In seiner Heimat Großbritannien ist Frank Turner längst ein Superstar. Nun veröffentlicht der 42-jährige Singer-Songwriter mit „Undefeated“ sein zehntes Album. Im Interview mit ntv.de erklärt er unter anderem, wie ihn die Zweifel anderer bis heute zu Höchstleistungen motivieren.
In seiner Heimat Großbritannien ist Frank Turner längst ein Superstar. Nachdem seine letzten Platten immerhin die Top 3 der dortigen Albumcharts erreicht hatten, schaffte er es 2022 mit „FTHC“ endlich auf Platz 1. Und auch in Deutschland ist seine Fangemeinde riesig. Das liegt zum einen an seinem uplifting Mix aus Folk und Punk, zum anderen aber auch an seiner sympathischen und bodenständigen Art. Davon überzeugen kann man sich im Oktober, wenn er in Oberhausen, Hamburg, Berlin, München und Köln live spielt.
Mit „Undefeated“ veröffentlicht der 42-Jährige jetzt aber erst mal sein zehntes Album. Und auch, wenn er sich laut einem kürzlichen Radiointerview sicher ist, gegen Taylor Swift keine Chance auf einen erneuten ersten Platz zu haben, ist es persönlich ein wichtiges Werk für ihn. Immerhin zeigt Frank Turner seinen Kritikern aus vergangenen Tagen darauf den musikalischen Mittelfinger, wie er im Interview mit ntv.de erklärt.
ntv.de: Frank, du bist jetzt wieder einige Tage in Berlin. Überhaupt scheint dich mit dieser Stadt etwas zu verbinden. Unter anderem hast du mit deinem Festival „Lost Evenings V“ im September 2022 dreimal hintereinander die hiesige Columbiahalle ausverkauft. Ist Berlin gut zu dir?
Frank Turner: Auf jeden Fall. Ich laufe gerne durch die Stadt und schaue mir Sachen an. Ich habe auch oft hier gespielt, und es war immer gut. Das Festival hier war bisher das einzige auf dem europäischen Festland, das wir gemacht haben. Also ja, es ist schön, hier zu sein. Ich mag Berlin sehr. Es ist eine coole Stadt, und es ist eine weltberühmte Stadt mit viel Geschichte, mit all ihren Musikgeschichten. Ich meine, hey, Nick Cave war in den 1980er-Jahren hier …
Das letzte Album „FTHC“ hast du während der Pandemie produziert. „Undefeated“, dessen Titel übersetzt „Unbesiegt“ oder „Ungebrochen“ bedeutet, ist nun wieder unter normalen Umständen entstanden. Hat sich das auf die Stimmung ausgewirkt? Immerhin gibt es mit „Pandemic PTSD“ einen Song, der auf ein Trauma bei dir schließen lässt.
Na ja, Trauma ist ein starkes Wort. Es ist aber erwähnenswert, dass ich die erste Hälfte des Songs geschrieben habe und meine Frau – sie ist Psychotherapeutin – mich singen hörte. Sie meinte, man solle den Begriff PTSD (deutsch: PTBS, posttraumatische Belastungsstörung) nicht umgangssprachlich verwenden, denn er habe eine echte Definition. Also nahm ich mir ihr Psychologie-Wörterbuch und schlug die Definition nach. Und die ist jetzt die Bridge des Songs. (lacht) Ich habe die aber eher in Bezug auf die Entstehung, das Schreiben des Albums. Wir haben die Pandemiejahre jetzt ja größtenteils hinter uns. Ich habe einen neuen Schlagzeuger in meiner Band. Die vorherige Platte haben wir während des Lockdowns gemacht, aus der Distanz. Jetzt war es wie eine Wiedergeburt. Okay, das ist ein zu starkes Wort, aber es fühlte sich wie ein Neuanfang an, auf eine gute Art und Weise. Lustig und energiegeladen.
„Undefeated“ ist dein zehntes Album, also eine Art Jubiläum. Bedeutet dir das was?
Nein, das spielt keine Rolle. Ich meine, klar, ich bin jetzt zweistellig, und bis dahin schaffen es nicht alle. Das ist cool. Gleichzeitig bin ich mir bewusst, dass es nicht gerade eine sexy Anzahl an Platten ist. Es ist wirklich nicht so, dass die Leute deswegen gleich ausflippen.
Beim 20. ist das dann ja vielleicht anders?
Es wird wahrscheinlich immer schlimmer, wenn man voranschreitet. Am Ende ist das neue Album aber immer nur das nächste Album. Jede Platte, die ich mache, ist ein Spiegelbild dessen, wer ich in diesem Moment bin und wo ich gerade stehe. Eines der zentralen Themen des Albums ist das Überleben und diese Mischung aus Überraschung und Stolz. Ich bin überrascht und stolz, überlebt zu haben. Es gibt eine ganze Menge Rückblicke auf der Platte. Es gibt einen Teil, in dem ich defensiv und pubertär gleichzeitig klinge. Als ich Kind war, hat man mir in der Schule gesagt, ich solle kein Musiker werden. Mein Musiklehrer sagte mir, ich solle aufhören, weil ich nicht gut genug sei. Meine Eltern verboten mir, Platten und Zeitschriften zu kaufen und zu Konzerten zu gehen. Alle meine Freunde lachten über die Musik, die ich mochte. Es war, als ob niemand wollte, dass ich das mache. Doch ich habe es nicht nur einmal gemacht. Ich habe es jetzt schon zehnmal gemacht. Es gibt also eine Art „Fuck you“-Vibe. (lacht)
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Aktuell kommt fast alle zwei Jahre ein neues Album raus, bis zum 20. dauert es also nicht mehr lange … Bist du ein Workaholic oder hast du der Welt einfach so viel mitzuteilen?
