Felix Kramer: „Wir müssen nicht immer alle einer Meinung sein“

Felix Kramer: „Wir müssen nicht immer alle einer Meinung sein“

Schlagzeilen macht Christian Alvart zuletzt als Regisseur der Netflix-Serie „Dogs of Berlin“. Als die erscheint, steckt er längst im nächsten Projekt, das jetzt in die Kinos kommt. ntv.de hat mit ihm sowie den Hauptdarstellern Felix Kramer und Trystan Pütter unter anderem über deutsch-deutsche Probleme gesprochen.

Regisseur Christian Alvart ist in den vergangenen Jahren vor allem durch actionreiche Produktionen immer weiter in den Fokus der Filmfans gerückt. Nach einem Ausflug in die USA, wo er 2009 unter anderem den Film „Fall 39“ mit Renée Zellweger und Bradley Cooper umsetzte, zeichnete er hierzulande für Til Schweigers Tschiller-„Tatorte“ verantwortlich. Alvart führte Regie bei „Steig.Nicht.Aus“ und „Abgeschnitten“ und polarisierte zuletzt mit der Netflix-Produktion „Dogs of Berlin„. Doch er kann auch anders, wie sein neues Werk zeigt. Schon mit „Antikörper“ und „Banklady“ widmete er sich 2005 und 2013 dem Genrefilm, jetzt legt er ein Remake des 2014 erschienenen spanischen Thrillers „Mörderland“ vor.

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Als „Dogs of Berlin“ im Dezember 2018 startete, steckte Alvart schon mittendrin in diesem Projekt. In einer der Hauptrollen mit dabei war „Dogs of Berlin“-Schauspieler Felix Kramer. In „Freies Land“ spielt der 46-Jährige an der Seite von Trystan Pütter einen Ermittler, der kurz nach der Wende in Mecklenburg-Vorpommern einen Mädchenmörder finden muss. Das gestaltet sich schwierig, weil die vergessene Dorfgemeinschaft voller Misstrauen steckt, vieles verschweigt und so manches zu verbergen hat. Doch auch das Verhältnis der beiden Kommissare untereinander – der eine mit Ost-, der andere mit West-Vergangenheit – ist angespannt.

ntv.de hat mit Christian Alvart über seine Faszination für diese Geschichte gesprochen, aber auch mit Felix Kramer und Trystan Pütter über ihre persönliche Einschätzung eines aktuellen Ost/West-Konflikts.

ntv.de: Christian, du hast mit „Freies Land“ den Film „La Isla Mínima – Mörderland“ von Alberto Rogdriguez, der kurz nach dem Ende der Franco-Diktatur in Spanien spielt, ins Mecklenburg-Vorpommern kurz nach der Wende geholt. Sind dir die Parallelen schon beim ersten Anschauen des Originals aufgefallen?

Christian Alvart: Genau. Die Geschichte um die verschwundenen Mädchen ließ sich toll adaptieren für Deutschland, sie ist im Grunde nur der rote Faden. Eigentlich ist es das Porträt eines Landes, der Gesichter und der Natur. Das alles konnte man ändern und das Konstrukt behalten. Wäre es eine spezifische Aufarbeitung der Franco-Ära gewesen, hätte man es nicht übernehmen können.

Trystan und Felix, kanntet ihr den Film, als ihr die Anfrage dafür bekamt?

Trystan Pütter: Ich habe ihn irgendeines Nachts durch Zufall gesehen. Ich kannte den Film also und fand ihn super. Ich finde aber auch, dass Christian da nochmal eine ganz andere Seite eröffnet hat, die im Original nicht da ist. Es ist eine Erweiterung.

Felix Kramer: Ich habe den Film bis heute nicht gesehen. Es gibt übrigens viele Filme, die ich sehen wollte und es bis heute nicht geschafft habe. Irgendwie komme ich gerade nicht dazu.

Manchmal aber hängt man doch in Zügen oder an Flughäfen herum …

Kramer: Aber mein Konzentrationslevel reicht dafür nicht aus.

Pütter: Dann guckst du eher die Simpsons, oder wie?

Kramer: Ich bin tatsächlich momentan eher empfänglich für 25 Minuten Podcast, 30 Minuten dies und das. Vielleicht sind wir durch das serielle Häppchending irgendwann nicht mehr in der Lage … wobei, den Tarantino mochte ich sehr, und der ging auch zweieinhalb Stunden.

Demnach bist du recht unvoreingenommen an deine Rolle als todgeweihter Bulle mit fragwürdiger Vorgeschichte herangegangen?

Kramer: Unverfärbt. Ich habe mich nur mit dem Buch auseinandergesetzt und wollte eben nicht den Fehler begehen, den Film zu schauen und dies zu übernehmen, weil ich es gut finde, und das nicht zu machen, weil ich es blöd finde.

Pütter: Natürlich hast du dann immer ein Regulativ im Kopf, denn ich fand den Film schon ziemlich toll. Aber es ist dann doch was ganz anderes, was wir gemacht haben. Und wenn du so einen Partner wie Felix hast, denkst du nicht mehr an den kleinen Spanier, sondern an das beeindruckende Monster aus Meckpomm. (lacht)

Dafür hast du für das „Monster“ über 20 Kilogramm zugenommen und dir einen Schnurrbart wachsen lassen. Als wir uns das letzte Mal zum Interview trafen, wirkte es, als fühltest du dich nicht gerade wohl in deiner Haut.

