mir trage. Eben nicht so ein Mann-Mann, dem man nur Brutalität zutraut, sondern dem man auch glaubt, dass er nicht erst seit gestern liest.
Ihr hattet eine Intimitätskoordinatorin am Set, was ein recht neuer Beruf ist, den in Deutschland noch gar nicht so viele ausüben. Wie muss man sich die Arbeit mit ihr am Set vorstellen?
Oder auch Intimacy Coach. Ja, wir hatten eine ganz wunderbare Koordinatorin, Sarah Lee. Emily hat sich dann komplett zurückgenommen. Und ein Intimacy Coach arbeitet mit dir wie Stuntleute, ganz technisch. „Du fasst jetzt hier an, dann mache ich das …“ Das machst du immer wieder. Wir haben früh angefangen, und dadurch ist Vertrauen entstanden. Früher hat man sowas mit viel Angst gedreht, hat noch ein paar Zigaretten geraucht, eventuell noch einen getrunken und dann los. „Vielleicht klappt es ja und sieht auch noch gut aus.“ Wir sind jetzt den umgekehrten Weg gegangen. Die Koordinatorin guckt, dass es glaubhaft aussieht, sehr technisch, und am Set versuchst du, es wieder emotionaler zu machen, ohne das Gerüst zu verlieren. Den geschützten Raum. Diese Art zu arbeiten gehört heute einfach ans Set.
„Dogs of Berlin“, „Freies Land“, „Warten auf’n Bus“ und nun „Irgendwann …“ – du als Ostler spielst häufig Ostler. Bist du darauf inzwischen irgendwie festgelegt?
Ach, das interessiert mich in erster Linie gar nicht. Der Background des Ostens, der Umbruch, die scheinbare Diktatur, die ich gar nicht so empfunden habe, aber es wird ja gern so geschrieben … Das alles ist ein super Hintergrund, dort eine Geschichte zu erzählen. Wenn die Leute zu Hause sitzen, satt sind, alles ist tutti, der Kühlschrank ist voll, die Kohle ist gemacht – das ist doch langweilig. Wenn du aber – wie Hitchcock sagt – die Bombe unter den Tisch packst, wird es spannend. Wenn du eine Liebesgeschichte im Krieg erzählst oder eine Geburt, während draußen die Bomben fliegen – jede Entscheidung hat dann viel mehr Gewicht. Man muss diese Verdichtung im Falle Ost/West nicht erzeugen, du hast einfach diese Zeit, die etwas macht mit den Leuten.
Du warst beim Fall der Mauer erst 16, lebtest in Berlin. Kannst du das, was die Filmfiguren auf dem Land fühlen und erleben, dennoch nachvollziehen? Und hat das, was aktuell wieder in Sachsen und anderen Regionen in Ostdeutschland passiert, noch immer mit damals zu tun?
Simone Bär hat sich so gewünscht, dass es ein Film wird, der ein Licht auf Thüringen wirft, auf das Sächsische, Vogtländische. Emily hat sich das mit dem Dialekt, den die Figuren sprechen, getraut, denn sie hat gar nicht so eine Angst. Sie wollte Lokalkolorit, auch wenn ihr andere davon abgeraten haben, weil das im Kino nicht gut ankäme.
Wenn ein Film im Berlinale-Wettbewerb läuft, knüpft man dann automatisch andere Hoffnungen und Erwartungen daran als sonst?
Für das Kino ist das alles ja sowieso ein Überlebenskampf gegen die Streamingdienste. Für mich war es toll, dass wir nach der Corona-Zeit endlich mal wieder alle zusammen im Kino saßen. Ich bin auch Streaming-Fan, und von mir aus soll das alles stattfinden. Sollen die Leute ihre Filme doch auf dem Handy gucken. Competition ist aber nicht so mein Lieblingsbegriff. Ich finde es schön, dass sich das Medium Film bei der Berlinale zwei Wochen lang mal wieder feiert. Das ist in Deutschland sonst ein bisschen mau, da sucht man immer das Haar in der Suppe. Hier dabei zu sein, ist für einen Kinofilm ein super Push, das kann man sich nicht besser wünschen. Ich bin Berliner Junge, hier in Berlin bei der Berlinale, ein paar meiner Jungs kommen vorbei. Das ist alles großartig.