Das wird dann in den frühen 2040er-Jahren sein. Verdammt, das ist ein verrückter Gedanke. Manchmal höre ich von Bands, die Studiozeit gebucht haben, um zu schreiben. Was ich nicht verstehe. Es gibt für mich schon verschiedene Teile des Schreibprozesses, aber das Sammeln von Ideen passiert permanent. Und dann habe ich bisweilen genug Material, um eine Platte zu machen. Also buchen wir danach Studiozeit. Ich mache kein Album, bevor ich alle Songs habe. Ich will eine Platte machen, weil ich etwas zu sagen habe. Gleichzeitig wäre es lächerlich, abzustreiten, dass ich ein Workaholic bin. Ich fühle mich nicht wie einer, aber die Beweise sind eindeutig. (lacht)
Zumal jedes Album auch eine Tour mit sich bringt. Du scheinst konstant unterwegs zu sein …
Es sind schon viele Gigs, das stimmt. Live zu spielen ist meine Leidenschaft, aber ich verdiene damit auch meinen Lebensunterhalt, das sollte man erwähnen. Ich werde immer mal wieder gefragt, wann ich damit aufhören will. Einen Lehrer fragt man aber doch auch nicht, wann er denn wohl mit dem Unterrichten fertig sein wird.
Der bezieht allerdings eine Pension, wenn er mit 65 aufhört. Und die Rolling Stones brauchen das Geld eher nicht mehr, spielen aber mit 80 immer noch.
… was sie aber vielleicht besser sein lassen sollten … (lacht)
Der erste Song, „Do One“, ist eine Art Zusammenfassung des Albums. Kannst du das noch mal genauer auf den Punkt bringen?
Es ist eine Art Manifest. Fürs Protokoll: Es war der letzte Song, den ich für die Platte geschrieben habe. Etwas, das mir jetzt schon ein paar Mal passiert ist. Ich habe angefangen, den Leuten zu erzählen, dass dieses neue Album so und so sein wird und dachte mir dann, dass das gar nicht stimmt. „Vielleicht muss ich noch einen Song schreiben, um das, was ich gerade gesagt habe, wahrzumachen.“ Für den Titelsong habe ich 18 Monate gebraucht, für „Do One“ nur etwa zwei Stunden. Es fühlte sich einfach so an, als würde alles auf einem Regal stehen und nur darauf warten, dass ich es herunterhole. Es ist ein Song über alles, was ich eben bereits über Überraschung und Stolz gesagt habe. Es gibt quasi einen Mittelfinger in diesem Song. (lacht)
Du singst darüber, mit 40 wieder ein wütender Mann wie in deinen 20ern zu sein, während du in deinen 30ern entspannter gewesen seist. Was ist passiert? Oder liegt es am Älterwerden an sich?
Es ist gar nicht so, dass ich in meinen 30ern nicht auch mal wütend war. Aber als Kind sieht man alles schwarz und weiß. Es gibt gute und schlechte Menschen. Du glaubst mit 16, dass du alles weißt und die Probleme der Welt in fünf Sekunden lösen könntest. Und dann kommt der Prozess des Älterwerdens und das Entdecken von Grautönen. Und es ist wichtig zu versuchen, sich in die Denkweise der Menschen hineinzuversetzen, mit denen man nicht d’accord geht, zumindest vorübergehend. Aber es ist auch möglich, sich in eine Art Lähmung zu argumentieren. Wenn jemand sagt: „Ich glaube das, bla bla“, dann sagt mein Gehirn: „Und was ist mit dem genauen Gegenteil davon?“ In meinen 30ern habe ich mich selbst in die Enge getrieben und hatte keine besonders starke Meinung zu den Dingen, weil ich gut darin war, auch die andere Seite zu sehen. Beim Thema Donald Trump ist es jetzt zum Beispiel so: Es ist vielleicht wichtig zu verstehen, warum einige Leute für ihn stimmen wollen, aber ich hasse ihn nun mal, also ist mir deren Meinung egal. Ich bin heute selbstbewusster. Ich weiß, wo ich stehe und wer ich bin.
Findest du es wichtig, sich als Musiker mit Reichweite am politischen Diskurs zu beteiligen? Du äußerst dich ja nicht nur gegen Trump, sondern auch gegen Faschismus. Damit eckt man in der Bubble aber ohnehin nirgends an. Zuletzt gab es jedoch vermehrt Bands und Artists, die meinten, zum Nahost-Konflikt Stellung beziehen zu müssen …
Jeder Künstler hat das Recht, so viel oder so wenig Meinung zu haben, wie er möchte, das vorab. Aber zum Nahost-Konflikt: Wenn du denkst, dass es einfach ist, verstehst du nicht, was passiert. Es ist unglaublich kompliziert, und ich fühle mich nicht qualifiziert, darüber zu sprechen. Und ich werde nicht darüber sprechen. Ich will das Thema verdammt noch mal nicht anfassen. Tatsächlich würden viele Leute, die viel intelligenter und besser darüber informiert sind als ich, das Gleiche sagen. Und außerdem interessiert es niemanden, was irgendein Musiker dazu zu sagen hat. Das ist völlig egal. Aber natürlich hat jeder das Recht, eine Meinung zu haben, Stellung zu beziehen und seine Plattform für alles zu nutzen, was er möchte und wie es sich für ihn richtig anfühlt. Meine Herangehensweise, mit der ich seit Jahren sehr zufrieden bin, ist, nur über Dinge zu sprechen, von denen ich eine Ahnung habe.