Kramer: Ach, was heißt nicht wohlfühlen? Ich hatte knapp 20 Kilogramm Übergewicht und für die Rolle angefangen zu rauchen – Kette. Und mir die Fingernägel abgekaut. Nicht nur der Körper verändert sich, das Ganze setzt sich auch auf die Seele. Als Schluss war, habe ich tief durchgeatmet und mich sehr gefreut, das Ganze wieder rückgängig machen zu können.

Christian, nach einigen actionreichen Produktionen nun ein Thriller, der von seiner Atmosphäre und einer langsamen Erzählweise lebt. Warum sollte es dieses Genre sein?

Alvart: Ich finde, dass Thriller aus dieser Zeit unterrepräsentiert sind, weil das so eine umfassende Umwälzung war, die unheimlich viel Zerrissenheit, Ängste, Demütigungen ausgelöst hat. Das ist normal, wenn ein ganzes Land abgewickelt wird. Und das ist das Metier des Thrillers. Er guckt auf die Schattenseiten, guckt auf die Angst, die dunkleren Triebe, die Verschlossenheit. Es ist ein ganz reifes Feld da, und es ist fast noch gar nicht bearbeitet worden.

Ihr habt in der Ukraine gedreht. Ergab sich das auch aus der Suche heraus nach den zu Rodriguez‘ atmosphärischen Bildern aus Südspanien passenden Locations?

Alvart: Wir haben eher nach Mecklenburg-Vorpommern mit Sumpfländern und flachen Landschaften gesucht. In der Ukraine hatten wir schon „Leanders letzte Reise“ gedreht und kannten das Land, hatten dort eine tolle Erfahrung. Und wir haben gemerkt, dass das 1:1 passt. Die Ukraine ist mental aber weit weg, weil sie in Osteuropa liegt. Aber ein Flug dahin ist kürzer als nach Malle. Die Topografie, Flora und Fauna, historische deutsche Enklaven, viel Architektur sind identisch. Es war leichter, dort die ostdeutschen Landgebiete von vor 30 Jahren zu finden als im realen Osten, wo alle Stadtgebiete saniert worden sind.

Trotz aller Parallelen zu „Mörderland“ hast du dich für „Freies Land“ an einigen Stellen anders entschieden, die Geschichte erweitert. So ist dein Film auch eine halbe Stunde länger als das Original …

Alvart: Für meine Adaption für Deutschland habe ich es an unsere Sehgewohnheiten angepasst. Die Ruhe in der Erzählung gehörte von Anfang an zum Grundkonzept. Das ist für mich ein Western. Die karge Verschlossenheit, die schweigsamen Charaktere, die aushalten, dass sie in diesem Landstrich leben, erinnert mich ans Genre Western. Ein Fremder kommt in die Stadt, das ist in jedem zweiten Western so. Deswegen wollte ich unbedingt so mit Patrick Stein reingehen, der für alle aus Westdeutschland eine Identifikationsfigur sein kann, ebenso wie Markus Bach für alle aus Ostdeutschland.

Trystan, du kommst aus Frankfurt, Felix, du aus Ostberlin. Demnach seid ihr in euren Rollen in dieser Ost-West-Verteilung geblieben. Der Ossi muss mit dem Wessi zusammenarbeiten und das sorgt schon mal für Probleme …

Kramer: Ich bin Ostler. Der Begriff Ossi ist erst nach der Wende entstanden.

Dann sind wir anderen also Westler?

Kramer: Nein, ihr seid Wessis.

Pütter: Siehst du, da geht es schon los.

Findet ihr also, dass auch 30 Jahre nach der Wende noch immer ein deutsch-deutscher Konflikt besteht?

Kramer: Es ist ein Thema, aber es ist die Frage, was du damit machst. Wenn es die Party crasht, ist das doof. Wenn es aber ein Gespräch eröffnet und man sich dadurch begegnet und näher kommt, ist das super. Herkunft ist im Nomadenzeitalter von heute für alle ein Thema. Wir sollten uns immer mit allen an den Tisch setzen und dem Gespräch eine Chance geben.

Was Bach und Stein in „Freies Land“ jetzt allerdings nicht tun …

Kramer: Aber sie handeln gemeinsam. Der eine wäre ohne den anderen nicht mehr.

Pütter: Da passiert der Schulterschluss. Und das erzählt der Film. Dass eben auch Ost und West, wenn sie ein gemeinsames Ziel haben und gleichberechtigt sind, gemeinsam funktionieren können. Und das ist es, was man aus diesem Film ziehen kann.

Kramer: Gucken wir uns die politische Lage an. Es ist immer noch ein Thema. Wo kommen wir her, das wird immer noch missbraucht – der Heimatbegriff. Aber wenn wir eine Möglichkeit finden, den anderen deswegen nicht fertigzumachen und wir unversehrt wieder vom Tisch gehen, ist alles gut. Wir müssen ja nicht immer alle einer Meinung sein.

Drehbuch, Produktion, Regie und Kamera – du bist quasi in jedem Department vertreten. War es für dich keine Option, etwas aus der Hand zu geben?

Alvart: Ich fühle mich von Produktion zu Produktion wohler in der Rolle des Filmemachers, wie ich sie interpretiere, und kehre immer mehr zu meinen Wurzeln zurück. Ich komme vom Amateurfilm, wo man alles selbst macht, weil man einfach niemanden sonst hat. In einem professionellen Arbeitsumfeld sind viele Dinge natürlich viel besser als beim Amateurfilm, aber es gab eben auch ein paar Sachen, die ich vermisst habe. Und diese Bündelung, dass man die Bildsprache als Teil der Inszenierung versteht und nicht als separaten Teil, finde ich viel besser. Ich fand das auch weniger arbeitsaufwändig, als sich die ganze Zeit mit jemandem verständigen zu müssen.

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